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Die Ukraine-Krise macht es deutlich: Peking und Moskau trauen sich nicht über den Weg

Alle reden von der neuen sino-russischen Partnerschaft. Aber die Ukraine-Krise zeigt, wie fragil das Verhältnis zwischen Moskau und Peking ist.
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20.02.2022 09:00
Lesezeit: 4 min
Die Ukraine-Krise macht es deutlich: Peking und Moskau trauen sich nicht über den Weg
Verbündete oder nicht? Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und Chinas Präsident Xi Jinping. (Foto: dpa) Foto: Dmitri Lovetsky

Beijing mag 6.500 Kilometer von Kiew entfernt liegen, geopolitisch geht es für China in der eskalierenden Krise um das Schicksal der Ukraine aber um sehr viel. Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert und einen anhaltenden Konflikt (wenn auch wahrscheinlich keine direkte militärische Konfrontation) mit den USA und ihren westlichen Bündnispartnern auslöst, kommt das natürlich China zugute. Amerika müsste strategische Ressourcen für die Eindämmung Russlands einsetzen, und seine europäischen Verbündeten stünden den Bitten der USA, ihrer Anti-China-Koalition beizutreten, wegen Ressourcenmangel noch skeptischer gegenüber als eh schon.

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Entschärft US-Präsident Joe Biden die Krise jedoch, indem er den Forderungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin wenigstens zum Teil nachgibt, steht China strategisch vermutlich schlechter da als vorher. Wenn Putin die Früchte seiner Drohdiplomatie erntet und Biden ein potenzielles Desaster in Osteuropa vermeidet, rückt China wieder ins Zentrum der nationalen Sicherheitsstrategie der USA. Und das ist noch nicht alles: Nachdem Putin die obsessive Beschäftigung der USA mit China geschickt dazu genutzt hat, die Einflusssphäre Russlands zu stärken, verliert China den Großteil seines strategischen Werts für Russland.

Putin setzt Bidens Angst, in einen Konflikt mit einem im Grunde gar nicht so wichtigen Gegner (Russland) gezogen zu werden, als Hebel ein, um entscheidende Sicherheitsgarantien zu erzwingen. Ein kluger, wenn auch riskanter Schachzug. Den Einmarsch in die Ukraine zu befehlen – und

sich damit zumindest kurzfristig selbst zum wichtigsten geopolitischen Konkurrenten Amerikas zu befördern – liegt dagegen kaum im Interesse des Kremls. Verheerende Sanktionen des Westens und die hohen Kosten eines Kampfes gegen Aufständische in der Ukraine würden Russland entscheidend schwächen, Putins Beliebtheit im eigenen Land schaden und seine Abhängigkeit vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping zusätzlich erhöhen.

Obwohl China in der Ukrainekrise also selbst einiges zu verlieren hat, achtet die chinesische Regierung penibel darauf, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Während die zunehmenden Spannungen in den westlichen Medien für Schlagzeilen sorgen, wird die Ukraine in der offiziellen chinesischen Presse kaum erwähnt. Zwischen dem 15. Dezember (dem virtuellen Gipfel) zwischen Putin und Xi) und dem 24. Januar diesen Jahres brachte Renmin Ribao, das offizielle Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas, nur einen Artikel über die Krise – eine Meldung über die ergebnislosen Gespräche zwischen Russland und den USA und seinen NATO-Bündnispartnern Mitte Januar. Auch Leitartikel oder Kommentare, in denen China Russland seine Unterstützung zusagt, glänzen durch Abwesenheit.

Besonders aufschlussreich: In der vom Kreml veröffentlichten Zusammenfassung des chinesisch-russischen Gipfeltreffens am 4. Februar wird behauptet, Xi unterstütze Putins Forderungen nach Sicherheitsgarantien des Westens, die eine weitere Osterweiterung der NATO ausschließen, wogegen dies in der chinesischen Version, die von der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua herausgegeben wurde, nicht erwähnt wird. Xis Erklärung war keine ausdrückliche Billigung von Putins Position, sondern eine vage und allgemein gehaltene Floskel, „sich bei Themen, die die jeweiligen Kerninteressen berühren, gegenseitig zu unterstützen.“

Dieses Muster wiederholte sich in dem Gespräch zwischen dem chinesischen Außenminister Wang Yi und seinem amerikanischen Amtskollegen Antony Blinken am 27. Januar. Westliche Medien interpretierten Wangs Äußerungen zur Ukraine als Unterstützung für Putin. Tatsächlich jedoch beanspruchte Wang für China konsequent eine reine Zuschauerrolle und sagte lediglich, „Russland begründete Sicherheitsbedenken müssten betont und gelöst werden“.

Die chinesische Zurückhaltung beim Thema Ukraine zeigt, dass Xi keinerlei Risiken eingehen will. Natürlich ist Putins aggressive Diplomatie, zumindest kurzfristig, im Interesse Chinas. Sollte er in die Ukraine einmarschieren und den strategischen Fokus der USA von China ablenken, umso besser.

Da Xi aber wohl nicht weiß, was der Kreml wirklich für die Ukraine plant (Putin dürfte seinem chinesischen Amtskollegen diese Pläne kaum mitgeteilt haben), ist er klug genug, sich ebenfalls bedeckt zu halten. Mit einer unzweideutigen chinesischen Unterstützung für Putins Forderungen würde sich das Land selbst in eine Ecke manövrieren. Lässt sich Putin von China zu einem Krieg ermutigen, könnten bestimmte Kreise in Moskau dies im schlimmsten Fall als diabolischen chinesischen Trick interpretieren, der Russland zu einer strategischen Spielfigur im Kalten Krieg zwischen China und Amerika degradiert. Akzeptiert Putin dagegen kleine Zugeständnisse, um ohne Gesichtsverlust ein potenzielles Desaster zu vermeiden, stünde China wie ein Idiot da, weil es sich hinter unrealistische Forderungen des Kremls gestellt hat.

Von all diesen strategischen Unsicherheiten abgesehen, weiß die chinesische Führung genau, dass sie mit einer ausdrücklichen Unterstützung Putins die Europäische Union vor den Kopf stoßen würde, die inzwischen Chinas zweitgrößter Handelspartner ist. Laut dem strategischen Kalkül der chinesischen Politik muss unbedingt verhindert werden, dass Amerika die EU für ihre Anti-China-Koalition gewinnt.

Für die EU sind Unabhängigkeit und Sicherheit der Ukraine sehr wichtig, und jede chinesische Beihilfe für Putin würde eine europäische Reaktion geradezu herausfordern. Die EU könnte China zum Beispiel dadurch bestrafen, dass sie den Austausch von Technologien beschränkt und Taiwan diplomatisch stärker unterstützt. Besonders die osteuropäischen EU-Mitglieder haben weniger Handelsverbindungen mit China und fühlen sich durch Russlands aggressives Auftreten am stärksten bedroht. Aus diesem Grund könnten sie zur Vergeltung viel einfacher die Taiwan-Karte gegen China ausspielen als die größeren Mitgliedstaaten. Dieses Risiko wollen vermutlich nur die wenigsten Mitglieder der chinesischen Führung eingehen.

Sie sind Realisten und wissen, dass sie auch dann kaum beeinflussen können, wie die aktuelle Krise in der Ukraine ausgeht, wenn sie sich öffentlich positionieren. Putin hält in dieser Pattsituation die Fäden in der Hand und diplomatische Schützenhilfe aus China dürfte das strategische Kalkül der Hauptprotagonisten in Washington, Brüssel oder auch Moskau kaum beeinflussen. Chinas Einfluss wird nur dann dramatisch wachsen, wenn Putin es darauf ankommen lässt und die Ukraine besetzt, weil er dann die wirtschaftliche Unterstützung Chinas bräuchte, um die Folgen der westlichen Sanktionen abzumildern.

Für Xi ist das bisher jedoch reine Spekulation. Die Supermacht China ist vorübergehend zum Zuschauen verurteilt und muss den Ausgang der Ukrainekrise gleichzeitig besorgt und hoffnungsvoll von der Seitenlinie aus abwarten.

Copyright: Project Syndicate, 2022.

www.project-syndicate.org

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Minxin Pei

Zum Autor: Minxin Pei ist Professor für Politikwissenschaften am äußerst renommierten Claremont McKenna College (Claremont ist ein Vorort von Los Angeles) und leitender Wissenschaftler beim „German Marshall Fund of the United States“.

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