Politik

DWN-KOMMENTAR Cüneyt Yilmaz: Darum geht es wirklich im Krieg in der Ukraine

Lesezeit: 3 min
26.02.2022 02:00  Aktualisiert: 06.03.2022 23:35
In Zeiten des Krieges werden von allen Seiten gezielte Desinformations-Kampagnen vorangetrieben. Niemandem ist zu trauen, denn der Beginn des Kriegs in der Ukraine war aus handfesten geopolitischen Gründen absehbar.
DWN-KOMMENTAR Cüneyt Yilmaz: Darum geht es wirklich im Krieg in der Ukraine
Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und US-Präsident Joe Biden bei ihrem Treffen in der „Villa la Grange“. (Foto: dpa)
Foto: Denis Balibouse

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Die Öffentlichkeit wird angesichts des Kriegs in der Ukraine von der einen oder anderen Seite mit gezielten Desinformationskampagnen in die Irre geführt. Grundsätzlich gilt: In Zeiten des Kriegs ist die Desinformation die „Mutter aller Ereignisse“. Es darf keiner Seite getraut werden.

Deshalb sollte ein geopolitischer Blick auf den Krieg in der Ukraine erfolgen. Einige europäische Politiker, die vor wenigen Wochen noch versuchten, den „Frieden in Europa zu retten“, hatten schon damals nichts – aber auch wirklich gar nichts – verstanden. Denn es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Russland in der Ukraine militärisch interveniert.

Auf die Frage, warum Russland in die Ukraine einmarschiert ist, liefert uns der mittlerweile verstorbene US-Geopolitiker Zbigniew Kazimierz Brzeziński eine klare Antwort.

In seinem Werk „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“, das erstmals im Jahr 1997 erschienen ist, führt er über die Ukraine aus:

„Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“

„Es kann trotzdem nach einem imperialen Status streben, würde aber dann ein vorwiegend asiatisches Reich werden, das aller Wahrscheinlichkeit nach in lähmende Konflikte mit aufbegehrenden Zentralasiaten hineingezogen würde, die den Verlust ihrer erst kürzlich erlangten Eigenstaatlichkeit nicht hinnehmen und von den anderen islamischen Staaten im Süden Unterstützung erhalten würden.“

„Auch China würde sich angesichts seines zunehmenden Interesses an den dortigen neuerdings unabhängigen Staaten voraussichtlich jeder Neuauflage einer russischen Vorherrschaft über Zentralasien widersetzen. Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Russland automatisch die Mittel, ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden. Verlöre die Ukraine ihre Unabhängigkeit, so hätte das unmittelbare Folgen für Mitteleuropa und würde Polen zu einem geopolitischen Angelpunkt an der Ostgrenze eines vereinten Europas werden lassen.“

Seit Beginn des Ukraine-Konflikts im Jahr 2014 wurde versucht, Russland vom Schwarzen Meer abzuschneiden. Die erste Antwort Russlands erfolgte durch eine Annexion der Halbinsel Krim, um den wichtigen Schwarzmeer-Hafen Sewastopol zu sichern. Anschließend erfolgte die Eröffnung der Krim-Brücke, die eine Straßen- und Eisenbahnverbindung zwischen der Krim über die Straße von Kertsch zur Halbinsel Taman in der russischen Region Krasnodar darstellt.

Seit 2017 war die Krim regelmäßig vom Nord-Krim-Kanal abgeschnitten, was auf der Halbinsel zu einer permanenten Wasserkrise führte. Im Zusammenhang mit dieser Problematik hatten die Deutschen Wirtschaftsnachrichten am 11. Dezember 2021 in einem Bericht mit dem Titel „Droht der Ukraine eine Teilung entlang des Dnepr-Flusses?“ ausgeführt, dass die Wasserversorgung der Krim sich durch eine militärische Operation sichern lassen würde, indem das gesamte Gebiet zwischen dem Donbass bis zur Krim (südlich des Dneprs) erobert wird. Im Rahmen dieses Berichts wurden zwei mögliche Operationspläne der Russen dargestellt, die aktuell weitgehend eintreten.

Dass Russland die aktuelle Intervention auf den Winter gelegt hat, hat taktische Gründe. Während die russische Armee in der Winterkriegsführung geübt ist, kann man dasselbe nicht über das spärlich ausgerüstete ukrainische Militär sagen. Ein Großteil der Nato-Armeen weist ebenfalls dieses Defizit auf.

Russland hat nicht vor, die Ukraine in einen Satelliten-Staat umzufunktionieren, da dem russischen Selbstverständnis zufolge die Ukraine ein Teil der russischen Gemeinschaft ist. Sie wird nicht als fremdes Land, sondern als Bruderstaat angesehen. Ein signifikanter Teil der Ukrainer erkennt die Russen ebenfalls als Brudervolk an.

Der aus Mittelfranken stammende amerikanische Geopolitiker Henry Kissinger führt dazu in seinem Beitrag mit dem Titel „Eine Dämonisierung Putins ist keine Politik“ aus:

„Der Westen muss verstehen, dass die Ukraine für Russland nie ein beliebiges fremdes Land sein kann. Russlands Geschichte begann mit der Kiewer Rus. Von hier aus verbreitete sich die russische Religion. Die Ukraine war jahrhundertelang ein Bestandteil Russlands, und die Geschichte der Länder war schon vorher miteinander verknüpft. Einige der wichtigsten Schlachten um Russlands Freiheit – beginnend mit der Schlacht von Poltawa 1709 – wurden auf ukrainischem Boden geschlagen. Die Schwarzmeerflotte – Russlands Mittel zur Einflussnahme im Mittelmeerraum – ist langfristig in Sewastopol auf der Krim stationiert. Selbst so renommierte Dissidenten wie Alexander Solschenizyn und Joseph Brodsky betonten immer, dass die Ukraine ein integraler Bestandteil der russischen Geschichte, ja Russlands sei.“

Fazit: Der aktuelle Krieg in der Ukraine wird insbesondere Europa und China wirtschaftlich schwer treffen. Russland wird – auch wenn der Kreml aktuell etwas anderes behauptet – nach einer Machtkonsolidierung an seinen westlichen und südlichen „Borderlands“ in einer offenen oder geheimen Zusammenarbeit mit den USA versuchen, Chinas Expansion einzudämmen. Sollten das Moskau und Washington nicht tun, würde China Russland über den Fernen Osten und Zentralasien wirtschaftlich und demographisch schlucken und den USA die Kontrolle über die Handelsrouten zur See und an Land streitig machen.

Doch was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für die EU? Die jährliche Energieinflation in der EU erreichte im Januar 2022 27 Prozent und setzte damit den Aufwärtstrend fort, berichtet das Statistikamt der EU. Angesichts der Spannungen mit Russland dürften die Energiepreise die Verbraucherpreisinflation in den EU-Staaten weiter anheizen.

In Verbindung mit den Problemen bei den Lieferketten, den Corona-Maßnahmen (Impfpflicht, Maskenpflicht und weitere Beschränkungen, die massenpsychologisch einen repressiven Charakter aufweisen) und den anstehenden Klima-Beschränkungen dürfte in den EU-Staaten ein explosives Umfeld entstehen, das das Potenzial gewalttätiger Massenunruhen in sich birgt. Allerdings dürfte es auch in anderen Regionen der Welt zu Inflations-Unruhen kommen, weil zusätzlich die Weizenpreise und der Nahrungsmittelpreis-Index steigen dürften.

Am 3. November 2021 führten die Deutschen Wirtschaftsnachrichten im Zusammenhang mit den Klimazielen und der Inflation aus, dass der Ölpreis mittelfristig auf etwa 250 US-Dollar ansteigen könnte.

Kurzum: Am Ende dieser turbulenten Zeitenwende wird – um es mit den Worten von Kissinger zu sagen – eine neue Weltordnung stehen. Die Konturen dieser neuen Ordnung sind leicht zu erkennen.

                                                                                ***

Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.


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