Politik

Weitet sich der Ukraine-Konflikt auf die Nachbarstaaten aus?

Während in der Ukraine gekämpft wird, wachsen die Ängste, dass der Konflikt auf Nachbarstaaten übergreifen könnte. Wie realistisch sind diese Befürchtungen?
09.03.2022 10:00
Lesezeit: 3 min
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Moldau

Moldau (Moldawien) liegt zwischen der Ukraine und dem NATO-Land Rumänien. Keine einfache geografische Lage vor dem Hintergrund des aktuellen Konflikts. 1940 war Moldau aufgrund des Hitler-Stalin Pakts durch sowjetische Truppen besetzt worden und blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der UDSSR. Nach deren Zusammenbruch wurde Moldau 1991 unabhängig.

Kurz darauf brachen Kämpfe aus zwischen moldauischen Truppen und Milizen des überwiegend von Russen und russischsprachigen Ukrainern besiedelten Gebietes Transnistrien im Osten Moldaus. In Deutschland wurde dieser Konflikt kaum wahrgenommen, da man zu dieser Zeit vor allem mit den Folgen der Wiedervereinigung beschäftigt war. Schließlich intervenierten russische Streitkräfte, die seit sowjetischer Zeit in Transnistrien stationiert waren. Die Region spaltete sich faktisch von Moldau ab.

Seitdem gab es keine größeren Kämpfe mehr. In Moldau wechselten sich russlandfreundliche mit russlandkritischen Regierungen ab. Aber stets wurde darauf geachtet, die Spannungen mit Transnistrien und Russland nicht zu sehr eskalieren zu lassen. Zwar beharrt die moldauische Regierung auf eine Wiedereingliederung Transnistriens, aber sie will dies allein mit friedlichen Mitteln erreichen. Russland wiederum hat einen 2014 von den Machthabern in Transnistrien gestellten Beitrittsantrag zur russländischen Föderation unbeantwortet gelassen. Es gibt einen relativ gut funktionierenden Grenzverkehr zwischen Transnistrien und Moldau.

Im November 2020 gewann die EU-freundliche Maia Sandu die moldauischen Präsidentschaftswahlen gegen den eher nach Russland orientierten Amtsinhaber Igor Dodon. Sie hat bisher eine Konfrontation mit Moskau vermieden und betonte schon im Wahlkampf: „Wir sind an guten Beziehungen mit Russland interessiert.“ So ist trotz des ungelösten Konflikts in Transnistrien die Lage in Moldau eher entspannt.

Ein Übergreifen des Ukraine-Konflikts auf Moldau ist grundsätzlich nicht zu erwarten. Allerdings könnte der Zustrom von Tausenden von ukrainischen Flüchtlingen das wirtschaftlich äußerst schwache Land vor große Probleme stellen. Schon am 24. Februar kamen 4.000 Ukrainer über die Grenze. Deutschland und die EU sollten dem ärmsten Land Europas tatkräftige Hilfe leisten, nicht zuletzt auch im eigenen Interesse. Sowie Moldau nicht mehr in der Lage wäre, die Flüchtlinge aufzunehmen (oder sie schlichtweg nicht mehr ins Land lassen würde), würden sie sich auf den Weg Richtung Europa machen.

Georgien

Zu Georgien haben die Russen ein emotionales und manchmal auch irrationales Verhältnis. Schon der russische Nationaldichter Puschkin schrieb über die Schönheit des Landes, und bis heute ist Georgien ein bevorzugtes Urlaubsziel der Russen. Georgische Restaurants findet man in Moskau viele, ebenso wie georgischen Wein in den Supermärkten. Das hinderte die russische Regierung aber nicht, einen zeitweisen Stopp gegen den Import georgischen Weines zu verhängen.

Das Kaukasusland wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 unabhängig. Bis 2003 betrieb der georgische Präsident und frühere sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse eine geschickte Schaukelpolitik zwischen Russland und dem Westen. Dann wurde Schewardnadse durch die sogenannte „Rosenrevolution“ gestürzt. Unter seinem Nachfolger Micheil Saakaschwili verschlechterte sich das Verhältnis zu Russland massiv. 2008 brachen Kämpfe zwischen Milizen der autonomen Teilrepublik Südossetien und georgischen Regierungstruppen aus. Die russische Armee intervenierte aufseiten der Osseten und drang weit nach Georgien vor. Das Land musste die weitgehende Abspaltung von Südossetien ebenso wie der Teilrepublik Abchasien akzeptieren. Auch in Abchasien hatte die georgische Armee eine Niederlage erlitten.

Dadurch hat Russland eigentlich seine Ziele in Georgien erreicht. Mit Abchasien und Süd-Ossetien hat Russland knapp 20 Prozent des georgischen Staatsgebietes eng an sich gebunden. Zu der jetzigen georgischen Führung ist das Verhältnis Moskaus zwar auch nicht gut, aber entspannter als unter Saakaschwili. Zudem wird Georgien mit seiner kaukasischen, nicht slawischen Bevölkerung selbst von russischen Nationalisten nicht als Teil der „russkij mir“ (russischen Welt) betrachtet, anders als die Ukraine und Belarus. Daher scheint eine groß angelegte Invasion Georgiens durch russisches Militär unwahrscheinlich.

Nicht ausgeschlossen ist aber ein Wiederaufleben von Grenzgefechten zwischen abchasischen/ossetischen und georgischen Truppen, in die dann auch russisches Militär verwickelt werden könnte. Deshalb ist die Einrichtung von demilitarisierten Zonen entlang der Konfliktlinien sehr wichtig.

Baltikum

Russland und die Balten: das ist ein durch die Geschichte stark belastetes Verhältnis. Symbolisch steht dafür der Hitler-Stalin-Pakt, in dem das Baltikum der Sowjetunion zugeschlagen wurde. Nach dem Sieg über die Deutschen blieb das Baltikum für Jahrzehnte ein Teil der UDSSR. Erst mit ihrem Ende im Jahr 1990 erlangten die Balten ihre Unabhängigkeit zurück, die sie bereits zwischen den beiden Weltkriegen besessen hatten.

Nicht zuletzt aus Angst vor dem übermächtigen Nachbarn Russland wurden Estland, Lettland und Litauen 2004 Mitglieder der NATO und EU. Der russischen Regierung ist bewusst, dass ein direkter Angriff auf das Baltikum Krieg mit der NATO bedeuten würde oder zumindest bedeuten könnte (die Region gilt als schwer zu verteidigen - ob die NATO einen Krieg mit der Atommacht Russland riskieren würde, um die drei kleinen Staaten zu retten, ist Gegenstand heftiger Diskussionen). Trotzdem ist die Lage an den Grenzen des Baltikums zu Russland brisant. Die baltischen Außenminister forderten in einer Stellungnahme am Donnerstag „die härtesten Sanktionen“ sowie Russland „politisch zu isolieren“.

Um Putin keine Gelegenheit zu geben, die Russen im Baltikum für politische Zwecke zu instrumentalisieren, sollten die baltischen Regierungen stärker auf die jeweilige russische Minderheit in ihren Ländern zugehen. Dies betrifft besonders die Sprachenpolitik und die Frage der Staatsangehörigkeit. Auch über 30 Jahre nach der Unabhängigkeit haben viele russischsprachige Bürger im Baltikum weiterhin keine Staatsbürgerschaft, da diese nur bei sehr guten Kenntnissen der jeweiligen Nationalsprache vergeben wird. Eigentlich war es eine Bedingung für den EU-Beitritt der Balten, dass sie die rechtliche Lage der russischen Minderheit deutlich verbessern. Davon ist jedoch wenig umgesetzt und auch nicht von der EU aktiv eingefordert worden. Ein Versagen Brüssels!

Wichtig ist, dass so bald wie möglich Sicherheitsabsprachen zwischen der NATO und der russischen Führung in Bezug auf die Lage an den baltisch-russischen Grenzen stattfinden. Die Gefahr ist zu groß, dass es in einer Situation, in der auf beiden Seiten die Nerven blank liegen, zu Missverständnissen kommt, die direkte militärische Folgen haben. Ein Konflikt mit Russland wäre auch für Westeuropa eine Katastrophe, insbesondere im Hinblick auf die große russische Stärke im Nuklear-Bereich.

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