Finanzen

Deutsche Inflation springt auf 5,2 Prozent: Höchster Wert seit 1992

Die deutsche Inflationsrate hat erstmals seit dem Wiedervereinigungsboom eine 5 vor dem Komma. Doch EZB-Direktorin Isabel Schnabel erwartet künftig wieder niedrigere Werte.
29.11.2021 15:38
Lesezeit: 2 min

Hohe Preise für das Tanken und Heizen haben die deutsche Inflationsrate im November erstmals seit fast 30 Jahren über die Marke von fünf Prozent getrieben. Waren und Dienstleistungen kosteten 5,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Montag in einer ersten Schätzung mitteilte. Einen höheren Wert gab es zuletzt wegen des Wiedervereinigungsbooms im Juni 1992 mit 5,8 Prozent. Ökonomen hatten nur einen Anstieg auf 5,0 Prozent vorhergesagt.

Im Oktober hatte die Inflationsrate noch bei 4,5 Prozent gelegen, im September bei 4,1 Prozent. Während die Europäische Zentralbank (EZB) den Höhepunkt damit erreicht und daher keinen Grund für schnell steigende Zinsen sieht, warnen manche Ökonomen wegen der extrem lockeren Geldpolitik vor einem dauerhaft hohen Preisniveau.

"Deutschland erlebt den stärksten Inflationsschub seit drei Jahrzehnten", fasste der Experte des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Friedrich Heinemann, die Entwicklung zusammen. Das liegt vor allem an der immer teurer werdenden Energie: Sie kostete 22,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, weil Verbraucher etwa für Tanken und Heizen viel mehr berappen mussten. Nahrungsmittel verteuerten sich mit 4,5 Prozent ebenfalls stark. Bei Dienstleistungen lag das Plus bei 2,8 Prozent, wobei die Wohnungsmieten um 1,4 Prozent anzogen.

Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer "legen die Preise mittlerweile auf breiterer Front zu, es geht nicht mehr nur um Energie und einige besonders von Corona betroffene Güter". Wegen der hohen Haushaltsdefizite in den Euro-Staaten und der Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) gelange weiter zu viel Geld in Umlauf. "Die EZB sollte den Fuß vom Gas nehmen, ihre Anleihekäufe einstellen und die Negativzinspolitik beenden", forderte Krämer.

EZB-Direktorin Isabel Schnabel erwartet künftig wieder niedrigere Werte und sieht daher keinen Grund zu einem raschen Kurswechsel in der Geldpolitik. "Wir gehen davon aus, dass im November der Höhepunkt der Inflationsentwicklung erreicht ist", sagte die Währungshüterin im ZDF. Die Teuerungsrate dürfte 2022 wieder allmählich in Richtung zwei Prozent sinken, der EZB-Zielmarke.

Nach europäischer Berechnungsweise lag die deutsche Inflationsrate im laufenden Monat sogar auf dem Rekordhoch von 6,0 Prozent und damit dreimal so hoch wie der Zielwert. Sondereffekte wie etwa die zeitweise Mehrwertsteuersenkung im vergangenen Jahr würden ab Januar aus der Statistik fallen. "Auch die Energiepreise werden nicht mit dem gleichen Tempo weiter steigen", sagte Schnabel. Die pandemiebedingten Lieferengpässe in der Wirtschaft dürften sich zudem allmählich auflösen.

KOMMT LOHN-PREIS-SPIRALE?

Sollte sich die Inflation dauerhaft auf einem höheren Niveau als zwei Prozent festsetzen, werde die EZB entschlossen reagieren. "Aber im Moment wäre es eben ein Fehler, die Zinsen frühzeitig zu erhöhen und damit den Aufschwung zu bremsen, denn das würde im Wesentlichen zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit führen und würde an der aktuell sehr, sehr hohen Inflation gar nichts mehr ändern können", sagte Schnabel.

Die aktuelle Abwärtskorrektur bei den Ölpreisen und die unausweichlichen neuen Kontakt-Einschränkungen in der vierten Corona-Welle dürften schon rasch preisdämpfend wirken, erwartet auch ZEW-Experte Heinemann. Ab Jahresbeginn 2022 geselle sich ein statistischer Bremseffekt hinzu, weil dann die Erhöhung der Mehrwertsteuer aus der Berechnung herausfalle. "So sicher das Absacken der Inflationsrate ab Januar ist, so unklar bleibt, ob Deutschland in den kommenden zwei Jahren wieder mit Inflationsraten in einem Bereich von zwei Prozent rechnen kann", sagte Heinemann. Das entscheide sich auch in den kommenden Tarifverhandlungen.

Viele Ökonomen befürchten eine Spirale aus stark steigenden Preisen und Löhnen, durch die sich die Inflation verfestigen könnte. Die rund 1,1 Millionen Tarifbeschäftigten der Länder bekommen 2,8 Prozent mehr Geld und einen steuerfreien Corona-Bonus von 1300 Euro. "Der Inflationsdruck ist riesig", sagte der Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Werneke, zu Reuters TV. Man habe versucht die Kaufkraft der Beschäftigten zu erhalten.

"Dieser Abschluss wird keine Lohn-Preis-Spirale ins Drehen bringen", sagte Chefvolkswirt Holger Schmieding von der Berenberg Bank dazu. Etwas vorsichtiger ist ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Er sieht in dem Abschluss einen Hinweis auf eine "sanfte Lohn-Preis-Spirale", wie der Experte sagte. "Eine Spirale, die über 2022 hinaus anhalten wird." Das müsse aber nicht schlimm sein, so lange die Lage sich 2023 wieder stabilisiere. In diesem Szenario wären höhere Löhne ein sehr willkommener Teilausgleich für den aktuellen Kaufkraftverlust.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Vom Großraumbüro zur Kokospalme: Wie eine Litauerin Londons Karrierefalle entkam – und auswanderte
25.10.2025

Dominyka Mikšėnaitė hatte alles – Karriere, Gehalt, Aufstiegschancen in London. Doch sie kündigte, verließ das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI-Aktien: Wie Energieversorger zum stillen Profiteur des Tech-Booms werden
25.10.2025

Der Boom der künstlichen Intelligenz treibt den globalen Stromverbrauch auf Rekordniveau. Milliarden fließen in Rechenzentren, Netze und...

DWN
Politik
Politik Hinweise von Meldestelle "Hetze in Netz": Durchsuchung bei „Welt“-Kolumnist Norbert Bolz nach X-Post
24.10.2025

Für den Autor Professor Norbert Bolz ist es Ironie, die Staatsanwaltschaft sieht in dem Post eine strafbare Aussage gegen den renommierten...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Maschinenbauer Voith: Vom Kuka-Exit zum Treiber grüner Technologien
24.10.2025

Der Kuka-Verkauf im Jahr 2016 war für Voith der Wendepunkt. Heute ist der Maschinenbauer mit Wasserkraft, Papiermaschinen und...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzmärkte und KI im Fokus: So erkennen Sie Risiken beim Investieren
24.10.2025

Die Finanzmärkte erreichen neue Höchststände, während Unsicherheit durch geopolitische Spannungen und wirtschaftspolitische...

DWN
Politik
Politik Ukraine: Mann sprengt sich bei Kontrolle in die Luft – mehrere Tote
24.10.2025

Bei einer Polizeikontrolle an der Grenze der Ukraine hat ein Mann eine Handgranate gezündet. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben. Die...

DWN
Politik
Politik Außenministerium: Chinas Zögerlichkeit verzögert Wadephuls Staatsreise
24.10.2025

Der Bundesaußenminister wollte Anfang der Woche nach China reisen, doch der Besuch wird vorerst verschoben. Grund: Peking bestätigte bis...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Automobilindustrie im Wandel: Chinesische Autohersteller übernehmen Führung im Kampf um den Elektroauto-Markt
24.10.2025

Die Elektromobilität verändert die globale Automobilindustrie schneller als erwartet. Alte Strukturen geraten unter Druck, neue...