Politik

Bundestagswahl: Deutsch-Russen und Deutsch-Türken driften nach rechts ab

Lesezeit: 5 min
17.09.2021 17:58
Aus einer Studie geht hervor, dass die deutsch-türkischen und deutsch-russischen Wähler zunehmend nach rechts abdriften. Diese Gruppen dürften bei der Bundestagswahl als Zünglein an der Waage fungieren. Währenddessen arbeitet die Auslandspresse bereits Prognosen zum Wahlausgang aus.
Bundestagswahl: Deutsch-Russen und Deutsch-Türken driften nach rechts ab
Ein Stimmzettel für die Briefwahl zur Bundestagswahl liegt auf einem Tisch. (Foto: dpa)

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Die „Deutsche Welle“ berichtet, dass die Wähler mit Migrationshintergrund das Zünglein an der Waage darstellen dürften. Etwa 7.4 Millionen Wähler (zwölf Prozent) haben einen Migrationshintergrund. 2,8 Millionen Deutsche haben einen türkischen, 2,2 Millionen einen polnischen und 1,4 Millionen einen russischen Migrationshintergrund, berichtet die „Konrad-Adenauer-Stiftung“ („KAS“). Aus dem Bericht der „Deutschen Welle“ geht hervor, dass die türkischstämmigen Wähler nicht mehr zur loyalen Wählerschaft der SPD gehören. Sie sind nach rechts abgedriftet und wählen zunehmend CDU/CSU. Die polnischstämmigen Wähler haben sich hingegen zu Wählern der Grünen entwickelt. Währenddessen ist ein signifikanter Teil der russischstämmigen Wähler von der CDU/CSU zur AfD abgerückt.

Der „Guardian“ führt aus: „Dieser Wahlkampf ist einer der offensten in der jüngsten Vergangenheit, wobei drei Parteien in verschiedenen Phasen bei Meinungsumfragen führen. Nachdem CDU und Grüne im Frühjahr ihre Kandidaten vorgestellt hatten, überholte die Öko-Partei die Konservativen kurzzeitig an die Spitze. Als Baerbocks Stern verblasste, nachdem sie behauptet hatte, sie habe Passagen in einem Buch plagiiert und ihren Lebenslauf aufgeblasen, stellte die CDU die Pole-Position wieder her, die sie im ersten Jahr der Pandemie genossen hatte. Doch der CDU-Kandidat Laschet wirkte in der eigenen Partei faul und schwach, und in den letzten Wochen hat sich die SPD zum neuen Überraschungs-Spitzenreiter vorgeschlichen.

Es wird prognostiziert, dass keine dieser Parteien mehr als 25-27 Prozent erreicht. Das bedeutet, dass die Siegerpartei in der Nacht nicht automatisch den nächsten Kanzler aufstellt, es sei denn, sie kann eine Koalition bilden, die eine Regierungsmehrheit hat. Da in diesem Jahr voraussichtlich 6-10 Prozent der Stimmen an Parteien gehen werden, die es nicht über die parlamentarische Schwelle schaffen, benötigt diese Mehrheit möglicherweise nur 46 Prozent der Stimmen. Auch dann wird nach aktuellen Umfragen die nächste Bundesregierung zu einer Machtteilung zwischen drei verschiedenen Parteien führen – etwa eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP oder CDU, Grüne und FDP.“

Das „European Council on Foreign Relations“ („ECFR“) prognostiziert, dass die SPD 25 Prozent, die CDU/CSU 21 Prozent, die Grünen 17 Prozent, die AfD und die FDP jeweils elf Prozent, die Linke sechs Prozent und alle restlichen Parteien gemeinsam sechs Prozent erzielen werden. Das „ECFR“ wörtlich: „Im Großen und Ganzen scheinen die Parteien eine Einschätzung der globalen Herausforderungen zu teilen. Die CDU/CSU stellt fest, dass ,wir uns mitten in einem weltweiten, epochalen Wandel befinden‘ und dass Demokratien und autoritäre Staaten ,miteinander kämpfen, um die Zukunft im 21. Jahrhundert zu gestalten‘. Ebenso spricht die SPD von einem ,globalen Wettbewerb‘. Die AfD stellt fest, dass sich die internationalen Beziehungen in Richtung einer multipolaren Weltordnung verschieben. Die FDP will ,dem autokratischen Machtstreben entgegentreten‘ – eine Formulierung, die sich fast wörtlich im Manifest der Grünen wiederfindet. Auch Die Linke sieht zunehmende geopolitische Rivalitäten – sieht jedoch alle Seiten gleichermaßen schuldig und kritisiert die USA für einen ,konfrontativen Kurs, um ihre eigene Vormachtstellung zu behaupten‘.“

Die türkische EU-Expertin Asiye Bilgin Yıldız teilte dem Sender „TRT World“ mit: „Umfragen und aktuelle Recherchen zeigen, dass Merkels CDU an Boden verloren hat und ihr Kandidat Laschet an Sympathie verloren hat, während die Grünen viele Stimmen gewonnen haben. Aber wir sollten den sehr hohen Anteil an unentschiedenen Wählern nicht vergessen.“

Der englischsprachige türkische Sender führt aus: „SPD und Grüne haben die gleichen politischen Visionen, wenn es um die Erhöhung des nationalen Mindestlohns, die Erhöhung der Steuern für Reiche und die Beschleunigung des Umstiegs auf erneuerbare Energien geht. Sie verfolgen dieselbe lockerere Haushaltspolitik sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Scholz betrachtet den Covid-19-Wiederherstellungsfonds der EU als Hebel für den gemeinsamen Schuldenmechanismus des Blocks. Die FDP hat mit diesen beiden Parteien Widersprüche, indem sie eine strengere Haushaltspolitik befürwortet und gegen höhere Ausgaben und eine erhöhte Kreditaufnahme ist.“

Yıldız meint, dass die FDP in vielen Punkten der CDU sehr nahestehe. Es würde einer Überraschung gleichkommen, wenn die FDP mit der SPD und den Grünen zusammenarbeiten würde. „Die Partei wird zu dem stehen, der aus den Wahlen stärker hervorgeht. Das ist entweder CDU oder SPD“, so die EU-Expertin. Der Sender weist auf eine weitere Möglichkeit hin: „Scholz befürwortet zwar keine Koalition mit der Linkspartei aufgrund ihrer Anti-NATO-Bündnishaltung. Aber wenn die FDP sich weigert, mit seiner Partei und den Grünen in der Regierung zu stehen, muss er eine Koalition mit der Linkspartei überdenken, um eine Mehrheit zu erreichen.“ Eine Neuauflage der Großen Koalition sei hingegen sehr unwahrscheinlich.

Die US-Zeitschrift „Foreign Policy“ weist darauf hin, dass es Olaf Scholz gewesen ist, der unter Schröder einen neoliberalen Kurs zum Nachteil der Arbeitnehmer vorangetrieben hat. Doch auch den Gegensatz zwischen links und rechts habe die SPD verwässert. „Es waren nicht die Christdemokraten, die das Links-Rechts-Gefälle als Hauptachse der deutschen Politik beendeten. Es war die SPD. Der Neoliberalismus der SPD unter dem damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder Ende der 1990er Jahre brach den linken Flügel von der Sozialdemokratie heraus. Unter der Führung des charismatischen damaligen Bundestagspräsidenten Oskar Lafontaine schloss sich die westdeutsche Linke mit der DDR-Partei des Demokratischen Sozialismus – Abkömmling der kommunistischen Regierungspartei – zur Linke zusammen. Obwohl er sich heute von der harten Sozialpolitik von Schröders rot-grüner Koalition distanzieren will – das Hartz-IV-Sozialregime ist jetzt ein Gräuel – hat Vize-Bundeskanzler Olaf Scholz Schröder treu als Generalsekretär der SPD gedient. Nicht nur in der Innenpolitik, sondern auch in der Außenpolitik. In den 2000er Jahren öffnete sich eine tiefe Kluft zwischen der rot-grünen Regierung und der Linke. Sowohl die SPD als auch die Grünen sind durch und durch tramsatlantisch, während Die Linke die NATO-Mitgliedschaft Deutschlands in Frage stellt.“

Nach dem 27. September dürfte eine Koalition aus CDU-Grüne-FDP nach Angaben der Zeitschrift rechnerisch möglich sein. Eine Koalition mit der FDP statt mit der Linke sei für SPD und Grüne eine weitaus sicherere Koalition.

Experten des „European House – Ambrosetti“ teilten dem US-Sender „CNBC“ mit, dass der Ausgang der Bundestagswahl entscheidend sein wird für die Stabilität Deutschlands und die Zukunft der EU. „Es ist keine normale Wahl Wahrscheinlich wird es auch dieses Mal drei, vier, fünf Monate dauern, weil wir eine Koalition aus drei Parteien haben werden und es nicht einfach wird, sie zusammenzubringen“, so Lars Feld, Direktor des Walter Eucken Instituts. Nach aktuellen Umfragen sind laut Politikexperten mindestens drei Koalitionen möglich.

Valerio De Molli, CEO des „European House – Ambrosetti“, sagt, dass Europa eine stabile Bundesregierung benötige, um „die derzeit sehr starke europäische Dynamik zu erhalten“. De Molli wörtlich: „Alle haben die unglaubliche Macht Europas und der Europäischen Kommission trotz all der vielen bürokratischen Vorurteile und Schwierigkeiten erkannt. Der EU-Plan der nächsten Generation hat eine unglaubliche Geschwindigkeit und eine unglaubliche Dimension erreicht.“

Der Plan, der auch als „Next Generation EU“ oder sogar „Corona Bonds“ bezeichnet wird, soll bis zu 800 Milliarden Euro (950 Milliarden US-Dollar) aufbringen und wurde bereits in den 27 EU-Ländern eingesetzt. Die Idee einer gemeinsamen Verschuldung in der gesamten EU war in der Vergangenheit umstritten, wobei konservativere Länder skeptisch gegenüber der Unterstützung hochverschuldeter Länder waren. Doch das Zögern wurde im Zuge der Coronavirus- Pandemie überwunden. „Wenn Sie eine Regierung von Olaf Scholz, den Grünen und der Linkspartei in einer Koalition haben, dann haben wir gute Chancen, dass diese europäischen ‚Corona-Bonds‘ ewig halten, dass wir die Möglichkeit haben, eine Staatsverschuldung auf EU-Ebene für längere Zeit beizubehalten“, so Feld. Allerdings sei die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen einen derartigen Plan.

Die „Moscow Times“ beschäftigt sich mit Armin Laschet. Das Blatt berichtet: „Die deutschen Medien haben Laschet als Merkel-Loyalisten bezeichnet, der ihre Ära verlängern werde. Bedenken wurden jedoch über Laschets außenpolitische Ansichten geäußert. Bereits 2014 nahm die Zeitung ,Die Welt‘ Laschet auf die Liste der Putin-Versteher. Damals beklagte er in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den ,Anti-Putin-Populismus‘ und das Ausbleiben außenpolitischer Diskussionen in Deutschland. Auch wenn das Krim-Referendum gegen das Völkerrecht verstieß, so Laschet, müsse sich Deutschland an die Stelle Russlands versetzen. Er verurteilte auch die ,Dämonisierung Putins‘ und sagte, dass fast alle Bedenken Russlands über die Ausbreitung des Dschihadismus während des syrischen Bürgerkriegs berechtigt seien. Als Russland 2015 seine Militärkampagne in Syrien begann, stellte Laschet die Position der NATO-Führung zu russischen Luftangriffen in Syrien in Frage (…) Und nach der Skripal-Vergiftung in Großbritannien schlug er in einem Tweet vor, dass die NATO-Staaten ,verlässliche Beweise‘ haben sollten, bevor sie sich solidarisch gegen Russland versammeln.“

Laschet wörtlich: „Wenn man fast alle NATO-Staaten zur Solidarität zwingt, sollte man dann nicht sichere Belege haben? Man kann zu Russland stehen wie man will, aber ich habe im Studium des Völkerrechts einen anderen Umgang der Staaten gelernt.“


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