Eine größere Gruppe von Migranten bewegt sich nach Angaben der Behörden in Weißrussland zu Fuß auf die Grenze zum EU-Nachbarland Polen zu. Auf Fotos ist zu sehen, wie Hunderte Menschen ihr Hab und Gut tragen. Der Grenzschutz von Weißrussland erklärte am Montag nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Belta, man habe «alle notwendigen Maßnahmen» ergriffen, um die Sicherheit zu gewährleisten.
Aus Sicht der polnischen Regierung könnte die Gruppe versuchen, in der Nähe des Ortes Kuznica Bialostocka die Grenze zu durchbrechen. «Nach neuesten Informationen steht diese riesige Gruppe von Migranten unter der Kontrolle von bewaffneten belarussischen Einheiten, die entscheiden, wohin sie gehen darf und wohin nicht», schrieb Geheimdienstkoordinator Stanislaw Zaryn auf Twitter. Er sprach von einer weiteren feindlichen Aktion des Nachbarlands gegen Polen. Die polnische Regierung berief deshalb einen Krisenstab ein.
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko sieht sich in der Kritik, Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Er hatte als Reaktion auf Sanktionen gegen sein Land erklärt, Menschen auf ihrem Weg zu einem besseren Leben im «gemütlichen Westen» nicht mehr aufzuhalten. In der Grenzregion gab es bereits mehrere Todesfälle unter Migranten. Die EU-Staaten Polen und Litauen haben in den vergangenen Monaten Tausende Grenzübertritte gemeldet. Deutschland gilt als ein Hauptziel der Migranten.
Die EU erkennt Lukaschenko seit der umstrittenen Präsidentenwahl im vergangenen Jahr nicht mehr als Staatsoberhaupt von Weißrussland an. Unterstützt wird Lukaschenko von Russlands Präsident Wladimir Putin.
Litauen schickt inzwischen Militär an seine Grenze zu Weißrussland, um sich auf einen möglichen Zustrom an Migranten vorzubereiten. Das teilte die litauische Innenministerin Agne Bilotaite am Montag auf einer Pressekonferenz mit. Ihren Worten zufolge wird das Kabinett darüber beraten, ob in dem Grenzgebiet der Ausnahmezustand ausgerufen wird. Wie viele Soldaten in die Region entsandt und wo genau diese postiert werden sollen, wollten die Behörden nicht angeben und führten Sicherheitsgründe dafür an.
Kürzlich hatte Litauen bereits mit dem Bau einer Mauer an der Grenze begonnen. Hintergrund ist die steigende Zahl von Migranten, die über Belarus in die Nachbarländer kommen wollen. Allein an der polnisch-belarussischen Grenze versuchen täglich Hunderte illegal nach Polen und damit in die EU zu gelangen. Ihr Ziel ist zumeist Deutschland.
„Rossijskaja Gaseta“: Doppelmoral in EU bei Migranten
Zu den Migranten, die versuchen über Belarus in die Europäische Union zu gelangen, schreibt die russische Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta am Montag:
«Litauen und Polen haben begonnen, sich von ihrem Nachbarn Belarus abzuschotten, in dem sie Grenzanlagen bauen, die sie mit Stacheldraht verstärken. Aus europäischer humanitärer Sicht ist das ein zweifelhafter Schritt. Vilnius und Warschau hoffen so, den Zulauf Tausender nicht legaler Migranten, die über Belarus in die EU streben, zu stoppen. (…) Obwohl die EU öffentlich für den Schutz der Rechte von Flüchtlingen und Migranten eintritt, ist es wahrscheinlich, dass auch sie Geld für dieses Grenzprojekt ausgibt. Im Fall eines vollständigen Baus der Anlagen, wird es zweifellos zu neuen Opfern unter den Flüchtlingen aus Syrien, aus dem Irak und aus Afghanistan kommen. Sie stürmen nämlich verzweifelt von Belarus die Grenzen zu Litauen und Polen - in der Hoffnung auf politisches Asyl in der EU. Die Situation bestätigt einmal mehr die Doppelmoral im "geeinten Europa", das vor einiger Zeit den damaligen US-Präsidenten Donald Trump in belehrendem Ton für seine harte Migrationspolitik und den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko kritisierte.»
Aktivisten wollen Migranten per Bus nach Deutschland bringen
Aktivisten aus Deutschland wollen diese Woche mit einem Bus Migranten und Flüchtlinge aus Polen nach Deutschland bringen. Der Bus der Initiativen Seebrücke Deutschland und LeaveNoOneBehind soll am Montag außerdem Hilfsgüter für geflüchtete Menschen in die Nähe der polnisch-belarussischen Grenze bringen, wie die Organisatoren am Freitag mitteilten.
«Das Innenministerium wird gebeten, dass dem Bus auf der Rückreise eine Erlaubnis erteilt wird, geflüchtete Menschen auf einem sicheren Weg nach Deutschland als Zeichen der europäischen Solidarität zu bringen», teilte die Initiative Seebrücke mit, die sich der Seenotrettung von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer verschrieben hat. Eine entsprechende Anfrage habe man am Donnerstag an das Bundesinnenministerium gerichtet, berichteten die Aktivisten.
«Eine unautorisierte Beförderung und eine etwaige unerlaubte Einreise kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen», sagte der Sprecher des Ministeriums, Steve Alter, auf die Frage, ob die Aktivisten mit einer Erlaubnis rechnen könnten. «Die Ankündigung eines solchen Vorgehens ändert daran nichts», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe darüber hinaus keine Überlegungen für ein Aufnahmeprogramm für Menschen aus Belarus. Die Bundesregierung habe zudem Interesse daran, dass die Dublin-Regeln eingehalten würden, die festlegen, in welchem EU-Mitgliedstaat ein Schutzsuchender seinen Asylantrag stellen muss.
Im Oktober registrierte die Bundespolizei im Grenzgebiet 5285 unerlaubte Einreisen mit Bezug zu Belarus. In den ersten vier Novembertagen wurden nach Angaben der Bundespolizei 572 weitere unerlaubte Einreisen von Ausländern, die über Belarus gereist waren, festgestellt.
An den EU-Binnengrenzen sind Kontrollen eigentlich nicht vorgesehen. Es gibt aber Ausnahmen, die Deutschland und einige andere Staaten in Anspruch nehmen. Die deutsche Polizei kontrolliert beispielsweise seit Herbst 2015 an der Grenze zu Österreich, jedoch nicht flächendeckend. An der deutsch-österreichischen Grenze waren zuletzt trotz stationärer Kontrollen deutlich weniger unerlaubte Einreisen aufgefallen als im Grenzgebiet zu Polen.
Bei den über Belarus und Polen Einreisenden handelt es sich mehrheitlich um Menschen aus dem Irak, aus Syrien, Afghanistan und dem Iran. Das polnische Grenzgebiet zu Belarus ist zur Sperrzone erklärt worden. Journalisten und Helfer haben keinen Zutritt.
Organisationen bringen Migranten nach Italien
Die dpa berichtet derweil von der Lage im Mittelmeer:
Nach mehreren Tagen und Nächten im Mittelmeer haben die deutschen Hilfsorganisationen Sea-Eye und Mission Lifeline mehr als 800 gerettete Migranten in einen Hafen auf Sizilien gebracht. Das Schiff «Sea-Eye 4» legte am Sonntag in Trapani an, wo am Nachmittag die ersten Migranten an Land gingen. Einen Tag zuvor hatten die italienischen Behörden den Rettern nach etlichen Stunden Wartezeit die Stadt im Westen der Insel als sicheren Hafen zugewiesen.
«Wir sind erleichtert und überglücklich, dass die Menschen dann endlich in Italien in Sicherheit sind», sagte Gorden Isler, der Vorsitzende der Rettungsorganisation Sea-Eye. Der Regensburger Verein hatte nach eigenen Angaben bei sieben Einsätzen in den vergangenen Tagen mehr als 800 Menschen an Bord geholt - darunter mehr als 200 Minderjährige sowie fünf schwangere Frauen. Mehr als 400 Menschen wurden von einem Holzkahn gerettet, in den schon Wasser eindrang.
Bei den Helfern herrscht neben Erleichterung auch Ärger darüber, dass sie mehrere Tage auf See ausharren mussten, ehe sie einen sicheren Hafen zugewiesen bekamen. Isler warf dem Inselstaat Malta «unterlassene Hilfeleistung» vor. Dort habe man auf Notrufe unter der Woche einfach nicht geantwortet. Die EU müsse das Mitgliedsland drängen, auf Hilferufe wieder zu reagieren - «unabhängig von der Hautfarbe oder der Herkunft der Personen, die sich in Seenot befinden».
Neben der «Sea-Eye 4» war auch die «Ocean Viking» der europäischen Hilfsorganisation SOS Mediterranee im zentralen Mittelmeer zwischen Süditalien, Malta und Nordafrika im Einsatz. Das Schiff hat mehr als 300 gerettete Menschen an Bord und wartet ebenfalls auf die Zuweisung eines sicheren Hafens. Vor allem aus Afrika wagen viele Menschen die gefährliche Überfahrt von Libyen oder Tunesien Richtung Malta und Italien, weil sie in der EU auf ein besseres Leben hoffen.