Deutschland

Scholz stoppt Nord Stream 2: Hat er rechtmäßig gehandelt?

Lesezeit: 3 min
27.02.2022 13:31  Aktualisiert: 27.02.2022 13:31
Ein hochqualifizierter Verwaltungsjurist liefert eine juristische Darstellung und Einschätzung von Olaf Scholz´ Entscheidung, das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 zu stoppen.
Scholz stoppt Nord Stream 2: Hat er rechtmäßig gehandelt?
Akten und Gesetzbücher liegen auf dem Richtertisch im Saal des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) von Mecklenburg-Vorpommern (November 2021). Das OVG verhandelt über die Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen Nord Stream 2. (Foto: dpa)
Foto: Stefan Sauer

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Bundeskanzler Scholz hat am 22. Februar 2022 wegen des eskalierenden Russland-Ukraine-Konfliktes kurzerhand das Genehmigungsverfahren für die Gas-Pipeline Nord Stream 2 gestoppt. Anlass war der Schritt Russlands, die selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten anzuerkennen und damit einen – so Scholz – „schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts“ zu begehen.

Neubewertung der Lage erforderlich

Scholz begründete seine politische Entscheidung zur Unterbrechung des Genehmigungsverfahrens mit einer anlässlich der jüngsten geopolitischen Entwicklungen erforderlich gewordenen Neubewertung der Lage. Damit handelte er auch im Interesse der USA, die sich noch vor wenigen Wochen bei einem Staatsbesuch Scholz‘ im Falle eines Einmarsches Russlands in die Ukraine für die Beendigung des Projektes Nord Stream 2 ausgesprochen hatten. Die Amerikaner bringen nun selbst Sanktionsmaßnahmen gegen die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG auf den Weg.

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie muss Versorgungssicherheit neu feststellen

Konkret hat Bundeskanzler Scholz das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie angewiesen, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen, damit das Genehmigungsverfahren für die Gas-Pipeline vorerst nicht in die

Zertifizierungsphase münden kann. Die Nord Stream 2 Gas-Pipeline ist baulich fertiggestellt, muss aber noch im Rahmen eines förmlichen Genehmigungsprozesses von der Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde zertifiziert werden. Der bestehende Analysebericht, der die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union im Ergebnis als nicht gefährdet auswies, wurde bereits am 26. Oktober 2021 und somit noch in der letzten Legislaturperiode an die Bundesnetzagentur übermittelt. Diese hatte ab diesem Zeitpunkt ihrerseits vier Monate Zeit, den Zertifizierungs-Entscheidungsentwurf an die Europäische Kommission zur Abgabe einer Stellungnahme zu übermitteln.

Das Vorgehen des Bundeskanzlers erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich, kann aber aufgrund seines Weisungsrechtes gegenüber den Bundesministerien und der besonderen Ausgestaltung des energiewirtschaftlichen Genehmigungsverfahren unter Einbeziehung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie durchaus als rechtens angesehen werden.

Keine Inbetriebnahme ohne Zertifizierung

Rechtlich gesehen stellt die Feststellung der Versorgungssicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union mit Gas gemäß § 4b Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes eine notwendige Voraussetzung für die Erteilung der Zertifizierung der Gas-Pipeline durch die Bundesnetzagentur dar. Ohne die Zertifizierung darf die Gas-Pipeline nicht in Betrieb gehen. Die hierfür erforderliche Feststellung beruht auf einer Analyse tatsächlicher und rechtlicher Art und muss bei einer wesentlichen Änderung der Bewertungsumstände aktualisiert werden.

Nunmehr muss das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eine Neubewertung der Versorgungssicherheit vornehmen. Wenn alle für die Bewertung der Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie drei Monate Zeit, der Bundesnetzagentur seine Neubewertung zu übermitteln. Bei der Neubewertung sind nach § 4b Abs. 3 des Energiewirtschaftsgesetzes unter anderem völkerrechtliche Erwägungen, Rechte und Pflichten aus bilateralen und multilateralen Abkommen und – offener gefasst – besondere Umstände des Einzelfalls und des betreffenden Drittstaates zu berücksichtigen. Vor einer finalen Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Zertifizierung des Betriebs der Gas-Pipeline bitten die Bundesnetzagentur und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gemäß § 4b Abs. 4 des Energiewirtschaftsgesetzes die Europäische Kommission um Stellungnahme. Auch diese bewertet die Umstände vor dem Hintergrund energiewirtschaftlicher Entflechtungsvorgaben und der Versorgungssicherheit der Europäischen Union. Die Bundesnetzagentur hat auch die Stellungnahme der Europäischen Kommission bei ihrer Zertifizierungsentscheidung zu berücksichtigen.

Stellt sich angesichts der politischen Lage und ihres negativen Einflusses auf die Versorgungssicherheit der Versorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union mit Gas heraus, dass die Versorgungssicherheit auf nicht absehbare Zeit gefährdet ist, ist das Genehmigungsverfahren (vorerst) gescheitert, eine Zertifizierung kann nicht erfolgen.

Lange Gerichtsverfahren und finanzielle Schäden

In diesem Fall kann die „Gas for Europe GmbH“, eine Tochtergesellschaft der „Gazprom“, als Transportnetzbetreiber Rechtschutz bei den Gerichten ersuchen, um die begehrte Zertifizierung auf diesem Weg zu erhalten. Auch Investoren des Projektes Nord Stream 2 werden Schadensersatzforderungen für die uneinbringlichen Investitionen prüfen: Deren Erfolgschancen hängen dann u.a. davon ab, ob die Bewertung des Wirtschaftsministeriums ermessensfehlerfrei ergangen ist. In vergleichbaren Verfahren im Zusammenhang mit dem Atomausstieg hatten die Konzerne RWE, Vattenfall, EON und EnBW nach jahrelangem Rechtsstreit mit der Bundesregierung eine Ausgleichszahlung für das enttäuschte Vertrauen auf die beschlossenen Laufzeitverlängerung ausgehandelt.

Das Aus für die Gas-Pipeline Nord-Stream 2?

Noch bedeutet das aktuelle politische und juristische Vorgehen nicht das endgültige Aus für die Gas-Pipeline. Da die Neubewertung angesichts der unsicheren Lage einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wird sich das Genehmigungsverfahren – so auch Bundeskanzler Scholz – aber in die Länge ziehen. Es scheint, als hoffe die Bundesregierung, dass die Situation in der gewonnenen Zeit deeskaliert und eine diplomatische Lösung für das Projekt Nord Stream 2 gefunden werden kann – wenngleich die aktuellen Entwicklungen hier nichts Gutes verheißen.

Aktuell weist die Politik Befürchtungen einer Unterversorgung mit Gas zurück. Dass die Energiepreise in Folge der jüngsten Entwicklungen aber nicht sinken, sondern eher steigen werden, dürfte unausweichlich sein.

Zur Person: Dr. Olaf Dziallas ist Rechtsanwalt und Partner der Wirtschafts- und Anwaltskanzlei FPS in Frankfurt. Als Fachanwalt für Verwaltungsrecht besitzt er umfassende Erfahrungen insbesondere bei der öffentlich-rechtlichen Begleitung komplexer Großbauvorhaben sowie bei der Baulandentwicklung.

Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Politik
Politik Nato-Ziele: Trump und der mögliche Nato-Kurswechsel in der Ukraine
04.12.2024

Könnte Donald Trump ein Ende des Ukraine-Kriegs herbeiführen? Der Nato-Generalsekretär warnt vor Friedensverhandlungen, die unter Druck...

DWN
Finanzen
Finanzen Ist bei VW, BMW und Mercedes der Lack ab? Deutsche Auto-Aktien im Sinkflug – was das für Anleger bedeutet
04.12.2024

Deutsche Autobauer stehen unter Druck: VW streicht Stellen, BMW ruft Modelle zurück, Opel kämpft mit der Konkurrenz im eigenen Konzern...

DWN
Politik
Politik Bitcoin im Wahlprogramm der AfD: Wie die politische Debatte Deutschland erreicht
03.12.2024

Bundestagswahl 2025: Die Kryptowährung Bitcoin glänzt mit Rekordwerten. Grund genug für die Alternative für Deutschland (AfD), mit...

DWN
Immobilien
Immobilien Haftbefehl gegen René Benko: Italienische Justiz erlässt Haftbefehl gegen Signa-Gründer
03.12.2024

Die italienische Justiz hat einen Haftbefehl gegen René Benko, den Gründer der insolventen Immobilien- und Handelsgruppe Signa, erlassen....

DWN
Finanzen
Finanzen DAX aktuell: Neues DAX-Allzeithoch bei über 20.000 Punkten - drohen nun Gewinnmitnahmen?
03.12.2024

Steil bergauf geht es für den DAX aktuell: Nach dem DAX-Allzeithoch am Montag kletterte der deutsche Leitindex am Dienstag über die Marke...

DWN
Politik
Politik Rot-Grün strebt Entlastung bei Stromkosten an - Mehrheitsfindung im Fokus
03.12.2024

Die rot-grüne Minderheitsregierung plant eine Entlastung bei Stromkosten für Unternehmen. Das Bundeskabinett hat in einem Umlaufverfahren...

DWN
Politik
Politik Kriegsrecht: Südkoreas Präsident erklärt Ausnahmezustand – was das genau heißt
03.12.2024

In einer überraschenden Ansprache hat Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol das Kriegsrecht ausgerufen. In einer live übertragenen Rede...

DWN
Politik
Politik Warum sich Ungarn „Viktor Donald Scholz“ wünscht - und eine Zeitmaschine
03.12.2024

Ungarn hat im Sommer die EU-Ratspräsidentschaft übernommen – ist jedoch ausgegrenzt und weitgehend isoliert. Nicht erst seit dem...