Deutschland

Bundesregierung bereitet Öffentlichkeit auf Rezession vor

Die Bundesregierung senkt ihre Wachstumsprognose. Es wird nicht das letzte Mal im laufenden Jahr sein.
25.04.2022 11:00
Aktualisiert: 25.04.2022 11:05
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Bundesregierung bereitet Öffentlichkeit auf Rezession vor
Rote Signallampen auf einem Bahnhof. (Foto: dpa) Foto: Daniel Karmann

Die Bundesregierung will angesichts der Folgen des Ukraine-Kriegs ihre Konjunkturprognose für das laufende Jahr deutlich senken. Erwartet wird 2022 nur noch ein Wachstum von 2,2 Prozent, wie die Deutsche Presse-Agentur am Montag aus Regierungskreisen erfuhr. Damit wurden Medienberichte bestätigt.

Im Januar hatte die Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht noch mit einem Plus des Bruttoinlandsprodukts von 3,6 Prozent gerechnet. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellt die neue Prognose am Mittwoch in der Frühjahrsprojektion vor.

Unklar bleibt, ob das prognostizierte Wachstum von 2,2 Prozent nominell oder inflationsbereinigt zu verstehen ist. Sollte es sich um nominelles Wachstum handeln, befände sich die Konjunktur bereits im Abschwung, weil die offizielle Inflationsrate inzwischen deutlich über 5 Prozent liegt - wahrscheinlich aber noch viel höher.

Lesen Sie dazu: Inflation: Der Warenkorb ist eine einzige Täuschung

Die Unsicherheiten durch den Krieg seien hoch, hieß es aus den Regierungskreisen. Nach zwei Jahren Corona-Pandemie komme durch den Krieg Russlands eine neue Belastung mit «substanziellen Risiken» hinzu - insbesondere, was Preisdruck und Lieferketten anbetreffe. Eine Verschlechterung der aktuellen Lage, vor allem mit Blick auf die Energieversorgung, könnte die Konjunkturerwartungen noch einmal dämpfen. Für 2023 werde in der Frühjahrsprojektion mit einem Wachstum von 2,5 Prozent gerechnet.

Zuvor hatten auch Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Wachstumserwartungen heruntergeschraubt. Im ersten Corona-Jahr 2020 war das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um 4,6 Prozent eingebrochen. Im vergangenen Jahr wuchs die deutsche Wirtschaft um 2,9 Prozent.

Industrie und Bau blicken pessimistisch in Zukunft

Die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges treffen einer Umfrage zufolge vor allem die deutsche Industrie und die Bauwirtschaft hart. Die Stimmung hat sich dort deutlich eingetrübt. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht Industrie und Bauwirtschaft daher nahe an der Schwelle zur Rezession. Die Produktion würde in diesem Fall nicht mehr wachsen, sondern schrumpfen. Die Hoffnungen für die deutsche Konjunktur ruhen auf der Dienstleistungsbranche, die durch das Ende der Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in diesem Jahr weiterhin bessere Geschäfte als 2021 erwartet.

«Wir setzen darauf, dass der Dienstleistungssektor eine starke, stabilisierende Kraft entfaltet», sagte IW-Konjunkturexperte Michael Grömling der Deutschen Presse-Agentur. Zwar blicken auch die Dienstleister teilweise skeptischer in die Zukunft. «Allerdings dominieren mit hohem Abstand die Optimisten, so dass der Dienstleistungssektor nach jetzigem Stand der Dinge mit einer Verbesserung gegenüber dem Vorjahr aufwarten kann», schreibt das IW.

Die Stimmung in der Industrie hat sich der IW-Umfrage zufolge dagegen deutlich verschlechtert. Gingen bei einer Befragung im November 2021 noch 55 Prozent der Betriebe von einem Produktionszuwachs in diesem Jahr aus, so sind es gegenwärtig nur noch 37 Prozent. Gleichzeitig hat sich der Anteil der Pessimisten auf 28 Prozent verdoppelt. Besonders die hohen Energiepreise, die zuletzt durch den Krieg weiter gestiegen sind, machen den Firmen zu schaffen. Hinzu kommt die Angst vor zusätzlichen Material- und Lieferschwierigkeiten. In der Bauwirtschaft ist das Lager der Pessimisten den Angaben zufolge inzwischen sogar fast so groß wie das der Optimisten.

Trotz der Belastungen durch den Krieg und die Pandemie hoffen insgesamt knapp 40 Prozent aller befragten Unternehmen, dass sich das Jahr noch zum Besseren wendet. Verglichen mit der Umfrage vom November 2021 ist das zwar ein Rückgang von zehn Prozentpunkten, jedoch erwarten vor allem die Dienstleister, dass Konsumenten in der Pandemie angespartes Geld gerne ausgeben. Zudem hoffen viele Unternehmen, ihre bisher aufgeschobenen Investitionen nachzuholen.

Die aktuellen Produktionserwartungen der Unternehmen ließen insgesamt nicht auf eine Beschäftigungs- und Investitionskrise schließen, erläuterte Grömling. «Angesichts einer sich abrupt ändernden geopolitischen Lage kann sich die Stimmung der Unternehmen jedoch schnell ändern.»

Einer Umfrage des Wirtschaftsprüfers Deloitte zufolge rechnen viele deutsche Konzerne denn auch mit sinkenden Gewinnmargen und schrauben ihre Investitions- und Beschäftigungspläne zurück. Die Unsicherheit sei fast so hoch wie unmittelbar nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie und habe «überall Planungen beeinflusst und Vorsicht wachsen» lassen, teilte Deloitte mit.

Die Geschäftsaussichten gingen stark zurück. «Der Einbruch ist besonders ausgeprägt in der Autoindustrie, in der 83 Prozent der Unternehmen eine Verschlechterung der Geschäftsaussichten wahrnehmen», heißt es in der Studie. Die Pläne für Investitionen und Beschäftigung seien noch positiv, gingen aber ebenfalls stark zurück. «Die Unternehmen werden sehr viel vorsichtiger. Dies gilt besonders für die Automobilindustrie, wo die Zahl der Unternehmen, die ihre Investitionen und Beschäftigung senken wollen, sehr viel höher liegt als die Zahl derer, die sie steigern wollen.»

Auf die Frage nach hohen Risiken für das eigene Unternehmen nannten 77 Prozent der befragten Finanzvorstände steigende Energiekosten und geopolitische Risiken, dicht gefolgt von steigenden Rohstoffkosten. Zwei Drittel nannten Fachkräftemangel, 59 Prozent steigende Lohnkosten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Politik
Politik Bürokratieabbau verhindert: Warum Brüssel lieber Ideologie als Wirtschaft fördert
27.10.2025

Ein Signal gegen Wachstum: Das EU-Parlament hat den geplanten Bürokratieabbau für Unternehmen gestoppt – ausgerechnet jene Parteien,...

DWN
Politik
Politik Diplomat schlägt Alarm: Trumps Haltung gefährdet die Weltpolitik
27.10.2025

Donald Trumps mögliche Rückkehr ins Weiße Haus sorgt international für Spannungen. Viele Beobachter befürchten, dass seine...

DWN
Politik
Politik Argentinien: Milei feiert überraschenden Erfolg bei Kongresswahl
27.10.2025

Trotz Korruptionsskandalen und wirtschaftlicher Schwächen hat Argentiniens ultraliberaler Präsident Javier Milei bei den Zwischenwahlen...

DWN
Panorama
Panorama Olympia in München: Bürgerentscheid beschleunigt Bewerbungspläne
27.10.2025

Mit dem eindeutigen Votum für eine Olympiabewerbung setzt München den DOSB unter Zugzwang. Die Stadt drängt auf ein schnelleres Vorgehen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Vogelgrippe: Geflügelpreise trotz massenhafter Keulungen stabil
27.10.2025

Trotz massenhafter Tötungen von Nutztieren infolge der Vogelgrippe rechnet die deutsche Geflügelwirtschaft nicht mit kurzfristigen...

DWN
Politik
Politik Nord-Stream-Anschlag: Gericht genehmigt Auslieferung mutmaßlichen Täters nach Deutschland
27.10.2025

Die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines 2022 sorgten international für Aufsehen. Nun hat ein italienisches Gericht erneut der...

DWN
Finanzen
Finanzen Energie-Investments in bewegten Zeiten: Chancen zwischen Atom, Wasserstoff und Sonne
27.10.2025

Die Welt verschlingt immer mehr Strom – von KI bis Rüstung. Atomkraft erlebt ein Comeback, Wasserstoff bleibt Wette auf die Zukunft,...

DWN
Politik
Politik 75 Jahre Verfassungsschutz: Präsident Selen warnt vor verschärfter Bedrohungslage
27.10.2025

Zum Jubiläum blickt der Verfassungsschutz auf wachsende Herausforderungen. Wo die Behörde derzeit die größten Gefahren sieht – und...