Unternehmen

Deutsche Wirtschaft in Kasachstan: "Ein geplanter Staatsstreich, der jetzt offensichtlich niedergeschlagen ist"

Lesezeit: 6 min
12.01.2022 17:13  Aktualisiert: 12.01.2022 17:13
Die Konflikte in Kasachstan haben zu Jahresanfang die Welt in Atem gehalten. Jetzt erklärt Hovsep Voskanyan den DWN im exklusiven Interview, was dort tatsächlich los ist und wie es wohl weitergeht. Der Funktionär ist der Leiter der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Zentralasien.
Deutsche Wirtschaft in Kasachstan: "Ein geplanter Staatsstreich, der jetzt offensichtlich niedergeschlagen ist"
Der kasachische Präsident Kassym Tokajew. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Voskanyan, Spiegel Online hat heute kurz vor 12 Uhr MEZ berichtet, dass es in der Hauptstadt Almaty weitere 1.700 Inhaftierungen gegeben habe. „Die Zahl der Festnahmen wurde landesweit zuletzt mit rund 10.000 angegeben“, schreibt die Publikation, die sich auf einheimische Medien stützt.

Können Sie dies bestätigen?

Hovsep Voskanyan: Es stimmt, dass nach wie vor Festnahmen erfolgen. Die Polizei ist weiterhin auf der Suche nach versprengten Aufständischen und paramilitärischen Gruppen. Die Lage ist aber nicht weiter eskaliert, die Zahl der Inhaftierungen dürfte sich nicht allzu sehr vergrößert haben. Die Statistiken, die derzeit die Runde machen, schwanken. Im Gegenteil: Die Situation hat sich sogar etwas entspannt, denn in der Stadt Almaty ist es jetzt relativ ruhig. Wir hören keine Schüsse mehr. Ich war gestern in unserem Stadtviertel unterwegs. Dort war es ruhig. Allerdings war die Situation in der vergangenen Woche zwischen dem 6. und 8. Januar schon sehr kritisch.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die USA haben gerade die russischen Truppen aufgefordert, das Land zu verlassen. Ist der Konflikt denn ein regionales Problem oder gibt es auch die Gefahr, dass die Auseinandersetzungen einen internationalen Flächenbrand verursachen?

Hovsep Voskanyan: Die Eskalation, die in Almaty zu beobachten war, ist die Folge eines internen Machtkampfes innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Eliten in Kasachstan gewesen. Davon gehen wir und andere internationale Beobachter aus. Das war ein Staatsstreich-Versuch, der gescheitert ist. Die Truppen der OVSK, die auf Bitten der kasachischen Seite in einer Notsituation ins Land gekommen waren, sind nun mit der Bewachung strategisch wichtiger Objekte betraut worden. Das hat sehr schnell und deutlich zur Deseskalation der Lage vor Ort beigetragen. Wir hatten am 5. und am 6. und teilweise noch am 7. Januar eine Situation, in der große Teile der Stadt unter der Kontrolle von gewaltbereiten Para-Militärs standen. Diese sind jetzt durch kasachische Spezialkräfte, die durch die OVSK entlastet worden sind, aus der Stadt gedrängt worden. Wir haben gestern in der Rede des kasachischen Präsidenten gehört, dass der Einsatz der OVSK-Truppen morgen, also am 13. Januar enden soll. Sie sollen dann innerhalb von zehn Tagen, also bis zum 22. Januar, das Land wieder verlassen. Das ist deutlich früher, als wir es erwartet haben. Das zeigt zum einen, dass sich die kasachische Seite jetzt deutlich sicherer fühlt, den Staatsstreich überwunden zu haben. Zum anderen wird daraus ersichtlich, dass der Einsatz der OVSK nicht langfristig angelegt war. Das ist mit Sicherheit ein gutes Zeichen. Eine Eskalation in Bezug auf die russisch-amerikanischen Beziehungen kann ich hier nicht vermuten. Wenn, dann müsste dies sehr konstruiert sein. Letztlich hat die OVSK nur das gemacht, wofür sie gegründet worden ist: nämlich in einer Notsituation den Bündnispartnern militärisch zur Seite zu stehen. Und jetzt zieht sie sich nach Angaben der kasachischen Seite nach dem Ende des Einsatzes auch wieder sehr schnell zurück. Deshalb sehe ich keine Grundlage für eine Eskalation.

"Wir haben hier auch Detonationen gehört"

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie haben Sie den Konflikt beobachtet?

Hovsep Voskanyan: Wir von der AHK Zentralasien verfügen über 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in unterschiedlichen Teilen von Almaty leben. Dazu gibt es hier eine große Gemeinde von Vertretern der Deutschen Wirtschaft. Dabei standen wir ständig untereinander im Kontakt per Telefon. Viele davon haben gerade die Kämpfe im Zentrum und im Norden der Stadt beobachtet, wo die Epizentren der Konflikte waren. Was wir gesehen haben, ist folgendes: Die Demonstrationen haben am 2. Januar im Westen des Landes als friedliche Proteste begonnen – und zwar als Reaktion auf die erhöhten Gas- und Benzinpreise. Es war tatsächlich ein wirtschaftlich motivierter Protest, wie das in den westlichen Medien auch berichtet worden ist. Dann haben sich die Demonstrationen auf Almaty und andere Städte ausgeweitet. Anfangs ist dieser Protest auch friedlich geblieben. Und solange er auch friedlich war, ist in den Straßen nichts passiert. Es gab keine Angriffe auf friedliche Demonstranten seitens der Sicherheitskräfte. Es gab zwar Sicherheitskräfte, die das eine oder andere Gebäude bewacht haben. Und es wurde auch der eine oder andere Stein von den Demonstranten auf diese geworfen. Doch war unter den Demonstranten grundsätzlich keine aggressive Gewaltbereitschaft zu erkennen. Allerdings sind dann am 5. Januar in Almaty und anderen Städten plötzlich sehr gut ausgebildete, bewaffnete und gewaltbereite Gruppen von jungen Männern - Paramilitärs - aufgetreten, die damit anfingen, die Demonstranten zu verdrängen. Sie begannen damit, präzise und offensichtlich koordiniert die Sicherheitskräfte anzugreifen und administrative Gebäude zu besetzen und zu zerstören. Das waren teilweise extrem gewaltbereite Menschen, die nicht nur UF Sicherheitskräfte geschossen, sondern auch zivile Autos gestohlen und in Brand gesteckt haben und nicht davor zurückgeschreckt sind, Zivilisten zu töten. Das führte zu einer Eskalation. Die Sicherheitskräfte haben sich in den ersten paar Stunden noch nicht richtig gewehrt. In dieser Zeit wurden viele von ihnen entwaffnet und verletzt. Danach hat die Regierung den Schießbefehl eingeführt. Vom 5. bis zum 8. Januar gab es im Almaty sehr ernste Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und diesen paramilitärischen Gruppen. Dabei wurde auch schweres militärisches Gerät von beiden Seiten verwendet. Wir haben hier auch Detonationen gehört. Kollegen, die im Zentrum und im Süden der Stadt wohnen, haben Maschinengewehrsalben wahrgenommen. Es war wirklich ein sehr harter Kampf. Dass die paramilitärischen Truppen so effektiv die Sicherheitskräfte angreifen konnten, deutet auf eine ganz klare gezielte militärische Vorbereitung des Konfliktes hin. Sie verfügten beispielsweise über professionelles Wissen im Umgang mit schweren Waffen. Dies ist ein klarer Hinweis, dass es gesteuert war. Es wurden dabei wichtige neuralgische Punkte angegriffen wie der Flughafen, mehrere Waffendepots der Stadt und Polizei-Stationen. Letztlich deutet sehr viel auf einen geplanten Staatsstreich hin, der aber jetzt offensichtlich niedergeschlagen ist. Das wird mit Sicherheit Konsequenzen haben. Welche das konkret sind, lässt sich noch nicht sagen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Konsequenzen könnten das sein?

Hovsep Voskanyan: Wir sehen, dass der kasachische Sicherheitschef zunächst freigestellt worden ist und nun auch des Hochverrats angeklagt wird. Es ist kaum vorstellbar, dass der Sicherheitsapparat nicht mitbekommen hat, wie sich insgeheim Tausende von paramilitärischen Kämpfern vorbereiten. Auch weitere Vertreter des Sicherheitsapparats sind zum Teil freigestellt bzw. unter Anklage gestellt worden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wer sind die Gegner der kasachischen Führung?

Hovsep Voskanyan: Es ist ein interner Machtkampf unter den kasachischen Eliten. Das lässt sich mit Sicherheit sagen. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns nicht an öffentlichen Spekulationen zu konkreten Namen beteiligen möchten.

"Keine gravierenden Schäden für deutsche Unternehmen"

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Das, was Sie schildern, hört sich sehr dramatisch an. Gestern hat mir HeidelbergCement, das dort drei Werke mit 1.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreibt, erklärt, dass „es während der sozialen Unruhen vergangene Woche keine Probleme mit der Stromversorgung oder Logistik gab. Unsere Anlagen liefen planmäßig und störungsfrei weiter. Es kam zu keinerlei Beschädigungen oder Problemen. Unsere Mitarbeitenden vor Ort waren und sind sicher.”

Stimmt das wirklich? Hat es wirklich keine Beeinträchtigungen für die Deutsche Wirtschaft vor Ort gegeben?

Hovsep Voskanyan: Der heißeste Punkt war die Stadt Almaty – die größte Stadt des Landes. Sie liegt im Süden Kasachstans. HeidelbergCement produziert, wie die meisten deutschen Investoren, natürlich nicht inmitten der Stadt, sondern außerhalb. Viele haben Ihre Fabriken in ganz anderen Teilen des Landes. Es gab zwar in den Zentren anderer Städte auch ein paar Unruhen. Doch war die Lage in Almaty war außergewöhnlich dramatisch, weil dies der Ort war, wo der Staatsstreich im Großen und Ganzen sein Epizentrum hatte. Allerdings traft dies nicht auf alle Teile des Landes zu. Dort ist es weitgehend ruhig. Natürlich hat die Tatsache, dass das Internet eine Woche nur eher schlecht als Recht funktioniert hat, viele Firmen beeinträchtigt. Denn heutzutage kann nur sehr schwer ohne Internet arbeiten. Aber darüber hinaus dürften die Unternehmen keine gravierenden Schäden davontragen haben. Sie dürften in Kürze zum normalen Produktionszyklus zurückkehren, falls dieser überhaupt unterbrochen war.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie steht denn die kasachische Führung grundsätzlich zu ausländischen Investoren?

Hovsep Voskanyan: Wir haben hier 300 bis 350 deutsche Firmen, darunter 25 größere Investoren.. Dazu gehören HeidelbergCement, aber auch der Gipshersteller Knauf, der Produzent von landwirtschaftlicher Technik, Claas, Linde Gas, Böhmer Armaturen, Isoplus, Goldbeck Solar, Svevind und weitere. Das Gesamtinvestitionsvolumen beträgt eine Milliarde Euro. Das Interesse der kasachischen Regierung an einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Deutschland bleibt sehr groß. Das hat der Präsident explizit betont – auch in Rahmen seiner häufigen Reisen nach Deutschland, die er in den letzten Jahren unternommen hat. Das Land hat sich nach dem Zerfall der UdSSR sehr schnell entwickelt. Es öffnet sich in alle Richtungen für alle Investoren. Selbstverständlich ist es noch nicht auf demselben politischen und wirtschaftlichen Level in seiner Entwicklung wie ein westlicher Staat. Doch ist Kasachstan die wirtschaftliche Lokomotive in der Region und der Markt, der am weitesten entwickelt ist. Die Kasachen sind offen gegenüber Ausländern und wollen sich die Unternehmen ins Land holen, die mit Ihrer Tätigkeit einen Vorteil für die Entwicklung der kasachischen Wirtschaft bedeuten würden. Der Präsident hat gestern bei seiner Rede auch ganz klar bekräftigt, dass er diesen Kurs so weiterverfolgen wird. Da er jetzt noch stärker als bisher das Ruder in der Hand hat, gehen wir davon aus, dass sich an dieser Politik nichts ändern wird.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie dürfte sich die Lage weiterentwickeln?

Hovsep Voskanyan: Eine langfristige Prognose können wir noch nicht geben, dazu ist es noch zu früh nach den Vorkommnissen. Doch sieht es momentan so aus, dass die Regierung die Krise gemeistert und den Staatstreich abgewendet hat. Der Präsident hat gestern deutlich gemacht, dass er den Kurs der politischen Reformen weiterverfolgen und dass er auf eine weitere Entwicklung und Modernisierung der kasachischen Wirtschaft setzt. Das sind aller sehr gute Voraussetzungen für die Deutsche Wirtschaft und weitere Kooperationen zwischen den Ländern. Wir gehen davon, dass es gute Chancen für die deutschen Unternehmen in der kommenden Zeit geben wird. Und Kasachstan bleibt für deutsche Unternehmen weiterhin ein sehr interessanter und lohnenswerter Markt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Voskanyan, herzlichen Dank für das Gespräch.

Hovsep Voskanyan ist der Leiter der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Zentralasien. Dazu gehören Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Früher war der Funktionär auch für die Commerzbank aktiv.

 


Mehr zum Thema:  

 

DWN
Unternehmen
Unternehmen Commerzbank warnt vor Risiken bei Übernahme durch Unicredit
07.10.2024

Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp sieht bei einer Übernahme durch die italienische Großbank Unicredit große Risiken. Auch der...

DWN
Politik
Politik Kranken- und Pflegeversicherung: Milliardenschweres Finanzloch - Beiträge könnten noch stärker steigen
07.10.2024

Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung könnten im kommenden Jahr stärker steigen als bisher befürchtet. Es fehlen Milliarden...

DWN
Politik
Politik BRICS-Alternative zu SWIFT vorerst auf Eis gelegt: Differenzen bremsen Fortschritt
07.10.2024

Die BRICS-Währung bleibt vorerst ein Fernziel. Doch der wachsende Handel in nationalen Währungen und das Interesse neuer Länder wie der...

DWN
Technologie
Technologie Medizin-Nobelpreis an Genregulations-Forscher
07.10.2024

Heute hat in Stockholm die Bekanntgabe der diesjährigen Nobelpreisträger begonnen. Für den Medizin-Nobelpreis steht die Entscheidung...

DWN
Immobilien
Immobilien Zweitimmobilien: Diese steuerlichen Aspekte müssen Sie beachten - Fachanwalt Martin Kahllund im DWN-Interview
07.10.2024

Viele Eigentümer von Immobilien sind sich nicht vollständig über die steuerlichen Auswirkungen bewusst, die ihr Besitz mit sich bringt....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit wie zur Corona-Pandemie: Symptome einer beginnenden Arbeitsmarktflaute?
07.10.2024

Gerade hat Bosch bekanntgegeben, die Arbeitszeit von 2.300 Beschäftigten zu kürzen. Auch Konjunkturberichte und Indexe belegen, die Zahl...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Konjunktur: Starkes Auftragsminus für Industrie
07.10.2024

Nachdem die Bundesregierung die Wachstumsprognose für Deutschland senken musste, kommt der nächste Dämpfer: Die deutsche Industrie ist...

DWN
Politik
Politik Erbschaftsteuer erhöhen oder senken? Das „Wahlkampfgetöse“ der Parteien beginnt!
07.10.2024

Erben sollen von der Erbschaftsteuer befreit werden, auch wenn sie das Familienheim nicht selbst bewohnen – sondern vermieten. Das ist...