Politik

Russlands Oligarchen geraten ins Fadenkreuz: Warum nicht auch die westlichen Milliardäre?

Sind Europas und Amerikas Superreiche wirklich bessere Menschen als Russlands Oligarchen?
27.03.2022 08:00
Lesezeit: 4 min

Nachdem er zum Ziel von Großbritanniens Sanktionen gegen russische Oligarchen geworden war, kündigte Roman Abramowitsch an, er werde seinen Fußballclub FC Chelsea verkaufen. Kaum hatte er das getan, als sich auch schon alle wie die Geier auf das Schnäppchen stürzten. Sowohl eine Sport-Ikone als auch große Tiere aus der Londoner City und sogar ein angesehener Kolumnist der Times (alle repräsentieren sie amerikanische Multimilliardäre), wetteiferten um den Kauf des Londoner Traditionsklubs, der vergangenes Jahr die Champions League gewann, den prestigeträchtigsten Titel im internationalen Vereinsfußball. Derweil wurden eine Vielzahl von Londoner Immobilien, die russischen Oligarchen gehörten, Gegenstand längst überfälliger Liquidierungsverfahren.

Warum das so lange gedauert hat?

Um es klar und deutlich zu sagen: aufgrund der im Westen herrschenden Rechtsordnung.

Es waren westliche Spitzenpolitiker, die den Geldfluss nach Großbritannien ermutigten. David Cameron appellierte in seiner Zeit als britischer Premierminister an ein Moskauer Publikum, in Großbritannien zu „investieren“. Doch war es nicht schwer, die Oligarchen dazu zu bringen, London mit ihrem Geld zu überfluten. Die Gesetze in den Staaten des Westens hindern Regierung und Öffentlichkeit nicht nur, die dort geparkten Vermögen in irgendeiner Weise zu "stören", sprich zu überwachen, sondern sogar, in Erfahrung zu bringen, wo sich diese Vermögen befinden und wie hoch sie sind. Warum sonst sollten zahllose Unternehmen ihren eingetragenen Sitz im US-Bundesstaat Delaware haben und Postfächer verwenden, die die Anonymität ihrer Inhaber garantieren?

Tatsächlich gewähren die westlichen Demokratien ausländischen Vermögen sogar noch mehr Schutz vor prüfenden Blicken. In einem Bericht aus dem Jahre 2021 mit dem Titel „The UK’s Kleptocracy Problem“ (Das Kleptokratie-Problem des Vereinigten Königreichs) deckte die Londoner Denkfabrik „Chatham House“ auf, dass die Oligarchen und Superreichen aus aller Welt gewährten „goldenen Visa“ nach „Überprüfungen“ erteilt wurden, die „in die alleinige Verantwortung der sie repräsentierenden Kanzleien und Vermögensmanager fielen“. In meiner Heimat Griechenland konnte sich ein Oligarch nach unserem faktischen Staatsbankrott 2010 für popelige 250.000 Euro ein goldenes Visum kaufen, das zudem mit einem Schengen-Visum verbunden war und damit der Möglichkeit, überall in der Europäischen Union zu wohnen und zu reisen - ohne, dass irgendwelche Fragen gestellt wurden. Ähnliche Visa werden von anderen finanziell klammen Euroländern verkauft, was einen Unterbietungswettbewerb anheizt, den die Oligarchen dieser Welt sehr zu schätzen wissen.

Nun gibt es derzeit gute Gründe, sich auf russisches Geld zu konzentrieren - schließlich zerstören russische Bomben die Städte der Ukraine. Dennoch ist es verblüffend, dass nur russische Milliardäre als Oligarchen bezeichnet werden. Warum wird die Oligarchie – der Begriff bedeutet Herrschaft (arche) durch die Wenigen (oligoi) – ausschließlich als russisches Phänomen angesehen? Sind die saudischen Prinzen oder die Fürsten aus den Emiraten keine Oligarchen? Schmuggeln amerikanische Milliardäre wie diejenigen, die sich derzeit scharenweise auf den FC Chelsea stürzen, weniger Geld aus ihrem Land als ihre russischen Pendants? Haben sie weniger politischen Einfluss? Oder nutzen sie ihre Macht einfach geschickter im Verborgenen, als die Russen das tun?

Russlands reichste 0,01 Prozent (die obersten 1 Prozent der obersten 1 Prozent) haben etwa die Hälfte ihres Vermögens – rund 200 Milliarden Dollar – außer Landes geschafft und in Großbritannien und anderen Finanzoasen geparkt. Zum Vergleich: Amerikas reichste 0,01 Prozent haben rund 1,2 Billionen aus den USA verschoben, und zwar hauptsächlich, um Steuern zu sparen.

Was den politischen Einfluss der russischen und amerikanischen Milliardäre angeht, ist völlig unklar, wer mehr hat. Während kein Zweifel besteht, dass einige russische Oligarchen bei Präsident Wladimir Putin Gehör finden, hat er mehr Kontrolle über sie als die US-Regierung über ihre Milliardäre. Seit der Entscheidung des obersten amerikanischen Gerichts, des Supreme Courts im Jahr 2010, Unternehmen das Recht zuzugestehen, genauso wie natürliche Personen an Politiker zu spenden, entfallen 40 Prozent aller Wahlkampfspenden auf Amerikas reichste 0,01 Prozent. Das hat sich für sie als hervorragende Investition zur Bewahrung ihres Vermögens erwiesen.

Ist es Zufall, dass die amerikanischen Milliardäre in den Jahren seit der „Deregulierung“ der Wahlkampffinanzierung den niedrigsten Steuersatz in über einer Generation erlangt haben, und den niedrigsten unter allen reichen Ländern? Oder dass der US-Steuerbehörde viel zu wenig Ressourcen zur Verfügung stehen? Laut einer grundlegenden empirischen Studie zum Abstimmungsverhalten im US-Kongress ist nichts davon Zufall: Die Übereinstimmung zwischen den im Kongress verabschiedeten Gesetzen und dem, was die meisten Amerikaner sich wünschen, ist nur unwesentlich größer als null.

Wenn also nichtrussische Milliardäre auch Oligarchen sind, bedeutet dieser ausschließliche Fokus im Westen auf die Russen dann, dass „unsere“ und die von unseren Verbündeten gehätschelten Oligarchen in irgendeinem Sinne besser sind? Hier betreten wir tückische ethische Gefilde.

Wer argumentiert, die saudischen Milliardäre, die hinter der jahrzehntelangen Verheerung des Jemen stehen, seien „besser“ als Abramowitsch, macht sich lächerlich. Putin würde sich bestätigt fühlen, wenn wir behaupten, die amerikanischen Ölmagnaten, die von der illegalen US-britischen Invasion des Iraks profitierten, seien den Eigentümern von Rosneft und Gazprom moralisch überlegen. Natürlich schauen Putins Oligarchen weg, wann immer ein tapferer Journalist in Russland ausgelöscht wird. Gleichzeitig aber schmachtet WikiLeaks-Gründer Julian Assange unter an Folter grenzenden Bedingungen in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, weil er die Kriegsverbrechen der westlichen Länder nach deren illegaler Invasion im Irak aufgedeckt hat. Und wie reagierten westliche Oligarchen und Regierungen, als ihre saudischen Geschäftspartner den Kolumnisten der Washington Post Jamal Khashoggi zerstückelten?

Nach Putins Einmarsch in die Ukraine äußerte die britische Regierung ihre Entschlossenheit, den Schleier der Geheimhaltung und Täuschung, der das in Großbritannien geparkte Geld vor den Blicken von Strafverfolgungs- und Steuerbehörden verbirgt, zu lüften. Ob die Realität der Rhetorik standhält, bleibt allerdings abzuwarten. Schon jetzt gibt es Anzeichen von Spannungen zwischen dem Ziel, das Geld der Oligarchen zu beschlagnahmen, und dem Zwang, Großbritannien „wirtschaftlich offen zu halten“.

Die Ereignisse in der Ukraine sind eine Tragödie - an der das einzig Gute vielleicht ist, dass sie den Grundstein dafür legt, dass nicht nur die Oligarchen mit russischem Pass, sondern auch ihre amerikanischen, saudischen, chinesischen, indischen, nigerianischen und griechischen Pendants einer genaueren Überprüfung unterzogen werden. Ein hervorragender Ausgangspunkt wären die Londoner Villen, die nach Aussage von Transparency International leer stehen. Wie wäre es, wenn man darin Flüchtlinge aus der Ukraine und dem Jemen unterbringen würde? Und wo wir schon dabei sind: Warum übergeben wir den FC Chelsea nicht seinen Fans?

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2022.

www.project-syndicate.org

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Yanis Varoufakis

Zum Autor: Yanis Varoufakis war im Jahr 2015 kurzfristig griechischer Finanzminister. Er ist Vorsitzender der Partei MeRA25 und Professor für Volkswirtschaft an der Universität Athen.

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