Der Vorstandsvorsitzende des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink, sieht eine Zeitenwende für Weltwirtschaft und Finanzmärkte heraufziehen. „Der russische Einmarsch in die Ukraine hat zum Ende jener Globalisierung geführt, wie wir sie in den vergangenen drei Jahrzehnten erlebt hatten“, zitiert die Financial Times Fink.
Der Krieg habe jene sich schon zuvor in der Welt abzeichnenden Tendenzen der ökonomischen Abkopplung verstärkt, so Fink. „Insgesamt werden sich Unternehmen und Regierungen verstärkt ihre Abhängigkeiten von anderen Staaten anschauen. Dies könnte dazu führen, dass Firmen ihre Aktivitäten ins eigene Land oder in die Nähe davon zurückholen, was sich in einer beschleunigten Abwanderung aus manchen Ländern niederschlagen könnte.“
Fink rechnet damit, dass die starken inflationären Tendenzen in der Weltwirtschaft andauern werden. „Eine groß angelegte Reorientierung der Lieferketten wird unweigerlich inflationär wirken“, zitiert die FT aus einem zehnseitigen Brief, den Fink kürzlich an die Blackrock-Aktionäre verschickt hatte. Nutznießer dieser Umgestaltung der Lieferketten könnten aus seiner Sicht Länder wie Mexiko, Brasilien, die USA und die Staaten Südostasiens sein.
Deutsche Wirtschaft rechnet mit „harten Zeiten“
Schaut man sich die aktuelle große Befragung des Ifo-Instituts an, dürften sich die Prognosen Finks bewahrheiten. Die deutsche Wirtschaft sieht für das kommende halbe Jahr schwarz: Das Ifo-Geschäftsklima, Deutschlands wichtigstes Konjunkturbarometer, fiel im März von 98,5 auf 90,8 Punkte. Die Geschäftserwartungen der Unternehmen seien noch stärker abgestürzt als beim Ausbruch der Corona-Krise vor zwei Jahren. „Ein historischer Einbruch“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Die Unternehmen in Deutschland rechnen mit harten Zeiten.“
Wegen des Krieges in der Ukraine rechnen die Industrie-, Handels-, Bauunternehmen und Dienstleister in den kommenden Monaten mit einem kräftigen Rückgang ihrer Geschäfte. Die Industriebetriebe bewerteten nicht nur ihren Ausblick als „extrem unsicher“, sie bewerteten auch schon ihre aktuelle Geschäftslage schlechter als im Vormonat: Ihr Gesamtindex ist „so stark gefallen wie noch nie“, sagte Fuest Ende März.
In der Autoindustrie führten fehlende Kabelbäume aus der Ukraine und Engpässe bei Rohstoffen und Halbleitern zu Produktionsstopps und Kurzarbeit in deutschen Werken. „Auto ist richtig abgerauscht von plus 14 auf minus 43 Punkte“, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Die Elektrobranche sei nicht so stark betroffen, die Chemieindustrie dagegen schon. Sie leidet nicht nur unter dem extrem gestiegenen Gaspreis und erwartet Produktions- und Umsatzrückgänge in diesem Jahr, sondern sie käme ohne russische Gaslieferungen sofort ins Schleudern - mit Folgen für die Lieferketten in allen Branchen.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte, Deutschland werde Terminals für Flüssig-Erdgas (LNG) aufbauen und wolle in zwei Jahren unabhängig von russischem Gas sein. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, warnte, dass Unternehmen wegen der Energiepreisexplosion in existenzielle Schwierigkeiten gerieten: „Schon jetzt sind einige energieintensive Unternehmen gezwungen, ihre Produktion wegen überbordender Gas- und Stromkosten zu drosseln.“
Die vom Ifo-Institut befragten Handelsunternehmen schätzten ihre aktuelle Lage fast unverändert gut ein, aber der Index der Geschäftserwartungen „stürzte so stark ab wie nie zuvor“. Die Verbraucherpreise waren schon im Februar um 5,1 Prozent gestiegen. Mit der fortgesetzten Inflation schrumpft die Kaufkraft der Konsumenten. „Die Händler befürchten, dass die Kunden weniger einkaufen, weil sie mehr für Energie ausgeben müssen und vielleicht auch mehr auf die hohe Kante legen“, sagte Wohlrabe. Fast alle befragten Supermärkte planten Preiserhöhungen. Der Handelsverband HDE erwartet dieses Jahr im Online-Handel 13,5 Prozent Wachstum, im stationären Handel nur 1,2 Prozent - nominal, nicht inflationsbereinigt.
Im Dienstleistungssektor verschlechterte sich das Geschäftsklima, weil die Logistikbranche mit großer Sorge auf die kommenden Monate blickt. Die mittelständischen Betriebe seien im Existenzkampf, der befristete Steuernachlass auf Diesel sei nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“, beklagte der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung am Freitag. Den Transporteuren machen auch hakelnde Lieferketten und der Ausfall osteuropäischer Fahrer zu schaffen.
Dagegen ist die Stimmung bei Gastgewerbe und Touristik gut, sie profitierten von dem Ende vieler Corona-Beschränkungen: „Sie erwarten einen guten Sommer“, sagte Wohlrabe.
Die meisten Baufirmen zeigten sich bei der Ifo-Umfrage zufrieden mit den laufenden Geschäften. Aber auch ihre Erwartungen stürzten ab. Der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands, Tim-Oliver Müller, sagte, die Branche schiebe einen historisch hohen Auftragsbestand von 64 Milliarden Euro vor sich her. Aber „wir können heute nicht sicher sagen, ob genügend Material für alle Baustellen in Deutschland vorhanden sein wird“. Es gebe Lieferengpässe, die Preise stiegen, viele Firmen könnten Aufträge nicht mehr seriös kalkulieren: „Die Baubranche schließt Baustopps für eine Vielzahl von Projekten nicht mehr aus“.