Zu gering bemessene Produktionskapazitäten und fragile Lieferketten: Sie tragen derzeit in hohem Maße zur globalen Unterversorgung mit Halbleitern bei. Hauptfaktor der Chip-Knappheit ist jedoch ein Paradigmen-Wechsel: Der Trend hin zum Home-Office und die damit verbundenen Nachfrage-Verschiebungen Richtung Elektronik-Sektor haben den Bedarf nach Nano-Chips explosiv gesteigert ("Nano" kommt von "Nanometer": Das ist ein Milliardstel eines Meters). Trotz eines zwischenzeitlichen Einbruchs der Weltwirtschaft florierte der riesige Halbleiter-Markt auch im Jahr 2020, als die globalen Umsätze um 10,4 Prozent auf fast eine halbe Billion (466 Milliarden) Dollar stiegen.
Im Hintergrund der Halbleiter-Knappheit spielt sich ein geopolitischer Konflikt der beiden größten Weltmächte ab: Auf der einen Seite China, auf der anderen Seite die USA und ihre Verbündeten. Um das zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, wie wenig präsent China im Halbleiter-Sektor ist. Die Wertschöpfungsanteile innerhalb der Branche (Produktion und nachgelagerte Sektoren) verteilen sich folgendermaßen:
Es zeigt sich: China ist bei den Halbleiter-Komponenten, die für alle modernen technischen Geräten unerlässlich sind, völlig abhängig von den Vereinigten Staaten, Taiwan, Südkorea und Europa! US-Firmen wie AMD, Intel und Nvidia sind insbesondere in den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen – also zum Beispiel dem Design von Halbleiter-Produkten wie Grafikchips – führend. Das Herstellen und Zusammenfügen der Einzelteile passiert hingegen überwiegend in Taiwan – das Unternehmen TSMC („Taiwan Semiconductor Manufacturing Company“) ist mit einem Marktanteil von grob 50 Prozent der Weltmarktführer in der Auftragsfertigung von Halbleitern.
Heutzutage gelten Chips unter zehn Nanometern als der technisch letzte Schrei, und während die verarbeitende Industrie in den wichtigen Hersteller-Ländern bereits anfängt, auf fünf Nanometer umzurüsten, spielt China in diesen Bereichen überhaupt keine Rolle. Bei den kleinsten Nano-Chips dominieren taiwanesische (TSMC, UCM) und südkoreanische (Samsung) Hersteller das Bild. Dort sitzt auch fast das gesamte Wissen in Bezug auf die modernsten Produkte einer der Schlüsselbranchen des 21. Jahrhunderts.
Ohne Nano-Chips keine weltweite Dominanz
Halbleiter werden heute überall benötigt und verbaut – eine globale Vormachtstellung ist ohne eine dominante Chip-Industrie deshalb kaum noch erreichbar. China ist lediglich über die Firma „SMIC“ präsent, die sich jedoch gegenüber der asiatischen Konkurrenz technologisch im Rückstand befindet.
Offensichtlich möchte das Reich der Mitte eine moderne Chip-Industrie aufbauen – trivial ist das jedoch nicht. Wenn China in der Nanochip-Produktion relativ autark werden wollte, dann würde das erst einmal gigantische Investments von hunderten Milliarden Dollar erfordern. Um überhaupt in das äußerst kapitalintensive Halbleiter-Geschäft einzusteigen, braucht ein neuer Marktteilnehmer schätzungsweise 2 Milliarden Dollar.
Es sollte also nicht verwunden, dass Pekings Zentralregierung permanent Spannungen mit dem einstmals zum chinesischen Großreich gehörenden Inselstaat Taiwan provoziert und dass auch eine Annexion nicht völlig auszuschließen ist. In den verschärften Spannungen um Taiwan hat Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping zu einer „Wiedervereinigung“ aufgerufen. Die USA wiederum unterstützen Taiwans Unabhängigkeit – was aus geopolitischer Sicht völlig nachvollziehbar ist.
Die chinesische Trumpfkarte
Das Reich der Mitte besitzt allerdings eine entscheidende Trumpfkarte im "Nano-Krieg": China sitzt auf den wesentlichen für die Chip-Produktion benötigten Rohstoffen. Insbesondere beim Abbau von Silizium (welches auch für Solarzellen benötigt wird), von Germanium und von Gallium-Arsenid ist man völlig dominierend. Konkret: Bei Silizium und Germanium beträgt der chinesische Anteil an der globalen Fördermenge rund 70 Prozent, bei Gallium-Arsenid sind es etwa 50 Prozent.
Aber auch im Bereich einiger anderer Rohstoffe ist China klar führend, was sich in einem Handelskrieg als wichtiges Asset erweisen würde: Die Volksrepublik ist der sowohl der wichtigste Lieferant von Seltenen Erden, die für den Bau von Elektroautos benötigt werden, als auch der größte Produzent von Aluminium, dass in vielen ganz unterschiedlichen industriellen Bereichen von Bedeutung ist. Auf dem Aluminium-Markt kam es übrigens zuletzt zu Engpässen.
China ist nicht nur bei einigen industriellen Rohstoffen dominant, sondern zum Beispiel auch bei der Produktion von Medikamenten (Generika, Vitamine) und Kunstdünger. Die Kostenstruktur bei Kunstdünger basiert übrigens zu grob 70 Prozent auf dem Erdgas-Preis, der zuletzt einen spektakulären Anstieg verzeichnete. Dramatisch gestiegene Energiekosten werden sich früher oder später bei den Preisen von Agrar-Erzeugnissen bemerkbar machen, sogar akute Knappheiten sind möglich. Wenn China wollte, könnte es über eine künstliche Verknappung von Kunstdünger und Aluminium die vor allem in den USA und Europa grassierende Inflation kräftig befeuern. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass das Reich der Mitte der wichtigste Standort in der Produktion von Schiffs-Containern ist, was im Kontext der gesamten Lieferketten-Problematik ein nicht ganz unerhebliches Detail ist.
Zudem ist China mittlerweile der wichtigste Handelspartner von rund 130 Nationen (inklusive USA), während die Vereinigten Staaten nur noch der größte Handelspartner von rund 60 Ländern sind.
Zwischenfazit: China ist in der modernsten Halbleiter-Technologie massiv im Rückstand, hat aber an anderer Stelle mehr als genügend Erpressungspotential.
Technologieführerschaft Chinas? Keineswegs unrealistisch
China ist darüber hinaus bei technologischen Zukunftsfeldern wie Quantencomputern sowie 5G führend und kann bei der Künstlichen Intelligenz definitiv mit den USA mithalten. Tatsache ist auch, dass chinesische Hersteller mit großem Abstand die meisten Elektroautos weltweit produzieren.
Hinzu kommt, dass das Reich der Mitte auch aus demographischer Sicht die besseren Zukunftsaussichten hat, und das nicht nur in Bezug auf die schiere Bevölkerungsgröße, sondern auch, was das Bildungsniveau angeht. Bei den PISA-Tests von 2018 gab es unter 1.000 chinesischen Kindern (unter 15 Jahren) 165 Hochbegabte, während es beispielsweise in den USA gerade einmal 15 waren. Die mathematische Kompetenz chinesischer Kinder ist deutlich stärker ausgeprägt als in den USA und Europa. Konkurrenz gibt hier eher aus Ostasien (Südkorea, Vietnam).
Die Ergebnisse dieses demographischen Vorteils zeigen sich schon heute. 2019 überholte China die USA bei den jährlichen Patentanmeldungen (58.990 versus 57.840). Bei Hightech-Patenten sind die Vereinigten Staaten (11.927 Patente) immer noch führend, wobei China (6.307 Patente) auch hier rasant aufholt. Obendrein kaufen sich chinesische Firmen mithilfe von Übernahmen asiatischer, europäischer und amerikanischer Tech-Firmen jede Menge wertvolles Knowhow ein.
Pekings Ziel einer Innovations- und Technologieführerschaft bis 2035 scheint also keineswegs unrealistisch. Die US-Regierung könnte sich derweil mit einem Eingreifen in den Taiwan-Konflikt die Finger verbrennen. China hat im Nano-Krieg jedenfalls deutlich mehr Trümpfe in der Hand.