Deutschland

Justizminister kündigt raschen Gesetzentwurf zur Triage an

Lesezeit: 3 min
28.12.2021 16:07
Zwar konnte eine Überlastung der Behandlungskapazitäten bisher vermieden werden. Doch wenn es einmal zu einer Triage kommt, so bedarf es laut Bundesjustizminister Buschmann klarer Regeln.
Justizminister kündigt raschen Gesetzentwurf zur Triage an
Von Triage spricht man, wenn Ärzte entscheiden müssen, wen sie angesichts knapper Ressourcen retten und wen nicht. (Foto: dpa)

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Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum besseren Schutz behinderter Menschen bei der sogenannten Triage will die Bundesregierung rasch reagieren. Dem Bundestag solle "zügig" ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, kündigte Justizminister Marco Buschmann (FDP) am Dienstag in Berlin an. "Der Gesetzgeber darf es nicht mehr den medizinischen Fachgesellschaften überlassen, Leitlinien für den Fall einer Triage aufzustellen", erklärte Buschmann. "Der Gesetzgeber muss daher selbst Vorgaben treffen. Und dies 'unverzüglich'." Sichergestellt werden müsse, dass in einer Triage-Situation niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werde.

Der Gesetzgeber muss nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Vorkehrungen treffen, um bei der Verteilung knapper Intensivbetten jede Benachteiligung von Behinderten wirksam zu verhindern. Die Karlsruher Richter gaben mit ihrem Urteil der Verfassungsbeschwerde mehrerer schwerbehinderter Menschen statt. Da Bundesregierung und Parlament bisher keine Vorkehrungen getroffen hätten, sei das im Grundgesetz ausdrücklich festgelegte Diskriminierungsverbot von Behinderten verletzt. (AZ: 1 BvR 1541/20)

Gesundheitsminister Karl Lauterbach begrüßte das Urteil ebenso wie Sozialverbände, Intensivmediziner und Patientenschützer. "Menschen mit Behinderung bedürfen mehr als alle anderen des Schutzes durch den Staat", twitterte der SPD-Politiker und fügte hinzu: "Erst Recht im Falle einer Triage." Durch wirksame Schutzmaßnahmen und Impfungen müsse verhindert werden, dass es überhaupt zu einer Triage komme.

Der Sozialverband VdK begrüßte die Entscheidung. "Der Gesetzgeber hat es bislang versäumt zu handeln", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. "Es kann und darf nicht sein, dass Medizinerinnen und Mediziner in einer so wichtigen Frage alleingelassen werden, dafür braucht es eine gesetzliche Grundlage." Jede Benachteiligung wegen einer Behinderung müsse verhindert werden. Die Politik sollte nun unverzüglich handeln, das habe das Gericht sehr deutlich gemacht.

"DAS MUSS GENAU FORMULIERT WERDEN"

Der Intensivmediziner Uwe Janssens sieht den Gesetzgeber vor einer schwierigen Entscheidung. "Wir hoffen nicht, dass der Gesetzgeber jetzt medizinische Vorgaben macht", sagte Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler, zu Reuters TV. "Das kann er nicht, weil er ist tatsächlich nicht medizinisch unterwegs." Er müsse einen Rahmen schaffen, das wie im Organspende-Gesetz die Erfolgsaussicht oder Dringlichkeit zur Anwendung kommen. "Das muss dann aber genau formuliert werden auf die Situation eingeschränkter Ressourcen, zum Beispiel im Rahmen einer Pandemie", forderte der Mediziner.

Die Stiftung Patientenschutz bezeichnete die Gerichtsentscheidung als überfällig. "Auf dieses Urteil haben wir 40 Jahre lang gewartet", sagte Vorstand Eugen Brysch der "Rheinischen Post". Entscheidungen über Leben und Tod in Knappheitssituationen dürften nicht den Ärzten überlassen werden. Der Bundestag dürfe sich "nicht weiter wegducken".

Der rechtspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Günter Krings, fordert eine schnelle Reaktion der Regierung. "In dieser zentralen ethischen Frage muss der Gesetzgeber selbst dafür sorgen, dass bei einer Triage jede Benachteiligung wegen einer Behinderung verhindert wird", sagte der CDU-Politiker der "Welt". "Die Bundesregierung muss jetzt sehr schnell einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen."

Die SPD sieht den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als klaren Auftrag an den Bundestag, dem zügig, aber mit der gebotenen Sorgfalt nachgekommen werden müsse. "Er gibt uns nicht nur den Auftrag, gesetzgeberisch zu handeln, sondern ist auch ein klares Signal an die Menschen mit Behinderung, dass ihre Sorgen und Befürchtungen berechtigt waren", sagte die stellvertretende Fraktionschefin Dagmar Schmidt. "Wir haben das Thema bereits im letzten Jahr diskutiert und werden den Beschluss jetzt schnell umsetzen können."

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts wies darauf hin, dass er allein über ein Diskriminierungsverbot von Behinderten zu entscheiden hatte, nicht über andere Gruppen. Wie die nun unverzüglich zu treffenden Regelungen inhaltlich auszusehen haben, wurde nicht entschieden. "Bei der konkreten Ausgestaltung kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu", heißt es in der Entscheidung.

Die Verfassungsbeschwerde war von neun Menschen im Alter zwischen 22 und 77 Jahren eingelegt worden. Sie alle haben schwere und schwerste Behinderungen. Acht der Beschwerdeführer waren erfolgreich. Die Eingabe des 77-Jährigen wurde allerdings als unzulässig verworfen, denn der Mann hatte nicht dargelegt, unter welchen Beeinträchtigungen er durch seine Herzkrankheit leidet.

Der Erste Senat zitiert in seiner Entscheidung ärztliche Leitlinien, in der die Priorisierung geregelt ist. Danach ist allein die klinische Erfolgsaussicht einer Behandlung ausschlaggebend dafür, wer zuerst behandelt wird. Dieses Kriterium halten die Karlsruher Verfassungsrichter zwar für unbedenklich. Aber es sei nicht ausgeschlossen, dass die Empfehlungen in ihrer derzeitigen Fassung "zu einem Einfallstor für eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen werden können". So müsse sichergestellt werden, dass nur die Erfolgsaussicht bei der Behandlung der Covid-Krankheit beurteilt werde, nicht die allgemeinen Überlebenschancen.


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