Deutschland

Erste Ampel im Bund präsentiert ihren Koalitionsvertrag

Die erste bundesweite Ampel-Koalition wird wohl bis Weihnachten stehen. In Berlin haben die Verhandler ihren Koalitionsvertrag präsentiert.
24.11.2021 16:30
Aktualisiert: 24.11.2021 16:30
Lesezeit: 3 min
Erste Ampel im Bund präsentiert ihren Koalitionsvertrag
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, FDP-Chef Christian Lindner, FDP-Generalsekretär Volker Wissing und SPD-Chefin Saskia Esken kommen am Mittwoch in Berlin zur Pressekonferenz, um den Koalitionsvertrag vorzustellen. (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Deutschland steht an einer historischen politischen Wegmarke: Zwei Monate nach der Bundestagswahl haben SPD, Grüne und FDP ihre Koalitionsverhandlungen abgeschlossen und damit den Grundstein für die erste Ampel-Bundesregierung gelegt.

«Die Ampel steht», sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Mittwoch in Berlin. «SPD, Grüne und FDP haben sich in den Verhandlungen auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag verständigt und damit auf ein neues Regierungsbündnis.» Es gehe nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, «sondern um eine Politik der großen Wirkung», sagte Scholz. «Wir wollen mehr Fortschritt wagen.»

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck bezeichnete den Koalitionsvertrag als ein «Dokument des Mutes und der Zuversicht». FDP-Chef Christian Lindner betonte: «Was jetzt gebildet wird, ist eine Regierung der Mitte, die das Land nach vorn führt.» Er sagte voraus, dass Scholz ein «starker Bundeskanzler» wird.

Im Koalitionsvertrag wurde unter anderem Folgendes festgeschrieben: Um Wohnen bezahlbar zu machen, soll die Mietpreisbremse verlängert und verschärft werden. In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu 11 Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15 Prozent.

Stromkunden sollen entlastet werden, in dem zum 1. Januar 2023 die Finanzierung der milliardenschweren EEG-Umlage zur Förderung des Ökostroms über den Strompreis abgeschafft wird. Zum Schutz der Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen soll eine Bewaffnung von Drohnen ermöglicht werden.

Den gesetzlichen Mindestlohn wollen SPD, Grüne und FDP auf 12 Euro pro Stunde erhöhen. Sie verständigten sich zudem auf die Bildung eines neuen Bundesministeriums für Bauen. Vorgesehen ist auch eine Erweiterung des Wirtschaftsministeriums um das Thema Klimaschutz. Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Die Ampel-Parteien wollen den öffentlichen Nahverkehr stärken und dazu vom kommenden Jahr an die sogenannten milliardenschweren Regionalisierungsmittel erhöhen.

SPD, Grüne und FDP vereinbarten ferner, dass im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ab 2023 wieder eingehalten werden soll. Im kommenden Jahr müssten aber wegen der andauernden Pandemiefolgen noch einmal neue Kredite aufgenommen werden. Kommunen mit hohen Altschulden sollen entlastet werden.

Der Koalitionsvertrag muss bei SPD und FDP jeweils durch Parteitage und bei den Grünen in einer Mitgliederbefragung gebilligt werden. Die rund 125 000 Grünen-Mitglieder sollen nach Parteiangaben ab diesem Donnerstag in einer digitalen Urabstimmung über den Vertrag befinden. Auch über das Personaltableau der Grünen, also etwa die Besetzung von Ministerämtern, sollen sie entscheiden.

Nach dem Zeitplan der drei Parteien soll Scholz in der Woche ab dem 6. Dezember im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Bundestagswahl am 26. September nicht wieder kandidiert hatte. Die Kanzlerin und ihre Ministerinnen und Minister von Union und SPD trafen sich am Mittwoch zu ihrer möglicherweise letzten Kabinettssitzung. Merkel erhielt von Scholz einen Blumenstrauß. Anschließend versammelte sich das Kabinett zu einem Gruppenfoto auf einer Treppe im Kanzleramt.

Auch über die Verteilung der Ressorts verständigten sich SPD, Grüne und FDP bereits. Die SPD wird mit Olaf Scholz künftig den Kanzler stellen und zudem sechs Ministerien bekommen, die Grünen fünf und die FDP vier.

Die SPD übernimmt demnach das Innen- und Verteidigungsministerium, ein neu geschaffenes Bauministerium, sowie die Ressorts Gesundheit, Arbeit und Soziales sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit. Auch den Kanzleramtsminister wird sie stellen. An die Grünen geht ein neu geschaffenes Wirtschafts- und Klimaministerium, das Außenministerium sowie die Ressorts Umwelt/Verbraucher, Agrar/Ernährung und Familie. Die FDP bekommt das Finanz-, Verkehrs-, Bildungs- und das Justizministerium.

Die Koalitionsverhandlungen hatten am 21. Oktober begonnen, nachdem die drei Ampel-Parteien zuvor in Sondierungen den Grundstein dafür gelegt hatten. Geführt wurden sie in einer Hauptverhandlungsrunde aus zuletzt je sieben hochrangigen Vertretern jeder Partei sowie in 22 Arbeitsgruppen. In diesen handelten die Fachpolitiker der Parteien die Details des Koalitionsvertrags aus.

Nach dem üblichen Rhythmus von Bundestagswochen käme das Plenum in der Nikolauswoche erstmals am 8. Dezember zusammen. Sollte dann die Kanzlerwahl stattfinden, wären seit der Bundestagswahl 73 Tage vergangenen. Zum Vergleich: Nach der Wahl 2017 dauerte die Regierungsbildung 171 Tage - so lange wie nie zuvor. Vier Jahre vorher waren es 86 Tage gewesen. Dagegen kam die erste und die zweite rot-grüne Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 1998 und 2002 jeweils in nur 30 Tagen zustande.

Aus Sicht der AfD ist die Ampel ein «linkes Projekt», bei dem die FDP nur als «Anhängsel» dient. Im Koalitionsvertrag versprächen die Ampel-Parteien nun «Wohlstand für alle, Grenzen für niemand», sagte der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla am Mittwoch in Berlin. Infolgedessen drohten «soziale Verwerfungen». Deutschland werde immer mehr zu einem «Migrationsmagneten» und zu einem «sozialistischen Gouvernantenstaat», in dem die Bürger gegängelt und für eine grüne «Klima-Ideologie» zur Kasse gebeten würden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Kapitalmarktunion im Rückstand: Banker fordern radikale Integration
12.07.2025

Europas Finanzelite schlägt Alarm: Ohne eine gemeinsame Kapitalmarktunion drohen Investitionen und Innovationen dauerhaft in die USA...

DWN
Immobilien
Immobilien Bauzinsen aktuell weiterhin hoch: Worauf Häuslebauer und Immobilienkäufer jetzt achten sollten
12.07.2025

Die Zinsen auf unser Erspartes sinken – die Bauzinsen für Kredite bleiben allerdings hoch. Was für Bauherren und Immobilienkäufer...

DWN
Finanzen
Finanzen Checkliste: So vermeiden Sie unnötige Kreditkarten-Gebühren auf Reisen
12.07.2025

Ob am Strand, in der Stadt oder im Hotel – im Ausland lauern versteckte Kreditkarten-Gebühren. Mit diesen Tricks umgehen Sie...

DWN
Technologie
Technologie Elektrische Kleinwagen: Kompakte Elektroautos für die Innenstadt
12.07.2025

Elektrische Kleinwagen erobern die Straßen – effizient, kompakt und emissionsfrei. Immer mehr Modelle treten an, um Verbrenner zu...

DWN
Finanzen
Finanzen Elterngeld: Warum oft eine Steuernachzahlung droht
12.07.2025

Das Elterngeld soll junge Familien entlasten – doch am Jahresende folgt oft das böse Erwachen. Trotz Steuerfreiheit lauert ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Krypto ersetzt Börse: Robinhood bietet Token-Anteile an OpenAI und SpaceX
12.07.2025

Die Handelsplattform Robinhood bringt tokenisierte Beteiligungen an OpenAI und SpaceX auf den Markt. Doch was wie ein Investment klingt,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Meta-KI: Facebook-Mutter wirbt KI-Top-Talente von OpenAI ab – Altman schlägt Alarm
12.07.2025

Der KI-Krieg spitzt sich zu: Meta kauft sich Top-Talente, OpenAI wehrt sich mit Krisenurlaub – und Europa droht im Wettrennen um die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deindustrialisierung: Ostdeutsche Betriebsräte fordern Ende von Habecks Energiewende - Industriestandort gefährdet
11.07.2025

Nach dem Verlust von über 100.000 Industriearbeitsplätzen richten ostdeutsche Betriebsräte einen dramatischen Appell an Kanzler Merz....