Politik

Admiral Schönbach hat Recht: Wir brauchen Russland gegen China

Lesezeit: 6 min
29.01.2022 16:19  Aktualisiert: 29.01.2022 16:19
DWN-Kolumnist Ronald Barazon übt heftige Kritik: An hilflosen westlichen Politikern und einem ukrainischen Präsidenten, der die Situation einfach nicht begreift.
Admiral Schönbach hat Recht: Wir brauchen Russland gegen China
Der Chef der Deutschen Marine, Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach, musste seinen Posten räumen. (Foto: dpa)

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Die einzig brauchbare Aussage zum Ukraine-Konflikt kam in den vergangenen Tagen nicht von einem der in den Medien viel zitierten prominenten Staatenlenker, sondern von einem Mann, der im Hintergrund agiert. Nach einer ergebnislosen Konferenz, an der Vertreter Russlands, Frankreichs, Großbritanniens und der Ukraine teilnahmen, sagte ein eher unbekannter Herr namens Dmitri Kosak am vergangenen Mittwoch: „Jetzt muss sich Selenskyj,, der ukrainische Präsident, etwas einfallen lassen. Und zwar rasch, in den nächsten zwei Wochen.“ Dmitri Kosak berät Russlands Präsident Wladimir Putin in Fragen der Ukraine-Politik. Die Bemerkung ist in dem Wust von Wortbeiträgen nicht weiter aufgefallen, sie hat aber eine enorme Bedeutung.

Der Westen drischt nur Parolen, der Ball liegt bei Selenskyj

Tatsächlich kann nur mehr der ukrainische Präsident eine Lösung der aktuellen Krise ermöglichen und eine weitere Eskalation verhindern. NATO, EU und USA haben nämlich für alle unübersehbar demonstriert, dass sie nur zahnlose Absichtserklärungen und nicht ernst zu nehmende Drohungen parat haben, aber letztlich nichts tun (können), außer Sanktionen zu verhängen, die völlig wirkungslos sind.

Pikanterie am Rande: Bisher wurden bei den angedrohten Sanktionen die Gaslieferungen, die sowohl für Westeuropas Energieversorgung als auch für Russlands Staatskasse enorm wichtig sind, weitestgehend ausgeklammert. Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, werde man unter Umständen, vielleicht, möglicherweise die neue Gaspipeline Nord Stream 2 nicht in Betrieb nehmen, heißt es. Doch wie glaubwürdig sind solche Aussagen? Ein derartiger Schritt in einer Zeit, in der Atom-, Kohle- und Ölkraftwerke abgeschaltet werden, wirkt eher absurd und ist daher nicht mehr als eine leere Drohung.

Kosak meinte, dass ein von Seiten der Ukraine kommender Lösungsvorschlag für die separatistischen Provinzen Donezk und Luhansk notwendig sei - eine Aussage, die sich auch in den wiederholten Erklärungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow findet. Es geht um die Umsetzung eines Autonomie-Statuts für die beiden umstrittenen Regionen. Solch ein Statut ist prinzipiell schon vereinbart, doch ziert sich Kiew, das zuzugeben, fürchtet man doch, dass die Bevölkerung im Rahmen von Regionalwahlen für einen Anschluss an Russland votieren könnte. Selenskyj will die beiden Gebiete unbedingt als Teil der Ukraine erhalten; allerdings ist ihm bisher kein vernünftiger Lösungsvorschlag eingefallen, und er riskiert, dass Russland Donezk und Luhansk mit Waffengewalt annektiert.

Als neutrales Land hätte die Ukraine eine Position der Stärke

Allerdings könnte der ukrainische Präsident auch eine viel wirksamere Strategie fahren: Würde sich die Ukraine für neutral erklären, von sich aus einen Beitritt zur NATO und zur EU ausschließen und verlangen, dass die Neutralität sowohl von der NATO als auch von Russland garantiert wird, ergäbe sich eine völlig neue Situation: Würde einer der beiden Seiten die Neutralität verletzen, hätte die andere die Pflicht, zu intervenieren. Diese Regelung würde es allen beteiligten Seiten erlauben, das Gesicht zu wahren. Darüber hinaus könnten alle mit dem Erreichten zufrieden sein: Die Ukraine hätte ihre Sicherheits-Interessen befriedigt, Russland hätte die NATO auf Distanz gehalten und diese müsste sich nicht einem von Tag zu Tag ärger werdenden Gesichtsverlust aussetzen, den Drohungen und Parolen, seien sie auch noch so markig, nicht kaschieren können.

Für die Ukraine riskiert der Westen keinen Krieg

Selenskyj will aber mehr, nämlich einen Beitritt zur NATO und in die EU. Dass diese jedoch nicht erfolgen werden, zeigen die leeren, inhaltslosen Versprechen, die der Ukraine seit Jahren gemacht werden, und denen keine Taten folgen. Kiew erkennt einfach nicht (oder will es nicht erkennen), dass es vom Westen hingehalten wird, obwohl die Fakten doch klar auf dem Tisch liegen: Sowohl die USA als auch Deutschland und Frankreich haben erklärt, dass sie sich nicht an einer kriegerischen Auseinandersetzung beteiligen werden, und dass Großbritannien sich allein in der Ukraine engagiert, ist ausgeschlossen. Von den kleineren NATO-Mitgliedern kommen Aussagen von noch ganz anderem Kaliber, nur zwei Beispiele: Kroatien hat angekündigt, es würde im Falle eines Einschreitens der NATO das Militärbündnis verlassen, und Ungarn macht aus der Tatsache, dass es engste Beziehungen zu Moskau pflegt, keinerlei Hehl. Lediglich Polen plädiert für eine harte Gangart, aber so groß ist der Einfluss von Warschau in dem insgesamt 30 Mitglieder umfassenden Bündnis nun wirklich nicht. Angesichts dieser Umstände muss man sich schon fragen: Wie viele Hinweise benötigt Selenskyj noch, dass er sich etwas einfallen lassen muss, und zwar schnell“?

Es kommt noch schlimmer. Eine Reihe von Staaten - Deutschland gehört nicht dazu -, die sich als Freunde, Partner, Unterstutzer der Ukraine deklarieren, senden Waffen. Was bedeutet das im Klartext? Die Waffen-Industrie wittert ein großes Geschäft, die internationale Politik zeigt sich großzügig, die ukrainische Regierung fühlt sich stark, und die ukrainischen Soldaten werden als Kanonenfutter in den Krieg gejagt. Seit dem Aufstand der Separatisten in der Ostukraine 2014 schafft es die ukrainische Armee nicht, für Ordnung zu sorgen. Bisher hat die russische Armee den Separatisten nur mit versteckten Operationen geholfen. Wenn nun die über 100.000 russischen Soldaten, die an der Grenze stehen, einmarschieren, wird dann auf einmal die ukrainische Armee mit ihren neuen Waffen aus dem Westen die Separatisten besiegen und eine Invasion zurückschlagen? Nein, das ist Fantasterei, vielmehr ist zu erwarten, dass über die beiden Regionen hinaus große Teil der Ostukraine von Russland okkupiert werden.

Aufschlussreich ist ein Blick in den US-Senat, dessen Mitglieder nicht daran denken, eine militärische Intervention zu genehmigen. Aber einige Senatoren machen sich stark für Waffenlieferungen an die Ukraine. Und sie machen kein Hehl daraus, dass sie dies im Interesse der in ihren Regionen angesiedelten Waffenfabriken und deren Arbeitnehmer tun. Da tun sich Abgründe auf: Nehmen diese Menschen tatsächlich tausende tote Ukrainer in Kauf, nur um ihren Wählern etwas Gutes zu tun - und auf diese Weise für ihre Wiederwahl zu sorgen?

Mit Schalmeien-Tönen und Bagatellbeträgen lässt sich kein Land aufbauen

Zu einem anderen Parlament: EU-Abgeordnete machen sich in Kiew derzeit ein Bild von der Krise und versichern die Kollegen im dortigen Parlament der vollen Unterstützung durch Brüssel. Diese Schalmeien-Töne kennt man in Kiew allerdings schon und hat Mühe, den Gästen aus Brüssel gegenüber höflich zu bleiben. Wenn es schon keinen Beitritt zur NATO oder zu EU gibt, dann würde man sich über eine echte Wirtschaftspartnerschaft freuen. Seit Jahren gibt es nur ein paar Almosen; gerade schnürt EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mal wieder ein Paket im Wert von 1,2 Milliarden Euro. Was sollen solche Bagatellbeträge für eine bankrotte Volkswirtschaft von 44 Millionen Menschen (also weniger als 30 Euro pro Bürger)? Um das Land in Schwung zu bringen, müssten jährlich Beträge in der Größenordnung von einer dreistelligen Milliarden-Zahl investiert werden, aber nicht in Waffen, sondern in die Infrastruktur und in die Unternehmen.

Um das Gesicht der hilflosen Politiker zu wahren, musste einer gehen, der Klartext redet(e)

All diese Umstände, all diese Zusammenhänge, die wir hier diskutieren und analysieren, interessiert im Westen niemanden. Es geht einzig und allein darum, das Gesicht zu wahren. In diesem Sinne musste der Chef der deutschen Marine, Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach, seinen Posten räumen, weil er in einem Interview seine Meinung kundtat und eine vollkommen richtige Analyse der aktuellen geopolitischen Lage formulierte. Die war aber politisch nicht willkommen; jetzt ist der kritische Offizier kaltgestellt, und diejenigen, die möglicherweise die gleichen Ansichten vertreten wie er, werden sich in Zukunft im Interesse ihrer Karriere hüten, den Mund aufzumachen.

Schönbach sagte, dass die tatsächliche Bedrohung von China ausgehe und Europa deshalb danach trachten müsse, Russland - sowie Indien - als Partner zu gewinnen. Der aktuelle Hickhack treibe Russland immer stärker in die Arme der Volksrepublik, wodurch Europa ein umso mächtigerer Gegner erwachse. Ich sage: Schönbach hat Recht; diese seine Überlegungen, diese strategischen Gegebenheiten sollten die Pfeiler sein, auf denen eine zukünftige europäische Verteidigungspolitik ruht. Doch nein, die westlichen Entscheidungsträger sehen das anders. Ohne zu zögern haben sie den Überbringer dieser so wichtigen Botschaft kaltgestellt. Vollends den Unmut der deutschen Regierung zog sich Schönbach übrigens mit der Aussage zu, Russland werde die Krim nicht aufgeben, diese geopolitische Realität müsse man einfach zur Kenntnis nehmen. Darüber hinaus sollte man Russlands Präsident Wladimir Putin respektvoll begegnen.

Man kann sich vorstellen, was diese Aussagen ausgelöst haben bei Politikern, die seit Jahren mit Sanktionen, die völlig wirkungslos sind, die Krim zurückgewinnen wollen. Die Damen und Herren werden entsetzt gewesen sein. Den täglich beschworenen Buhmann respektieren: Wie kann man das nur fordern? Welch ein Affront!

Dieser Umgang mit Vizeadmiral Schönbach hat nur einen Grund: Das Bild soll nicht getrübt werden. Welches Bild? Das Bild der - angeblichen - Einigkeit und Stärke des Westens. Das Bild einer Illusion also. Unterstützung erhielt die Politik von Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die in einem Kommentar beklagte, dass Schönbach dazu beitrage, dass Deutschland als international unverlässlicher Partner gesehen werden könnte. Also jenes Deutschland, dessen Regierung täglich klar macht, dass man für die Ukraine keinen Finger rühren werde.

Pause im Krieg der Worte: Putin denkt nach. Selenskyj fällt nichts ein.

Vorerst ist Pause im Krieg der Worte. Putin denkt nach. Russland hat verlangt, dass die NATO und die USA verbindlich erklären, dass weder die Ukraine noch Georgien jemals in das westliche Militärbündnis aufgenommen werden. Außerdem sollte die NATO die Verteidigungslinie an der Ostgrenze der EU abbauen, da man sich in Moskau von den Raketen und Soldaten bedroht fühle. Nun haben die NATO und die USA dem Kreml schriftlich mitgeteilt, dass sie beide Forderungen nicht erfüllen werden und man sich von Russland keine Vorschriften machen lasse. Stattdessen haben sie einen ständigen engen Dialog angeboten und vorgeschlagen, dass russische Experten die Einrichtungen an der EU-Ostgrenze regelmäßig kontrollieren mögen. Dann werde offensichtlich, dass die Anlagen keine Bedrohung darstellen. In Moskau fragt man sich, gegen wen denn diese Raketen gerichtet sein könnten, wenn nicht gegen Russland. Der Kreml hat die USA aufgefordert, Selesnkyj in seiner Aggressivität gegenüber Russland zu bremsen. Die Antwort: Die Ukraine sei ein selbstständiger Staat, dem man keine Vorschriften machen könne.

Also geht es derzeit nicht so recht weiter. Putin denkt nach, wie er auf die Briefe aus dem Westen reagieren soll, und Selenskij ist dabei, sich etwas einfallen zu lassen - oder auch nicht.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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