Technologie

Transhumanismus: Mensch, Maschine, Gott

Lesezeit: 10 min
09.01.2022 15:10
Prof. Dr. Werner Thiede analysiert den Transhumanismus aus philosophisch-theologischer Perspektive.

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"Der Mensch ist, was er immer war; aber er sollte und könnte und müsste mehr sein ..."

Robert Schuhmann

Die neue Bundesregierung möchte die Digitalisierung energisch voranbringen. Doch welche Denkungsart verbindet sich mit dem gängigen Stichwort und Leitbe­griff der „Digitalisierung“ eigentlich? Ist es eine allgemeine, technikbasierte Wachstumsideologie – die als solche allerdings den Klimazielen der Koali­tion weithin zu­widerliefe? Ist es ein taffer Kapitalismus, der sich zunehmend als „Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff) darstellt und insofern im Gegensatz zu allen poli­tischen Beteuerungen stünde, man baue an einer liberalen Gesellschaft? Oder ist es konkreter eine bestimmte technikaffine Philosophie – nämlich der sognannte Transhumanismus? Dann sollte man jeden­falls genauer hinsehen, welch eine Philosophie, welch ein Leitkonzept man sich mit der Digitalisierung für die Zukunft einkauft. Denn längst beraten Vertreter dieser neuen Denkrichtung Regierungen, Firmen und Entscheidungsträger.

Tatsächlich ist die Philosophie des Transhumanismus in sich weder völlig einheitlich noch unumstritten: Manche Denker unserer Zeit halten sie für hochinteressant, manche für hoch­ge­fährlich. Insofern sie das innere Rückgrat der Digi­talisierung bildet, ist es jedenfalls keineswegs selbstverständlich, dass die heutige Politik so energisch auf „digitale Trans­formation“ setzt, als wäre das problem- und alternativlos. Um aber die Problematik genauer zu verstehen, gilt es zunächst zu fragen, was der Begriff Transhu­manismus als solcher eigentlich be­inhaltet. Die Antwort: Er besagt ein „Aufgehoben-Sein“ des Huma­nen, des Menschlichen – und zwar im drei­fa­chen Sinn des Wortes, wie ihn der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel unter­schie­den hat: 1. Auf­gehoben als „bewahrt“, 2. aufge­hoben als „hinaufgehoben“, und 3. aufge­hoben als „durch­gestrichen“. Von daher schillert das Fremdwort „Transhumanis­mus“ in dreifacher Hinsicht, wie im Folgenden näher zu erläutern ist.

1. Weiterentwicklung, aber Bewahrung des Menschen

Im Unterschied zur verwandten Philosophie des Posthumanismus möchte der Transhu­manismus den Hu­manismus als menschenzentrierte Weltsicht nicht völlig überwinden, sondern im Zuge der technischen Weiterentwicklung doch auch ein Stück weit bewah­ren. Der Mensch wird nicht als schlechthin Vorläufiges betrachtet, das dank des Fort­schritts schließlich hinter sich zu lassen wäre, sondern durchaus als werthaltiger Grund­stock. Transhumanisten sehen sich insofern in der Tradition des Renaissance-Humanis­mus und der Aufklärung: Sie fördern alle Wissenschaften,

die den Menschen als solchen stärker, intelligenter, gesünder und glücklicher zu machen versprechen, also etwa Neu­rowissenschaften, Genomik, Robotik, Nanotechnologie und die sogenannte Künstliche Intelligenz. Der Mensch steht also im Mittelpunkt – und doch auch wieder nicht, weil es bei diesem Aspekt nicht bleibt. Ist nicht der Transhumanismus die zur Weltanschauung erhobene Scham des Menschen angesichts der immer überragenderen Leistungsfä­hig­keit der Maschinen (Konrad Lehmann)? Es geht hier nicht nur um einen technisch aktu­alisierten Humanismus, nicht nur um eine Höherentwicklung des Menschen als sol­chen, sondern bei allem Anknüpfen an humanistische Traditionen um ihr erfolg­reiches Über­stei­gen, eben um Trans­‑humanismus. Und das selbstverständlich in global­politi­schem Ausmaß: Unter Einfluss weltweit vernetzter „transhumanistischer“ Par­teien und Orga­nisationen soll eine durch­digitalisierte Weltzivilisation entstehen – mit einer sie der­einst be­herrschenden „Superin­telligenz“, die manche ersehnen, andere aber, wie zum Beispiel Elon Musk, das Schlimmste befürchten lässt.

Eine „Transhu­manisierung der Kultur“ hat bereits begonnen, wie Michael Hauskeller ver­merkt. Ihm zu­folge bedeutet der transhumanistische Wunsch, von vielem immer mehr haben zu wol­len, insbesondere mehr Wissen, mehr Kontrolle, mehr Leben, „dass man das bereits exis­tierende Gute entwertet und gar nicht mehr als solches wahr­nimmt“. Ziele des transhumanis­tischen Kontrollstrebens seien die Erweiterung mensch­licher Auto­­nomie, die Beendigung allen Leidens und die vollständige Überwindung der menschlichen Natur, insofern diese eine Grenze bedeute. Im Kern sei die trans­huma­nis­tische Vernunft entmenschlichende, vom Menschsein entfremdende Unver­nunft. Solche Unvernunft zeigt sich exemplarisch in dem im DWN-Artikel "Der perfektionierte Mensch: Ein Plädoyer für den Transhumanismus" transportierten Diktum, bislang habe sich „der technische Fortschritt immer positiv auf die Menschheit und ihren Wohlstand ausgewirkt". Solcher naive, undifferenzierte Fortschrittsglaube verkennt, dass der aus dem 19. Jahrhundert stammende Vorsatz „Den Fortschritt wagen“ mit der Zunahme des Einflusses von Industrie und Technik auch zu immer mehr katastrophalen Entwicklungen (zum Beispiel Atombomben-Tests und –Abwürfe; bedenkliche Überwachungstechnologien; Klimawandel; Artensterben), sowie zu einem fast stetigen Auseinanderdriften von Arm und Reich geführt hat.

2. Verwandlung in den High-Tech-Übermenschen

Der neuzeitliche Fortschrittsgedanke visiert kein Ende des Fortschreitens an, sondern be­trachtet das Fortschreiten als „unendlich“, so wie keine Zahl in der Mathematik als „letzte“ infrage kommt. Freilich stellt der Begriff der Unendlichkeit ein eigenes philosophisches und theologisches Problem dar, über das die Vertreter des Transhumanismus – sie finden sich vorwiegend im angelsächsischen Raum – kaum vertieft nachgedacht haben. Sie träumen daher von einem technikbasierten Übermenschen. Und selbst den wollen sie in ihrem Fortschrittswahn noch transzendiert wissen.

Der Traum vom Übermenschen ist bekanntlich alt. Im Zusammenhang mit dem moder­nen Maschinen-Denken begegnet er 1748 bei Julien-Offray de Lamettrie, dessen mate­ria­lis­tisches Konzept „l’Homme machine“ als ein Vorbote des Transhumanismus anzuse­hen ist. Der Mensch als Maschine – da ist im Ansatz bereits der Cyborg angepeilt. Bei der technikbasierten Übermenschen-Ideologie steht zumindest indirekt auch Friedrich Nietzsches „Übermenschen“-Philosophie Pate. Nietzsche betrachtete den Gottesge­dan­ken als „eine viel zu extreme Hypothese“, die abzulösen sei durch eine andere, nämlich um­gekehrte: „die Um­schaf­fung des Teu­fels in Gott“. Im Kontext dieser Gedanken erklingt sein Appell: „So schweigt mir doch von allen Göttern! Wohl aber könntet ihr den Über­menschen schaf­fen…“. Der digitale „Homo Deus“-Gedanke (Yuval Noah Harari) keimt da in gewisser Hinsicht schon. Der Transhuma­nismus erstrebt letztendlich die Apotheose, also die Vergöttlichung des Menschen, in Gestalt des Übermenschen. Er geht davon aus, „dass Technik Gott ab­lösen“ und mit Human Enhancement eine ganz neue Phase körperbezogener Spiritua­lität auslösen werde. Dabei hat die derart angepeilte Vergött­lichung nichts mit echter Reli­giosität zu tun; das „trans“ des Transhumanismus meint ein rein innerweltliches Jen­seits, ein gänzlich säkulares „Hinaus übers bisherige Mensch­sein“.

Der Jenseits-Ersatz aber besteht dann notgedrungen in einer digital verheißenen Un­sterb­lichkeit. Transhumanisten peilen schon für die Zeit um die Mitte dieses Jahr­hun­derts eine praktische Umsetzung dieser Utopie an. Allerdings fragt sich doch, wie realis­tisch beziehungsweise unrealistisch eine derartige anma­ßende Verheißung ist. Denn selbst wenn der Tod auf digitale Weise vorübergehend (!) aus­ge­trickst würde, wäre mit­nichten so etwas wie eine echte Un­sterb­lich­keit oder Auf­er­ste­hung erreicht. Jakob Schmidt beschreibt die Fiktion: „Der Wunsch nach der Unsterblichkeit ist ganz zentral im Transhumanismus verankert.“ Der „menschliche Geist, befreit von den Zwängen seines Körpers, wird als Teil einer intelli­genten Maschine in den Augen der Transhumanisten zu so etwas wie einem transzendenten Wesen.“ Doch rein technisch gesehen, wird der menschliche Geist nie ein wirklich transzendentes Wesen sein können – das ist nur spirituell beziehungsweise theologisch denkbar! Denn unser Planet ist nun einmal vergänglich - und damit auch alle auf ihm produzierte Technik; dasselbe gilt für unsere riesige Galaxie, ja für das gesamte Weltall, wie Bibel und Natur­wis­sen­schaft gleichermaßen wis­sen: "Himmel und Erde werden vergehen." Mit dem Philo­sophen Wil­helm Schmid bleibt festzuhalten: „Das Dies­seits weigert sich hart­näckig, zum Para­dies zu wer­den. Das Ausmaß der Hoff­nun­gen, die Menschen in ihr Glück set­zen, definiert die Fall­höhe, die er­fahrbar wird, wenn alle An­stren­gun­gen ver­geblich sind, individuell und gesell­schaftlich.“ Zurecht kri­tisiert Philipp von Becker in seinem Buch „Der neue Glaube an die Unsterb­lichkeit“ (2015) die digitalen Er­lö­sungs­phantasien des Transhumanismus: Es sei höchste Zeit für eine Entzauberung der neuen techno-utopischen Heilsversprechen. Allerdings greift von Beckers philoso­phi­sche Kritik zu kurz, wenn sie zugleich die Frage nach Gott, der doch allein Unsterblichkeit und Auferste­hung schenken kann, für erledigt hält. Stellt sich diese Frage nicht vielmehr mit neuer Wucht, wenn die transhumanistischen Perspektiven als bedenkliche Illu­sion durchschaut wer­den?

Bedenklich sind diese Perspektiven bereits im Hier und Heute, denn schon jetzt sind die Menschen durch die transhumanistische Philosophie zur Orientierung am Digitalen, zum technokra­ti­schen Denken aufgefordert – mit allen bitteren Konsequenzen. Beispielsweise besagt der neue Lagebericht des deutschen Bundesamts für Sicherheit in der Informations­tech­nik (BSI): „Die Gefährdungslage im Cyber-Raum ist hoch. Wir müssen davon ausgehen, dass dies dauerhaft so bleibt oder sogar zunehmen wird.“ Ungeachtet dessen wird allenthalben wei­terhin rigoros und geradezu blindwütig auf die Digitalisierung unserer Kultur, insbe­sondere auch der Infrastrukturen ge­setzt. Der Transhumanismus erweist darin seine ideologische Macht; er ist kaum mehr zu bremsen, obwohl seine Widersprüchlichkeit immer offen­sichtlicher werden. So erklärt Shoshan­na Zuboff: „Was das Worst-Case-Sze­nario be­trifft, so müssen wir es uns nicht vorstellen, weil es bereits da ist und sich weiter ent­faltet.“

Der Mensch selbst, seine Freiheit und Privatsphäre, werden transhumanistisch konse­quent ruiniert, indem die Person reduziert wird auf das Gebilde einer mind machine, bei der das Gehirn mit invasiver Technologie verschmilzt. Drahtlos anwendbare Brain-Machine-Interfaces (BMI´s / zu Deutsch: Gehirn-Computer-Schnittstellen) dienen der Direktverschaltungen des Gehirns mit Maschinen. Wenn aber der Mensch sich selber im Grunde als Computer verstehen soll, wer schreibt dann die Pro­gramme? Wer definiert seine Probleme? Wer beantwortet glaubwürdig sei­ne metaphy­sischen Fragen? Was be­deutet es, wenn er im Kontext des gerade empor­wachsenden „Internets der Dinge“ quantifiziert und per 5G- und bald 6G-Mobilfunk in Echtzeit kon­trol­liert, ja per­ma­nentem Nudging, also Gestupst-Wer­den ausgesetzt sein wird? Gertrud Höhler hat Recht: „Aus der klug geplanten Herrschaft über die Dinge, hin­ter der die souveräne Be­herr­schung des Glücks aufleuchtete, wurde un­ver­sehens die Knechtschaft unter die Dinge, weil wir ohne anderswo abgeleitete Selbst­defi­nition in den Umgang mit den Din­gen eingetreten sind…“.

Quasi-intelli­gente Struk­turen verändern das Individuum und die Ge­sellschaft grundlegend. Was philosophisch gut gemeint und technisch gekonnt umge­setzt sein mag, muss für den Menschen und die Menschheit nicht immer vorteilhaft sein. Selbst Klaus Schwab, der Gründer und Vor­sitzende des Weltwirtschaftsforums (WEF), gibt zu bedenken: „Technologien werden bei der Lösung vieler unserer heutigen Proble­me unwei­gerlich eine Rolle spielen, doch sie tragen auch zu diesen Problemen bei und schaffen neue.“ Quantencomputer könnten er­hebli­che Risi­ken für Datenschutz und Sicherheit schaffen, virtuelle Realitäten Probleme des On­line-Mobbings weiter verschärfen und neue Tech­nologien vorhan­dene Systeme womög­lich verschlechtern – und so fort. Laut Schwab gilt es gründlich darüber nachzu­den­ken, „wie uns Techno­logien unbemerkt den Boden unter den Füßen wegziehen können“! Droht nicht am Ende – und zwar gerade auch in militärischer und ökologischer Hin­sicht – tatsächlich eine digitale „Fortschrittsfalle“? Der Trans­hu­manismus führt weltweit zu einer fragwürdigen Politik, die viel Glauben an die Tech­nik und eher wenig Glauben an die Menschheit, ja ein Nicht‑Glauben an Gott vor­aus­setzt, wie Jakob Schmidt deutlich macht: „Der Transhumanismus speist sich stark aus dem Atheismus und strebt in gewisser Weise die Gottwerdung des Menschen an. Transhumanisten brauchen keinen Gott, sondern schaffen sich den ‚perfekten Menschen‘ einfach selbst.“ Ach, wie einfach, ja wie einfältig – und dabei: wie gefährlich!

3. Der überflüssige Mensch

Das bisherige Menschsein betrachtet der Transhumanismus als defizitär. Seine Gegner bezeichnet er abwertend als „Biokonservative“, weil sie das Leben so erhalten wollen, wie es ist. Er möchte den Menschen in den Nach-Menschen transformieren. Immer sei noch eine Steigerung möglich. Folglich bliebe auch das Menschsein von morgen und über­morgen defizitär! Welche Vollkommenheit wird da ideologisch und technizistisch angestrebt? Weil Technik letztlich die Vergänglichkeit dieser Welt doch nicht wirklich überwinden kann, wird nie eine echte Perfektion zu erreichen sein; immer wird man­ches defizitär bleiben müssen. Insofern erweist sich der Transhumanismus in seinem Streben paradoxerweise als trostlos. Er ist durchschaubar illusionär – und demgemäß eine nicht unge­fähr­liche Ideo­logie. Er geht an der Menschenwürde, nämlich an der Wür­de des gegenwärtigen, zwei­fellos un­voll­kommenen Menschen und nicht zuletzt an der Wirk­lichkeit der Seele vorbei. Diese problematische Weltanschauung lässt im Grunde offen, was über­haupt das erstrebte Bes­sere sein werde – vielleicht ein neuer Mensch, vielleicht auch etwas anderes, das nicht mehr Mensch ist? Christiane Haid hinterfragt deshalb den Transhumanismus scharf: Wie kam und kommt es da­zu, „dass der Mensch eine Be­we­gung entwickelt, die das er­klärte Ziel verfolgt, ihn selbst, seine Existenz und Anwe­sen­heit auf der Erde über­flüs­sig zu machen?“ Wo das Humane überstiegen werden soll, muss es am Ende ja doch zu­rück­gelassen, überwunden, beseitigt, „aufgehoben“ wer­den. Es droht insofern eine digitale „Ent-Menschli­chung“ (Ulrike Guérot). Diese hoch­problema­tische Tendenz schwingt in der transhu­ma­nistischen Philo­so­phie stets mit, wie auch Armin Grunwald befürchtet: „Danach bliebe dem Menschen der Zukunft entweder ein Schlaraffenland, in dem er selbst weder noch etwas tun muss noch tun darf, sondern einfach zum Genießen auf der Welt wäre, oder aber seine Abdankung, die Anerkennung, dass auch Menschen nur eine vorübergehende Erscheinung der Evolution seien.“

Dass mit dem Transhumanismus eine zunehmende Erosion verbindlicher Ethik droht, weil bewährte humanistische Grundwerte aufweichen, liegt auf der Hand: „Das Ethische ist in die Technik hinein ver­schwunden. Die Ethik ist nicht mehr da“, diagnostizierte Günter Rohrmoser schon vor Jahren. Zwar meinen Transhumanisten, eine eigene Ethik zu besitzen und sogar einer ethischen Verpflichtung zu unterliegen, den Fortschritt voranzutreiben. Doch welche Ethik dann im Ein­zel­nen Algorithmen in welchen Bereichen be­herr­schen soll, wo und wie wäre das in­ternational und regional einvernehmlich festzulegen? Ist nicht um solche Fragen längst ein „unsichtbarer Krieg“ (Yvonne Hofstetter) im Gan­ge? Be­zeich­­nender­weise stellt etwa die Charta der Digitalen Grundrechte der Europäi­schen Union ledig­lich die "Basis" für eine gesell­schaft­liche Dis­kussion dar – und bleibt insofern schlicht unver­bind­lich! Die Wiener Wirtschaftsinformatikerin Sarah Spie­ker­mann, de­ren Kar­riere einst in Unter­nehmen des Silicon Valley begann, warnt entschie­den vor dem Trans­hu­manismus: Sie hält ihn für eine Ideo­logie der Lieb­losig­keit – und das Fort­schritts­denken für einen Irr­weg. Auch der katholische Theologe Johannes Hoff warnt: „Der Diskurs des Trans­hu­manismus bündelt den ideologi­schen Überbau einer von Megakon­zernen getriebenen ökono­mischen Agenda, die die sozia­len, politischen und kulturellen Er­run­gen­schaften unserer Zivi­lisation untergräbt.“

Die im Abendland bislang maßgebliche Religion des Christentums weiß indes um das wesenhafte Ausgerichtetsein des Men­schen auf Gott, der in Jesus Christus selbst Mensch geworden ist. Von daher kann das Menschsein unmöglich etwas zu Überwindendes dar­stellen. Die Zukunft des Menschen wird sich von Gott her ergeben, der sein Reich zum Ende dieser Weltzeit selbst herbeiführen wird. Diese bedeutet dann eben nicht eine Ne­gation des Menschseins, sondern seine Erfül­lung und geschenkweise Vervollkomm­nung: Sie kann dem Menschen in der Bindung seiner Natur an die Gottesnatur – un­vermischt und doch ungetrennt – zuteil werden. Christliche Theologie spricht diesbe­züg­lich von der zu erhoffenden Vergottung (theosis), die als Gnade alles andere sein wird als eine Selbst­vergöttlichung.

Aus dieser Perspektive stellt der Transhumanismus in all seinen Varianten eine Fiktion des Un­glaubens und der Ungeduld dar. Eine Art Paradies auf Erden wollten schon viele ambi­tionierte Ideo­lo­gien errichten, der Transhumanismus ist gewiss nicht die erste. Aber er könnte wegen seiner ausgreifenden, disruptiven Machtmittel für den Plane­ten die letzte werden – ge­mäß dem Diktum Ulrike Guérots: „Die modernisierte Hölle ist uns sicher; sie ersetzt den Sil­berstreifen am Horizont, der einst den Himmel bedeutete.“

Dr. theol. habil. Werner Thiede ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Er­lan­gen-Nürnberg, Pfarrer i.R. und Publizist (www.werner-thiede.de). Zuletzt erschien von ihm „Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage“ (2. Auflage, Berlin 2022); im Druck befindet sich das Büchlein „Himmlisch wohnen. Auferstanden zu neuem Leben“ (Leipzig 2023).


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