Deutschland

Prognose: Wohnungsbau wird einbrechen

Ukraine-Krieg und Corona-Pandemie haben die Lieferketten der Bauindustrie stark gestört. Neben Verzögerungen auf vielen Baustellen droht eine sehr viel schwerwiegendere Folge: ein Abwürgen der Baukonjunktur.
18.04.2022 12:20
Aktualisiert: 18.04.2022 12:20
Lesezeit: 2 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Prognose: Wohnungsbau wird einbrechen
Ein neues Wohnhaus und Baukräne im Münchner Stadteil Freiham. In dem auf dem Reißbrett geplanten Quartier sollen künftig 20 000 Menschen wohnen. (Foto: dpa) Foto: Carsten Hoefer

Der Wohnungsbau in Deutschland steht nach Einschätzung von Branchenverbänden 2023 vor einem Einbruch. Hauptgründe sind Materialmangel und ein rasanter Anstieg der Kosten, bedingt durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. Dies macht die Kosten neuer Bauvorhaben sowohl für die auftraggebenden Wohnungsunternehmen, als auch für viele ausführende Baufirmen und Handwerker unkalkulierbar, wie es übereinstimmend in Wohnungs- und Baubranche heißt.

„Da wird es Einbrüche geben, und zwar ganz deutliche“, sagt Hans Maier, Direktor des Verbands der bayerischen Wohnungswirtschaft (vdw), der Deutschen Presse-Agentur.

Das stimmt mit der Einschätzung des norddeutschen Schwesterverbands VNW überein: „86 Prozent der Wohnungsgenossenschaften und der sozial orientierten Wohnungsgesellschaften in Norddeutschland schätzen die Aussichten für den Neubau derzeit als schlecht beziehungsweise als sehr schlecht ein“, sagt ein VNW-Sprecher in Hamburg.

„60 Prozent wollen deshalb den Start von Neubauprojekten verschieben beziehungsweise sind noch unsicher.“ Beide Verbände vertreten überwiegend sozial orientierte Vermieter wie Genossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften.

Derzeit bauen die Wohnungsunternehmen trotz Kostensteigerungen landauf, landab noch fleißig. So auch Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen Vonovia in Bochum und dessen hauseigener Bauträger Buwog Development: „Doch da die Buwog mit ihren Nachunternehmern zumeist Festpreise vereinbart, haben solche Preisschwankungen normalerweise keine kurzfristigen Auswirkungen auf unser Neubaugeschäft oder die Preise der aktuell angebotenen Eigentumswohnungen“, sagt Buwog-Geschäftsführerin Eva Weiß.

Mittel- und langfristig sind die Aussichten jedoch unerfreulich. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie klagten 90 Prozent der Unternehmen über Preissteigerungen, 80 Prozent über Lieferengpässe. Demnach geben Baustofflieferanten für viele Materialien derzeit nur noch tagesaktuelle oder gar keine Preise mehr an.

„Es ist eine Situation, wie wir sie noch nie hatten“, berichtet ein Sprecher des Landesverbands der bayerischen Bauinnungen in München. „Wir haben eine Riesen-Auftragswelle, und gleichzeitig fehlen die Rohstoffe. Wir haben alle acht Wochen massivste Preissteigerungen.“

Teilweise nicht verfügbar sind nach Angaben von Bau- und Wohnungsbranche demnach Stahl und Stahllegierungen, das in vielen Baumaterialien eingesetzte Aluminium und Holz. Knapp sind demnach Dämmstoffe ebenso wie das für den Straßenbau wichtige Bitumen, es gibt Engpässe und massive Teuerung auch bei Fliesen und Keramik.

Bauherren und Baufirmen vereinbaren in ihren Verträgen in der Regel vor Baubeginn Festpreise. Wenn die Materialkosten so schnell steigen wie derzeit, laufen die Bauunternehmen Gefahr, am Ende trotz voller Auslastung Verluste zu machen. Um roten Zahlen vorzubeugen, bewerben sich viele Firmen deswegen nicht mehr um neue Aufträge: „In der Konsequenz geben über 30 Prozent der Bauunternehmen keine neuen Angebote mehr ab“, heißt es beim Bauindustrie-Hauptverband.

„Ich fürchte einen deutlichen Rückgang des Wohnungsneubaus in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg“, sagt VNW-Direktor Andreas Breitner mit Blick auf seinen norddeutschen Beritt. „Aufgrund der langen Vorlaufzeiten wird auf dem Bau noch in diesem und nächsten Jahr fertiggestellt und spätestens 2024/25 ist Schluss.“

Und im Süden: „Wir hatten im Jahr 2021 Rekordfertigstellungszahlen, wir werden im Jahr 2022 gute Fertigstellungszahlen haben, und wir werden einen Einbruch im Jahr 2023 erleben“, prophezeit Breitners bayerischer Amtskollege Maier.

Das Problem betrifft nicht nur den Hoch-, sondern auch den Tiefbau - also neue Straßen, Tunnels und Eisenbahn. Bund und Länder versuchen, den Bauunternehmen mit Hilfe sogenannter Preisgleitklauseln entgegen zu kommen. Dies erlaubt es Baufirmen, Preise auch nach Vertragsabschluss nachträglich zu erhöhen.

Damit werden Kostensteigerungen an die Bauherren weitergegeben. Ein Beispiel ist die Autobahn GmbH des Bundes. „Aktuell geht die Autobahn GmbH davon aus, dass die für das Jahr 2022 geplanten Bauprojekte realisiert werden können“, sagt ein Sprecher. „Bei den neuen Ausschreibungen werden bereits Preisgleitklauseln angewendet, wenn dies haushaltsrechtlich zulässig ist.“

Besserung ist derzeit nicht in Sicht: „Die Gefahr einer Verknappung von Baustoffen besteht überall dort, wo die Länder Russland, Ukraine und Belarus in der Prozesskette mit vorkommen“, sagt eine Sprecherin des Münchner Mischkonzerns und Baustoffhändlers Baywa.

Abgesehen vom Ukraine-Krieg kommen zusätzliche schlechte Nachrichten für die deutsche Baubranche aus Ostasien. Die drakonische Corona-Politik in China und der Lockdown in Shanghai könnten die internationalen Lieferketten nach Einschätzung von Ökonomen noch weiter in Unordnung bringen. Der Großraum Shanghai ist die Herzkammer der chinesischen Wirtschaft, der Hafen der größte Containerhafen der Welt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Börsencrash im Kopf: Wie Anleger sich selbst ruinieren
28.10.2025

Ein Klick kann alles verändern. Viele Anleger fürchten den nächsten Börsencrash – doch oft entsteht der größte Verlust nicht durch...

DWN
Politik
Politik Bürokratieabbau verhindert: Warum Brüssel lieber Ideologie als Wirtschaft fördert
27.10.2025

Ein Signal gegen Wachstum: Das EU-Parlament hat den geplanten Bürokratieabbau für Unternehmen gestoppt – ausgerechnet jene Parteien,...

DWN
Politik
Politik Diplomat schlägt Alarm: Trumps Haltung gefährdet die Weltpolitik
27.10.2025

Donald Trumps mögliche Rückkehr ins Weiße Haus sorgt international für Spannungen. Viele Beobachter befürchten, dass seine...

DWN
Politik
Politik Argentinien: Milei feiert überraschenden Erfolg bei Kongresswahl
27.10.2025

Trotz Korruptionsskandalen und wirtschaftlicher Schwächen hat Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei bei den Zwischenwahlen...

DWN
Panorama
Panorama Olympia in München: Bürgerentscheid beschleunigt Bewerbungspläne
27.10.2025

Mit dem eindeutigen Votum für eine Olympiabewerbung setzt München den DOSB unter Zugzwang. Die Stadt drängt auf ein schnelleres Vorgehen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Vogelgrippe: Geflügelpreise trotz massenhafter Keulungen stabil
27.10.2025

Trotz massenhafter Tötungen von Nutztieren infolge der Vogelgrippe rechnet die deutsche Geflügelwirtschaft nicht mit kurzfristigen...

DWN
Politik
Politik Nord-Stream-Anschlag: Gericht genehmigt Auslieferung mutmaßlichen Täters nach Deutschland
27.10.2025

Die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines 2022 sorgten international für Aufsehen. Nun hat ein italienisches Gericht erneut der...

DWN
Finanzen
Finanzen Energie-Investments in bewegten Zeiten: Chancen zwischen Atom, Wasserstoff und Sonne
27.10.2025

Die Welt verschlingt immer mehr Strom – von KI bis Rüstung. Atomkraft erlebt ein Comeback, Wasserstoff bleibt Wette auf die Zukunft,...