Politik

Historische Zäsur: Schweiz gibt politische Neutralität auf

Die Schweiz hat die EU-Sanktionen gegen Russland übernommen. Vermögen werden gesperrt, Oligarchen an der Einreise gehindert. Der Schaden für das Land ist enorm.
28.02.2022 16:53
Aktualisiert: 28.02.2022 16:53
Lesezeit: 2 min
Historische Zäsur: Schweiz gibt politische Neutralität  auf
Ignazio Cassis, Bundespräsident der Schweiz, am Montag in Bern. Nach dem Bankgeheimnis gibt die Schweiz nun auch die politische Neutralität auf. (Foto: dpa) Foto: Peter Schneider

Trotz ihrer traditionellen Neutralität schließt sich die Schweiz den Sanktionen der Europäischen Union (EU) gegen Russland an. Als Reaktion auf den Einmarsch in die Ukraine führe das Land mit sofortiger Wirkung Finanz- und Gütersanktionen gegen Russland ein, teilte die Regierung in Bern am Montag mit. Die Vermögen von gelisteten Personen und Unternehmen würden gesperrt. Zudem träten Finanzsanktionen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, Ministerpräsident Michail Mischustin und Außenminister Sergej Lawrow in Kraft. Damit reagiere die Schweiz auf die schwerwiegenden Verstöße gegen das Völkerrecht, für die diese Personen verantwortlich seien.

"Das ist die größte gewalttätige Verletzung des Völkerrechts seit dem Zweiten Weltkrieg", erklärte der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis. Auf so ein Ereignis sei niemand vorbereitet gewesen. Angesichts der außerordentlichen Lage habe die Schweiz außerordentliche Maßnahmen ergriffen. "Selbstverständlich stehen wir auf der Seite der westlichen Werte. Wir bekennen uns zum Rechtsstaat, zur Demokratie, zu den Menschenrechten. Und zu dieser Gemeinschaft stehen wir."

Die Neutralität ist seit über 200 Jahren der wichtigste Grundsatz der Schweizer Außenpolitik. Diese Position hat dazu beigetragen, dass das Land von Kriegen verschont wurde und wirtschaftlich prosperierte. Wiederholt verteidigte die Regierung diese Haltung auch damit, nur so als Vermittlerin zwischen Konfliktparteien agieren zu können. Angesichts des Angriffs Russlands brach das Land nun aber mit der Vergangenheit, auch aufgrund des Drucks aus dem Ausland. Die Schweiz sei gut beraten, sich auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen, erklärte der EU-Abgeordnete Markus Ferber vor dem Entscheid der Schweizer Regierung. "Sonst wird die Schweiz ihr Image als Zufluchtsort für Bösewichte nie los."

Nach dem Entscheid erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, er sei sehr froh, dass sich die Schweiz den Sanktionen gegn Russland angeschlossen habe. Der Transfer von Geld in die Schweiz werde russischen Oligarchen jetzt nicht helfen. Das sei eine wirklich gute Nachricht.

Fünf Oligarchen, die Putin nahestehen, dürfen nicht mehr in die Schweiz einreisen. Aus Gründen des Datenschutzes nannte Justizministerin Karin Keller-Sutter keine Namen. Güter, die zu zivilen auch zu militärischen Zwecken verwendet werden können, dürften genauso wie Produkte für die Erdölverarbeitung nicht mehr nach Russland exportiert werden. Auch die Finanzsanktionen der EU setze die Schweiz vollumfänglich um. Russische Kunden seien für den Schweizer Finanzplatz nicht bedeutend, sagte Finanzminister Ueli Maurer. "Die Sanktionen können problemlos verkraftet werden."

Nicht eingeschränkt werde dagegen der Rohstoffhandel, weil die EU bisher ebenfalls keine Sanktionen ergriffen habe, erklärte er weiter. "Der Rohstoffhandel ist intakt." Städte wie Genf und Zug gehören weltweit zu den wichtigsten Drehscheiben für den Handel mit russischen Rohstoffen.

Im Einklang mit den Maßnahmen in anderen europäischen Ländern habe die Schweiz den eigenen Luftraum ab 15.00 Uhr für alle Flüge aus Russland und für alle Flugbewegungen von Luftfahrzeugen mit russischen Kennzeichen gesperrt.

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