Der russische Konzern Gazprom bewegt sich gerade sehr stark: Denn dem Unternehmen ist es nach einer Verzögerung von anderthalb Jahren endlich gelungen, das letzte Rohr für den Bau der politisch hochumstrittenen Rohrleitung "Nord Stream 2" durch die Ostsee zu schweißen. Das ist für Deutschland sehr wichtig, weil nun der Hersteller Europa bereits im laufenden Jahr mit Gas versorgen will - und damit auch den deutschen Markt.
Die Nord-Stream-Projekte werden mit Altbundeskanzler Gerhard Schröder in Verbindung gebracht, der dafür seinen politischen Einfluss benutzt hat. Politiker beider Länder werden nie müde, zu betonen, wie wichtig die deutsch-russische Zusammenarbeit ist.
Deswegen stellt sich jetzt generell die Frage: Wie viel Deutschland steckt eigentlich in Gazprom, das über ein Viertel der Weltreserven an Gas verfügt?
"Deutschland ist ein wichtiger Markt für Gazprom", kommentiert auch der russische Dienst der Deutschen Welle (DW). "Sein Schlüsselpartner in der Bundesrepublik ist der Ölkonzern Wintershall Dea. Die hundertprozentige Tochter des Chemiekonzerns BASF hat sich nicht nur am Bau der ersten und zweiten Nordstream-Leitung beteiligt, sondern hat auch gemeinsam mit Gazprom das Joint-Venture Achimgaz gegründet, das in Sibirien die sogenannten Achimov-Vorkommen erschließt, die nur schwer zugänglich sind", schreibt die Publikation.
Wintershall Dea ermöglicht Schlüsselprojekt in Sibirien
Hintergrund: Grundsätzlich bleibt die Förderung von Gas und anderer klassischer Energieträger die wichtigste Ertragsquelle für die Energiekonzerne, weil die alternativen Energien wie Wasserstoff noch lange nicht wirtschaftlich sind. Und die Achimov-Verkommen gehören zu denjenigen Regionen, wo die größten Gasreserven der Welt liegen. Dort befinden sich Schätzungen zufolge mehr als eine Billion Kubikmeter Gas und 400 Millionen Tonnen Kondensat. Zur Einordnung: Gazprom hat 2020 insgesamt 300 Milliarden Kubikmeter Rohstoff produziert, also weniger als ein Drittel der Volumina, die dort lagern.
Die Lagerstätten befinden sich in 4.000 Meter Tiefe und unterliegen einem außerordentlich hohen Druck, der die Erschließung zu einer wahren Herausforderung werden lässt. Jetzt hat Achimov-Gas gerade im April mit der Förderung begonnen und damit ein wichtiges Kapitel für Gazprom aufgeschlagen.
"Russland ist eine sehr wichtige Kernregion für Wintershall Dea, und unsere Projekte in Russland sind ein Grundpfeiler für das Erreichen der strategischen Ziele unseres Unternehmens", sagte Thilo Wieland, Vorstandsmitglied zuständig für Russland bei Wintershall Dea GmbH.
Sein Konzern ist insbesondere deswegen für die Russen wichtig, weil er mit dem notwendigen technischen Know-how die Projekte von Gazprom unterstützt. Die finanzielle Kraft der Deutschen spielt keine Rolle, weil sie selbst nur ein kleiner Akteur sind, der 2020 laut Geschäftsbericht einen Umsatz von gerade einmal 3,3 Milliarden Euro erreicht hat.
Gazprom erzielt hier ganz andere Volumina: So hat der Konzern alleine bis Ende Juni einem Erlös von umgerechnet 50,3 Milliarden Euro erreicht. Wie der Fachdienst "Onvista" erklärt, ist der Gewinn gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf rund 11,5 Milliarden Euro regelrecht gesprungen. Ein Grund war natürlich, dass die Basis 2020 aufgrund der Pandemie nur sehr gering gewesen ist.
Sehr große Exportsteigerungen nach Deutschland
Die Experten des Fachdienstes glauben daran, dass Gazprom im laufenden Jahr einen neuen Rekordumsatz erzielt. 2020 lagen die Russen mit einem Erlös von umgerechnet 95 Milliarden Euro weltweit auf dem neunten Platz, wenn man diesen Teil der Bilanz als Kriterium heranzieht. Auf dem ersten Platz befand sich China National Petroleum Corporation mit 330 Milliarden Euro, gefolgt von Saudi Aramco (300 Milliarden Euro) und von Royal Dutch Shell (290 Milliarden Euro). Das geht aus einer Liste hervor, die das Fachportal "BizVibe" erstellt hat.
Auch wenn Gazprom weltweit nicht zu den allergrößten Konzernen zählt, gehört er doch zu den "Top Ten" und nimmt damit einen sehr wichtigen Teil am Weltmarkt ein. Und daran haben nicht zuletzt auch die Geschäfte mit den deutschen Partnern ihren Anteil. Das russische Unternehmen hat bis Ende August seine Gaslieferungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 17,9 Prozent auf 337,2 Milliarden Kubikmeter Rohstoff vergrößert.
Und gerade die Lieferungen nach Deutschland wurden aufgestockt, wie aus einer offiziellen Erklärung des Konzerns hervorgeht. So hat Gazprom seinen deutschen Kunden 39,3 Prozent mehr als noch zwölf Monate zuvor geliefert. Damit lag dieser Markt bei der Erhöhung der Volumina auf dem vierten Platz. Die Nummer eins auf der Liste war Rumänien (plus 344 Prozent), gefolgt von der Türkei (173,6 Prozent) und Serbien (123,6 Prozent). Die Exportsteigerungen in dieser Länder sind zwar nominell höher, doch tatsächlich weniger bedeutend als die Lieferung nach Deutschland, weil dies der größte Markt von allen ist.
Russen holen auch Linde mit ins Boot - beim Flüssiggas
Darüber hinaus legt Gazprom bei der Erzeugung von Flüssiggas den Vorwärtsgang ein - und baut dabei auch in diesem Segment auf die Unterstützung der Deutschen. So haben die Russen Ende August mit dem deutschen Industriegas-Hersteller Linde und einem weiteren russischen Partner einen Entwickler für Ingenieursdienstleistungen gegründet. Etwa 80 Prozent halten die Russen, während der Rest auf Linde fällt.
Es geht um ein Megaprojekt, das die Unternehmen bereits Ende März vereinbart haben. So soll an der Ostsee - in der nordwestrussischen Ortschaft Ust-Luga - eine Großanlage für die Produktion und Verarbeitung von Flüssiggas (LNG) entstehen, die in Russland neue Maßstäbe setzt.
So werden dort den Planungen zufolge pro Jahr 13 Millionen Kubikmeter produziert und 45 Milliarden Kubikmeter LNG verarbeitet werden. Zum Vergleich: Die russischen Hersteller haben 2020 im Vergleich zum Vorjahr ihre Produktion um 3,5 Prozent auf etwas mehr als 30 Millionen Kubikmeter erhöht, wie das russische Statistikamt Rosstat berichtet.
Auf diese Weise unterstützen die deutschen Partner die anhaltend guten Geschäfte des Gas-Riesen, der damit auch ein sehr wichtiger Akteur an der Moskauer Börse ist. Der russische RD-Index hat bis Mitte August im Vergleich zum Jahresbeginn ein Wachstum um ein Drittel erreicht. Allerdings halten sich die deutschen Anleger mit direkten Engagements für die Gazprom-Aktie immer noch sehr bedeckt. Experten kritisieren, dass die Medien nur unzureichend über die Ost-Börsen berichten. Zudem interessieren sich ihrer Meinung die Bank-Experten in den westlichen Finanzinstituten nur unzureichend für die Region.
EU-Finanzsanktionen bremsen deutsche Anleger
Ein Problem ist mit Sicherheit auch in Russland zu suchen. Denn an den westlichen Börsen werden die Aktien direkt nicht gehandelt, sondern nur eine relativ geringe Zahl sogenannter American Depositary Receipt (ADR). Dies sind US-amerikanische Hinterlegungsscheine, die von einer amerikanischen Depotbank herausgegeben werden. Der ADR weist Eigentumsrechte an Gazprom-Aktien nach, die bei der Bank of New York Mellon hinterlegt worden sind.
Diese Scheine machen 16,5 Prozent am Aktienkapital des Konzerns aus. Der Großteil hält der russische Staat, der entweder direkt über eine staatliche Agentur oder indirekt über andere staatliche Firmen mehr als 50 Prozent der Aktien kontrolliert. Und gerade hier gibt es ein weiteres Problem: Die EU hat im Rahmen der Sanktionen gegen das Land westlichen Anlegern verboten, mit Aktien russischer Unternehmen Geld zu verdienen, wo der Staat mehr als die Hälfte der Aktien besitzt. Allerdings gilt diese Einschränkung nur für die Transaktionen, die nach dem Ausbruch der Ukraine-Krise getätigt werden - also nach 2014.
Grundsätzlich erschweren die Sanktionen damit auch das Engagement der deutschen Investoren, die sich auch bei anderen Transaktionen am Kapitalmarkt merklich zurückhalten. Dies wird auch an einem Eurobonds ersichtlich, den Gazprom Ende Oktober des vergangenen Jahres platziert hat. Das Volumen betrug 7,4 Milliarden Dollar, das der höchste Wert einer Euroobligation war, den das Unternehmen seit 2013 angeboten hat. Das berichten russische Fachmedien.
Der Anteil der ausländischen Investoren am Gesamtvolumina betrug zwar 80 Prozent. Doch waren die deutschen Interessenten dabei nur unter ferner liefen. Die Kontinental-Europäer übernahmen davon ein Drittel, unter denen sich die Deutschen auch befanden, ohne dass man sie allerdings gesondert ausgewiesen hätte. Im Gegensatz dazu hatten die Briten mit 27 Prozent sogar eine eigene Kategorie, mit denen sie den zweiten Platz in der Gesamttabelle einnahmen. Danach waren die US-Amerikaner mit 16 Prozent zu finden.
Selbst wenn sich mehr Deutsche für direkte Engagements bei Gazprom interessieren würden, wäre es für sie nur sehr schwer, dort die Entscheidungen mit zu beeinflussen. Denn der Energie-Koloss verfügt über sehr schwerfällige Entscheidungsstrukturen, die für Außenstehende nur kaum ersichtlich sind.
"Wenn Sie in der Gasindustrie arbeiten, ist es nicht einfach, die Feinheiten der bürokratischen Struktur von Gazprom zu verstehen", berichtet das einheimische Fachportal "Yandex" und beruft sich dabei offenbar auf einen Insider, der dort gearbeitet hat. "Manchmal kann es sein, dass nicht alle wissen, was die eigene Abteilung macht. Denn diese kann sich nicht nur auf unterschiedlichen Etagen im selben Gebäude befinden, sondern sogar über verschiedene Adressen verstreut sein - manchmal sogar in mehreren Städten", schreibt der Eingeweihte.
Gazprom-Chef einer der mächtigsten Männer der Welt
Soviel aus dem Alltag, der für die Angestellten offenbar schon schwer genug ist. Doch auch auf den Führungsetagen ist die Entscheidungsfindung ziemlich kompliziert. So ist das wichtigste Gremium die Hauptversammlung - wie in allen Konzernen der Welt auch. Dort versammeln sich die Aktionäre, die den Vorstandsvorsitzenden wählen. Aktuell ist es Alexei Miller, dessen Vertrag im Februar 2021 bis 2026 verlängert worden ist. Das US-Magazin "Forbes" hält ihn für einen der mächtigsten Männer der Welt.
Doch nicht nur er hat eine herausragende Position, sondern auch andere Vertreter der Hauptversammlung. So befinden sich dort Regierungsmitglieder, die Manager größerer Banken sowie angesehene Wissenschaftler des Landes.
Darüber hinaus verfügt das Unternehmen über 60 hundertprozentige Tochtergesellschaften und mehr als 40 Firmen, an denen es den Mehrheitsanteil hält. Hier sieht man, wie schwierig ist wäre, sich hier durchzusetzen, selbst wenn man direkt im Konzern beschäftigt wäre oder dort sogar eine führende Rolle einnehmen würde. Dass die Deutschen nur Partner von Gazprom sind und dort nicht direkt versuchen, Einfluss zu nehmen, kann sogar von Vorteil sein. Denn angesichts der schwierigen internen Strukturen bei Gazprom wäre das wohl auch kaum möglich.