Der Westen bereits Russlands Ausschluss aus dem SWIFT-System vor. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben dazu den Experten Andreas Nölke befragt.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was genau ist SWIFT?
Andreas Nölke: SWIFT ist eine Genossenschaft, die mehreren tausend Banken gehört und ihren Hauptsitz in einem Vorort von Brüssel hat. Ihre Aufgabe ist die Bereitstellung eines effizienten, schnellen und sicheren Kommunikationssystems zur Unterstützung der Abwicklung von Transaktionen zwischen Banken, insbesondere für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. SWIFT ist allerdings kein Zahlungssystem, wie regelmäßig fälschlich berichtet wird. Die Verrechnung und Abwicklung von grenzüberschreitenden Zahlungen erfolgt nicht durch SWIFT, sondern durch das Netzwerk von Korrespondenzbanken, die bereit sind, untereinander solche Transaktionen vorzunehmen. SWIFT unterstützt dieses Netzwerk durch Informationen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Folgen hat es für eine Bank, wenn sie aus dem SWIFT-System ausgeschlossen wird?
Andreas Nölke: Wenn eine Bank nur aus dem SWIFT-System ausgeschlossen wird, verliert sie die Fähigkeit zur mühelosen Kommunikation mit anderen Banken. Sie muss dann auf wesentlich langsamere und weniger sichere Kommunikationsmedien ausweichen, beispielsweise Telex, Fax oder E-Mail. Sollte eine Bank jedoch nicht nur aus SWIFT ausgeschlossen werden, sondern auch aus dem Netzwerk der Korrespondenzbanken, sind die Folgen für die Bank wesentlich schwerwiegender. Sie kann dann keine grenzüberschreitenden Transaktionen mehr durchführen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Folgen hat der Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-System für die russische Wirtschaft?
Andreas Nölke: Bereits die Ankündigung des Ausschlusses einzelner bisher noch nicht benannter russischer Banken (Stand: 1. März) hatte bereits schwerwiegende Konsequenzen für die russische Wirtschaft. Angesichts der Unsicherheit, welche Banken ausgeschlossen werden sollen, ob sie nur aus SWIFT oder auch aus dem Korrespondenzbankennetz ausgeschlossen werden sollen, und ob es Ausnahmen geben soll, beispielsweise für Energie- oder Nahrungslieferungen, hat in vielen Fällen dafür gesorgt, dass die Transaktionspartner russischer Banken ihre Geschäfte mit Letzteren eingestellt haben. Viele Bereiche der russischen Wirtschaft mit internationalem Bezug, sei es der Import von Maschinen oder der Export von Rohstoffen, wurde damit erheblich beeinträchtigt.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Folgen hat der Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-System für die deutsche Wirtschaft?
Andreas Nölke: Auch hier stellt sich die Frage, ob die Banken nur aus dem SWIFT-System ausgeschlossen werden sollen oder ganz aus dem Korrespondenzbankensystem. Falls es nur um einen Ausschluss aus SWIFT geht, können die Folgen für die deutsche Wirtschaft begrenzt bleiben. In diesem Fall verzögern sich Transaktionen mit russischen Partnern in Export, Import und Finanzsektor aufgrund der weitaus mühseligeren Form der Kommunikation. Sollten die russischen Banken aber auch aus dem Korrespondenzbankensystem ausgeschlossen werden, werden die Auswirkungen wesentlich schwerwiegender sein. In diesem Fall dürfte der Handel mit Russland zumindest vorübergehend zum Erliegen kommen, weil dann keine zeitnahen Transaktionen mit russischen Geschäftspartnern über das Bankensystem mehr möglich sind. Es dürfte etwas dauern, bis Wege zur Umgehung des Ausschlusses russischer Banken aus dem Korrespondenzbankensystem etabliert werden können. Schwerwiegender sind ohnehin die Folgen für den Finanzsektor, da hier ja täglich eine extrem hohe Zahl von Zahlungen abgewickelt wird und Verzögerungen durch einen Ausschluss von SWIFT oder gar dem Korrespondenzbankensystem kurzfristig gravierendere Folgen haben würde. Hier könnten Banken und andere Finanzmarktteilnehmer schnell massiv an Liquidität verlieren und wären möglicherweise gezwungen, ihren Betrieb einzustellen, wenn sie einen starken Bezug zu Russland haben.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Können die Finanzsanktionen gegen Russland über den Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-System hinaus noch weiter verschärft werden?
Andreas Nölke: Ein bloßer Ausschluss aus SWIFT stellt noch eine vergleichsweise milde Sanktion dar, die auf jeden Fall noch deutlich verschärft werden kann. Die weitaus gravierendere Sanktion ist der Ausschluss aus dem Korrespondenzbankensystem. Hinzu kommt die Frage, welche Ausnahmen es für den Ausschluss sowohl in Bezug auf SWIFT als auch in Bezug auf das Korrespondenzbankensystem gibt. Beispielsweise haben die ersten Sanktionen der amerikanischen Regierung explizit Sektoren wie den der Energie und der Nahrungsmittel ausgespart, um die Sanktionen (zunächst) noch abzumildern. Noch weiter intensiviert werden können die Sanktionen mit sogenannten Sekundärsanktionen. In diesem Fall würden die USA und die EU nicht nur ihren eigenen Korrespondenzbanken verbieten, weiter Transaktionen mit russischen Banken durchzuführen, sondern auch Transaktionen mit dritten Parteien unterbinden, die weiterhin mit Russland interagieren. Da letzteres von Banken nicht so ohne weiteres geprüft werden kann, würden viele Banken ihre Beziehungen mit solchen Drittparteien sozusagen präventiv unterbrechen, um auf der sicheren Seite zu sein. Hier ist insbesondere die Position der USA entscheidend, denn alle größeren Banken sind auf eine amerikanische Banklizenz angewiesen. Sie würden einen Verlust dieser Lizenz riskieren, wenn sie mit Banken dritter Länder (z.B. China) die Sanktionen umgehen und weiter Handel treiben. Solche Sekundärsanktionen waren beispielsweise im Falle des Irans verhängt worden, mit dem Effekt, dass sich keine größere europäische Bank mehr traute, Handel mit dem Iran zu treiben, obwohl letzteres seit 2018 nur durch die USA verboten wurde, aber nicht mehr durch die Europäische Union.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Möglichkeiten zur Umgehung von SWIFT gibt es?
Andreas Nölke: Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob es nur um SWIFT oder um das Korrespondenzbankensystem geht. Falls es nur um SWIFT geht, würde man in Bezug auf Russland auf andere Kommunikationsmittel und auf das russische Zahlungsinformationssystem SPFS zurückgreifen, das seit 2014 entwickelt wurde, um Russland unabhängiger von SWIFT zu machen. Dieses System wickelt aber bisher nur etwa 20 Prozent der auf Russland bezogenen Transaktionen ab, es ist auch wesentlich langsamer und technisch stärker eingeschränkt als SWIFT. Falls auch das System der Korrespondenzbanken abgeschaltet werden soll, wird die Umgehung komplizierter. In diesem Fall würde es naheliegen, über Banken in Drittländern (z.B. China oder Indien) zu operieren. Falls zudem auch noch Sekundärsanktionen eingeführt werden, wäre die Frage, ob diese Banken das Risiko auf sich nehmen würden, ihre amerikanische Bankenlizenz zu verlieren. Denkbar ist beispielsweise, dass China eine Bank „opfert“, die dann speziell die Transaktionen mit Russland vornimmt, aber im Gegenzug den Zugang zum westlich dominierten Bankensystem verliert.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wird Russland seine Zahlungen möglicherweise über Chinas grenzüberschreitendes Interbank-Zahlungssystem (CIPS) abwickeln?
Andreas Nölke: CIPS ist im Gegensatz zu SWIFT nicht nur ein Informationssystem, sondern ein komplettes System zur Abwicklung von Zahlungen. Ähnlich wie im Fall von SPFS ist die Anzahl von ausländischen Banken, die bisher an CIPS angeschlossen ist, vergleichsweise gering. Es ist aber durchaus denkbar, für Zahlungen von und an Russland auf CIPS zurückzugreifen, wenn die chinesische Regierung die entsprechenden Spannungen mit der Europäischen Union und den USA zu tragen bereit ist.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie würde sich dies auf die Fähigkeit der USA auswirken, Geld- und Zahlungsströme zu überwachen?
Andreas Nölke: Jeder Ausschluss von Banken aus SWIFT beziehungsweise dem Korrespondenzbankensystem verringert die Fähigkeit der USA, diese Ströme zu überwachen. SWIFT ist ja überhaupt erst einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden, weil die USA im Rahmen von Anti-Terror-Operationen nach dem 11. September von SWIFT (erfolgreich) die Herausgabe von Transaktionsdaten verlangt haben. Je mehr Information an SWIFT vorbeilaufen – sei es über die chinesischen und russischen Alternativen, sei es über Kryptowährungen oder digitale Zentralbankwährungen, wie sie insbesondere von China stark vorangetrieben werden (aber bisher für den grenzüberschreitenden Verkehr keine Rolle spielen) – desto geringer die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, Geld- und Zahlungsströme zu überwachen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie erfolgreich waren aus Ihrer Sicht die Ausschlüsse anderer Länder wie zum Beispiel des Irans aus dem SWIFT-System?
Andreas Nölke: Die entscheidende Sanktion in Bezug auf den Iran war nicht der Ausschluss aus SWIFT, das war nur „das Sahnehäubchen“ der Sanktionen, um noch zur Abdichtung von Schlupflöchern beizutragen. Die entscheidenden Sanktionen, die die iranische Exportwirtschaft massiv getroffen haben, waren der Ausschluss vom Korrespondenzbankensystem und die Sekundärsanktionen der USA, die es auch europäischen Banken nicht ratsam erschienen ließ, weiter mit dem Iran Handel zu treiben. Vollkommen ökonomisch isoliert ist der Iran damit aber auch nicht, es gibt weiterhin Möglichkeiten zur Umgehung, wenn auch relativ aufwendig, über Drittländer und eher durch kleinere Banken.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was bedeuten die Finanzsanktionen des Westens - wie der Ausschluss bestimmter Länder von SWIFT - langfristig für die Stellung des US-Dollars als Weltleitwährung?
Andreas Nölke: Sollte der Ausschluss aus SWIFT und dem Korrespondenzbankensystem, verstärkt durch Sekundärsanktionen, dazu führen, dass der Handel mit Russland stärker über die chinesischen beziehungsweise russischen Alternativsysteme oder über digitale Währungen abgewickelt wird, kann das langfristig die Stellung des US-Dollars als Weltwährung gefährden. Besonders relevant wären aus meiner Sicht in diesem Fall die digitalen Zentralbankwährungen wie der E-Yuan, insbesondere, wenn diese in einem Verbund mit anderen Zentralbankwährungen entwickelt und untereinander austauschbar sind. Derzeit ist die chinesische Währung (noch) keine echte Alternative zum Dollar, weil gerade der Wechsel in andere Währungen sehr starken Restriktionen unterliegt.
Info zur Person: Andreas Nölke ist Professor für Politikwissenschaft in Frankfurt. Er hat an der Universität Konstanz Verwaltungswissenschaft studiert und wurde dort auch promoviert. Vor und nach seiner Promotion war er in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, unter anderem für Weltbank und Europäische Kommission sowie als Berater in Malaysia. Nach seiner Habilitation an der Universität Leipzig sowie Lehre an den Universitäten von Amsterdam und Utrecht arbeitet er seit 2007 an der Goethe-Universität sowie seit 2020 für das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE.