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Digitalisierung: Wird der Mensch zum Roboter mit DNA?

Lesezeit: 7 min
19.09.2021 12:13  Aktualisiert: 19.09.2021 12:13
Bernd Liske beschreibt die den neuartigen Technologien innewohnenden Risiken und was zu tun ist, um auf eine menschenwürdige Zukunft hinzuarbeiten.
Digitalisierung: Wird der Mensch zum Roboter mit DNA?
Ryan Gosling in einer Szene des Films «Blade Runner 2049». (Foto: dpa)

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Dem immer schneller fließenden Strom des Geschehens ausgesetzt, fällt es zunehmend schwerer, zu erkennen, wie sich die Randbedingungen verändern. Dem Übergang von den bewaldeten Bergen ins flache Land gleich, nimmt man noch wahr, dass immer weniger mit den Händen und immer mehr mit dem Kopf geschaffen wird. Schwerer fällt es dann schon, festzustellen, dass der Sinn dessen, was man hört oder liest, nicht mehr verstanden wird, nicht mehr durchdrungen wird und nicht mehr als Ausgangspunkt für die eigene Leistung genutzt werden kann. Das aber frühzeitig zu erkennen, wäre wichtig, um im Strom nicht zu ertrinken. Denn eine andere Zeitenwende bahnt sich ebenfalls an.

Künstliche Intelligenz macht dem Menschen die Stelle als höchstentwickeltes Leben streitig. Die Fortschritte in der Genetik, der Informations- und Kommunikationstechnik, der Robotik und bei Industrie 4.0 sind dafür die Wegbereiter. Nach Meinung derer, die gegenwärtig viel Geld bekommen, um diese Fortschritte weiter auszubauen- man kann fast glücklich darüber sein, dass dabei nicht wenige sind, die eine hohe Kompetenz besitzen, Fördermittel auf sich zu konzentrieren, aber ansonsten eher inkompetent sind-, wird der damit massiv verbundene Arbeitsplatzabbau durch neue Arbeitsbereiche kompensiert.

Doch die Stimmen mehren sich, dass die Menschheit sich einer neuen Phase ihrer Entwicklung nähert, die der Gesellschaft vollkommen neue Anforderungen abverlangt und Deutschland wird auf Grund der hohen Lohnkosten von dieser Entwicklung besonders betroffen sein. Nach einer Studie des McKinsey Global Institute werden in Deutschland 2030 bis zu 12 Millionen Deutsche einen neuen Job suchen. Diese Entwicklung hat eine ähnliche Qualität wie der Übergang zum aufrechten Gang. Allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.

Es geht oft nur so lange gut, bis es schiefgeht

Die Fähigkeit jedes Menschen, im Rahmen seiner Kernkompetenz weiter kontinuierlich Leistung erbringen zu können, sinkt ebenso und noch dazu exponentiell wie die, Sachverhalte zu verstehen, zu bewerten und einzuordnen. Das gilt für alle Intelligenzniveaus und alle gesellschaftlichen Schichten. Gründe dafür sind nicht nur in den vielfältigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu finden, sondern liegen insbesondere auch an der fehlenden Bereitschaft zur Auseinandersetzung und der fehlenden Anerkenntnis der eigenen Beschränktheit, die wiederum eine wesentliche Voraussetzung wäre, um den Willen zu entwickeln, sich aus der bestehenden Verfasstheit heraus zu entwickeln. Diese Entwicklung erfasst zunächst primär die westliche Welt, weil sie als Erste die Grenzen dessen auslotet, zu dem Menschen in der Lage sind.

Wir verlernen zunehmend, uns auseinanderzusetzen, weil wir es vermeiden, uns auseinanderzusetzen

Daher wird das Heer der Abgehängten schon in den nächsten 10 Jahren weiter massiv wachsen. Dafür benötigt man Antworten. Die immer mehr ausufernden Sicherheitsanstrengungen, deren eigentliches strategisches Ziel auch eine Reaktion auf diese zwangsläufigen Entwicklungen sein soll, sind darauf nur hilflose Antworten und auch dafür mögen Filme wie Blade Runner oder Die Tribute von Panem der Vorstellungskraft auf die Sprünge helfen, wenn man davon absieht, dass auch da unklar bleibt, wie die siegreichen Abgehängten dann in der Lage sein sollen, die Welt zu retten. Selbst der Ruf der Lobbyisten nach Digitalisierung dürfte keine nachhaltigen Lösungsansätze bieten.

Die Digitalisierung ist ein natürlicher Entwicklungsschritt und für vieles hilfreich, doch entscheidend sind die Stärkung der kognitiven Diversität und dafür die allumfassende Entwicklung der individuellen Möglichkeiten der Menschen, die nicht nur kreativ und intellektuell gegeben sind, sondern beispielhaft auch hinsichtlich moralisch-ethischer Aspekte, der Belastbarkeit, der Flexibilität, der Logik, analytisch-konzeptioneller Fähigkeiten oder auch der Bereitschaft zum Handeln in schwierigen Situationen. Dafür, aber auch generell, werden gesellschaftliche Innovationen benötigt.

Wer sich die Apokalypse nicht ausmalen kann, bekommt in BLADE RUNNER mit Harrison Ford und Ryan Gosling ein paar Anregungen. Im Film geht es „um Wesen zweiter Klasse: die Replikanten. Künstlich erzeugte Menschen, die uns ganz unweigerlich einen Spiegel vorhalten und fragen, was eigentliche einen "echten" Menschen ausmacht. In der Welt, …, wirken nämlich alle wie Gefühllose. … Auf ihre Art sind sie alle Maschinen. Das, was den Menschen ihrer Meinung nach ausmacht, sucht man bei ihnen vergebens: Gefühle, ein Gewissen, eine Seele.“ Aus der Eingrenzung innerer und äußerer Freiheitsgrade erwachsene Uniformität, mechanisches anstatt kreatives Denken, blinde Gefolgschaft, die Konzentration von Ressourcen, Macht und Reichtum bei Wenigen gegen die Bedürfnisse der Meisten: Das sind die Zutaten, mit denen wir uns heute schon auf den Weg dorthin bewegen.

Was kann man tun? Der Aphoristiker Prof. Dr. Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger drückt das so aus

Die wichtigsten Innovationen sind jene, die das Denken verändern

Das Wichtigste ist wohl –wie auch in der Natur – den Sauerstoffgehalt zu erhöhen. Die Menschen müssen frei atmen können. Ihre Lungen müssen sich dehnen, um in der Lage zu sein, ihre kreativ-schöpferischen und intellektuellen Potentiale voll entfalten zu können. Das erreicht man am besten mit Bewegung. Mit Auseinandersetzung entlang dessen, wessen man sich bisher nicht zugewandt hat. Es steht die Frage, in welchem Maß sich im gedachten Raum neues Denken und im realen Raum neues Wirken entfaltet, wie aufrecht oder, eigenen oder fremden Restriktionen erliegend, gebeugt das Leben bestritten wird. Die Rahmenbedingungen, darauf Antworten zu finden, stehen jedoch in der Gesellschaft nur bedingt zur Verfügung und es bleibt dem individuellen Tun des Einzelnen überlassen, sich dem zuzuwenden.

Wie gelingt es, ein moralisch-ethisches Grundverständnis durchzusetzen, dass es zukünftig keine auf Leistung und Unterwürfigkeit optimierten Designer-Menschen gibt? Wie gelingt es, zu verhindern, dass noch nicht einmal Staaten wie die USA oder China, sondern wenige Individuen die Welt als Götter mit Hilfe der künstlichen Intelligenz beherrschen? Stephen Hawking meint, „eine wirksame Künstliche Intelligenz zu schaffen, kann das größte Ereignis in der Geschichte unserer Zivilisation werden. Oder das schlimmste. Wir wissen es einfach nicht. Wir wissen nicht, ob intelligente Maschinen uns unendlich helfen werden oder ob sie uns ignorieren, verdrängen oder sogar zerstören werden.“

Wie sehr derartige Vorstellungen im Denken der Eliten verankert sind, zeigen die Vorstellungen eines ihrer Apologeten: Von Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums. In einer Rede vor dem renommierten Chicago Council on Global Affairs sprach er davon, dass die vierte industrielle Revolution im Rahmen des „Great Reset“ „zu einer Verschmelzung unserer physischen, digitalen und biologischen Identität führen“ würde und in seinem Buch Die Zukunft der Vierten Industriellen Revolution: Wie wir den digitalen Wandel gemeinsam gestalten führt er aus:

„Biologische Computertechnik könnte uns bald ermöglichen, spezialisierte Mikrochips durch anwendungsspezifische Organismen zu ersetzen, ein wesentlicher Aspekt der neuen Kulturform des ´Biohacking´ – einer Bewegung, in der sich Individuen und Organisationen die Errungenschaften der Biologie zu eigenen Zwecken zunutze machen. … Unsere Fähigkeit, komplexe biotechnische Systeme zu generieren, wird durch die Kapazität zur Vornahme gezielter genetischer Mutationen – also der bewussten, geplanten Modifikation der Biologie –, die durch rechnerische Ansätze möglich wurde, enorm gesteigert. … Rechnerische Ansätze, die solide technische Grundsätze mit ureigenen biologischen Eigenschaften kombinieren, werden sich maßgeblich auf unsere Fähigkeiten auswirken, Designer-Organismen zu erschaffen. … Neue Überlegungen zur grundlegenden Berechtigung von Biodesign sowie kreativen und kritischen Gedanken über seine künftigen Anwendungsmöglichkeiten sind aber auch naheliegende ethische Fragen. Dazu gehören … Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Veränderung der Keimbahn komplexer Organismen wie der menschlichen ergeben.

Das Feld der Neurotechnologie reift rasch heran. Es eröffnet Chancen, in der Vierten Industriellen Revolution ganz neue Wertesysteme zu entwickeln, bringt aber auch maßgebliche Risiken und Bedenken mit Blick auf die politische Gestaltung mit sich. … Neurotechnologien sind aus drei Gründen bedeutsam. Erstens verheißt die Fähigkeit, das Gehirn ´zu lesen und zu schreiben´, neue Industrien und Wertschöpfungssysteme mit tief greifenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Folgen. … Gleichzeitig bereitet die Möglichkeit, sich Zugriff auf die intimsten Gedanken eines Menschen zu verschaffen und sein Denken zu beeinflussen, in einer von Algorithmen und allgegenwärtiger Datenerfassung gesteuerten Welt große Sorgen. … Der Ingenieur und Erfinder Elon Musk hat vor Kurzem mitgeteilt, er habe in ein Unternehmen investiert, das sich auf die Entwicklung von Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer fokussiert, ´weil er eine stärkere Verschmelzung biologischer und digitaler Intelligenz kommen sehe.´ … Weitaus größere wirtschaftliche Effekte könnten Neurotechnologien durch die Leistungssteigerung des menschlichen Gehirns haben, wodurch die Produktivität von Arbeitskräften erhöht würde. … Mit wachsenden Kapazitäten in diesem Bereich wird es für Strafverfolgungsbehörden und Gerichte jedoch verlockender, Techniken … zur Bewertung von Schuld oder potenziell gar zum direkten Abruf von Erinnerungen aus dem menschlichen Gehirn einzusetzen. … dass Arbeitgeber direkt oder indirekt die Gehirne von Arbeitnehmern überwachen.“

Ist das die Vorstellung für die Generationen der Kinder und Enkel? Doch Nutztiere zu sein für die Götter? Die Betrachtung zeigt, dass die Auseinandersetzung gerade auch mit gesellschaftlichen Themen nicht nur der eigenen Menschwerdung dient, weil sie in besonderer Weise die Nützlichkeit für die Umwelt entwickeln kann, sondern auch notwendig ist, um Bemühungen, die an ganz andere Ziele gebunden sind, entgegentreten zu können.

Bei der Frage, wie man sich dafür einbringen kann, dass es nicht zu solchen – die menschliche Zivilisation bedrohenden und schon in naher Zukunft möglichen – Entwicklungen kommt, lautet die Antwort: Sei Mensch bei all dem, was du denkst und bei all dem, worauf du wirkst. Denn die Kraft des Guten entfaltet sich nicht über die Mittel des Bösen. Bei der Frage, wann man damit anfangen sollte, lautet die Antwort: Sofort.

Eine zunehmende Selbstbestimmtheit jedes Einzelnen von uns erbringt für unser Land einen ähnlichen Beitrag wie der Wassertropfen, der dem Strom seine Kraft gibt

Die hier geführte Diskussion zeigt auch, wie sehr originäre Ziele Einfluss auf die sich erst in einer Folge von Schritten zu Tage tretenden Ergebnisse nehmen. Treiber für technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung sind nicht Betrachtungen, wie zukünftige Gesellschaften den Lebenswert für Ihre Menschen verbessern können und sie vor Herausforderungen bewahren können, sondern Fähigkeiten immer kleiner werdender Gruppen, Leistungen zur Verfügung stellen zu können und für diese Märkte und Rahmenbedingungen zu schaffen. Im Rahmen der Komplexität, in der sich gesellschaftliche Entwicklungen vollziehen, sind das aber Singularitäten, die auf Grund ihrer aus Eigennutz hervorgehenden Sichtweisen zu Problemen für die gesellschaftliche Entwicklung werden – die in der hier geführten Diskussion insbesondere dadurch zum Tragen kommen, dass die Menschheit in ihrer Breite mit der technologischen Prosperität nicht Schritt hält.

Insofern bedarf es auch hier eines Reengineering von – hier gesellschaftlichen – Problemlösungsprozessen. Es darf nicht darum gehen, eine Vielzahl von Digitalisierungsprojekten anzustoßen, für die man irgendeinen Nutzen identifiziert, sondern es muss darum gehen, wie die Gesellschaften für ihre Menschen ein lebenswertes Umfeld schaffen, in dem jeder entlang seiner Individualität glücklich wird. Dabei kommt dann durchaus auch auf Digitalisierungsprojekte, beschäftigt sich aber bei Industrie 4.0-Projekten, die Arbeitsplätze kosten, auch mit der Frage, welche Probleme man identifizieren kann, die Arbeitsplätze schaffen und die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz führt dazu, an der Bereitschaft und den Möglichkeiten zu arbeiten, eine der grundlegenden Fähigkeiten zu beherrschen, mit denen der Mensch Einfluss nimmt auf seine analytischen wie auch seine kreativ-schöpferischen Möglichkeiten: Das Lesen.

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In den Text sind Betrachtungen aus dem neuesten Buch von Bernd Liske eingeflossen: Aphorismen für die Menschwerdung des Affen – Wie der Mensch zum Menschen und wie die Demokratie ihrem Anspruch gerecht werden kann.

Bernd Liske (Jg. 1956 / studierter Mathematiker) ist Inhaber von Liske Informationsmanagementsysteme. In seinen Büchern und Artikeln setzt er sich mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen unserer Gesellschaft auseinander, um so Beiträge für die Erhaltung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu leisten.

Bernd Liske (Jg. 1956 / studierter Mathematiker) ist Inhaber von Liske Informationsmanagementsysteme. In seinen Büchern und Artikeln setzt er sich mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen unserer Gesellschaft auseinander, um so Beiträge für die Erhaltung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu leisten. Die in seinem Buch Aphorismen für die Menschwerdung des Affen – Wie der Mensch zum Menschen und wie die Demokratie ihrem Anspruch gerecht werden kann veröffentlichten Aphorismen betrachtet er als Open-Source-Betriebssystem zur Analyse und Gestaltung individueller, unternehmerischer und gesellschaftlicher Prozesse. Das den Aphorismen vorangestellte Essay über die „Auseinandersetzung als Beitrag für die Menschwerdung des Affen“ beschäftigt sich insbesondere mit der Natur der Demokratie und stellt Wege zur Diskussion, wie die westlichen Demokratien eine nachhaltige Zukunft gestalten können.


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