Politik

"Die russischen Soldaten stehlen alles - selbst Hundehütten"

Lesezeit: 2 min
26.05.2022 17:39  Aktualisiert: 26.05.2022 17:39
Die DWN haben ein drittes Telefon-Interview mit dem ukrainischen Musiker Roman Antonyuk geführt, der mit seiner Familie in Lwiw (Lemberg) lebt.
"Die russischen Soldaten stehlen alles - selbst Hundehütten"
Ein durch einen Raketenangriff zerstörter Wohnblock in Kiew. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Roman Antonyuk ist als Sänger und Bandurist (die Bandura ist das ukrainische Nationalinstrument) "Verdienter Künstler der Ukraine". Die DWN haben mit ihm in seiner Heimatstadt Lwiw (zu Deutsch: Lemberg) telefoniert. Es ist unser drittes Interview mit dem Künstler; das erste veröffentlichten wir am 1. März, das zweite am 19. März.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wir haben länger nicht mehr miteinander gesprochen. Wie geht es Ihnen, wie ist die Lage in Lwiw?

Roman Antonyuk: Die Lage ist den Umständen entsprechend gut, sie ist stabil. Es ist gelungen, die Versorgung aufrechtzuerhalten - sowohl die Einwohner als auch die Geflüchteten, die aus allen Teilen des Landes gekommen sind, können nicht klagen. Die Strom- und Wasserversorgung klappt ohne jede Probleme. Benzin, Diesel und Lebensmittel sind teurer geworden, aber das ist wohl andernorts in Europa auch der Fall. Alles in allem funktioniert das öffentliche und private Leben.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Den Flüchtlingsstrom hat die Stadt also gut bewältigt?

Roman Antonyuk: Ja, das kann man so sagen. Mittlerweile kommen auch nicht mehr viele. Dafür, und dass finde ich besonders bemerkenswert, gibt es schon fast so etwas wie eine Rückkehrwelle, das heißt, viele geflohene Lwiwer kehren aus dem Ausland zurück. Überhaupt hat sich die Bewegung umgekehrt: Die Grenzbeamten vermelden mehr Ein- als Ausreisen. Die Menschen haben Heimweh - das zeigt, wie sehr sie ihre Heimat lieben, wie schön unser Land ist.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie sind überraschend positiv gestimmt, klingen viel optimistischer als in unseren beiden vorangegangenen Interviews …

Roman Antonyuk: Es bringt ja auch nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Aber das heißt natürlich nicht, dass alles gut wäre, im Gegenteil. Der Krieg im Osten des Landes tobt erbitterter denn je. Wenn es stimmte, dass es Putin „nur“ um Lugansk und Donezk geht, warum hat er die Kampfhandlungen dann auf fast das gesamte Land ausgeweitet? Nein, es geht Putin um etwas anderes: Er will die Ukraine als eigenständigen Staat zerstören - nach Beendigung des Krieges soll es ein souveränes Land weniger auf dieser Erde geben, das ist sein Ziel.

Es ist dies auch kein „normaler“ Krieg, wenn man denn überhaupt von so etwas wie einem normalen Krieg sprechen kann. Plünderungen sind gemäß der Haager Landkriegsordnung verboten. Doch daran hält sich die russische Armee nicht - ihre Soldaten stehlen alles, dem sie habhaft werden können: Waschmaschinen, Matratzen, Bettdecken, Unterwäsche. Selbst Hundehütten. Können Sie sich das vorstellen: Hundehütten! (Wir wissen nicht, was russische Soldaten im Einzelnen an sich genommen haben, aber es existieren von Experten als echt bezeichnete Fotos von Überwachungskameras, die Plünderungen dokumentieren - Anm. d. Red.). Das spornt natürlich den Widerstandgeist unserer Bevölkerung zusätzlich an.

Wobei im Augenblick noch ein anderes Thema in der Diskussion steht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welches ist das?

Roman Antonyuk: Die Ukraine war vor knapp 30 Jahren die drittstärkste Atommacht der Welt. Sie hat im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags, im Austausch für Sicherheitsgarantien, ihre Atomwaffen abgegeben. Natürlich fragen sich jetzt viele, ob das klug war. Putin hat ja den Einsatz von Atomwaffen im Krieg als durchaus möglich bezeichnet: ´Wir werden sie einsetzen, wenn es sein muss´´- das sind seine Worte. Hätte er das auch gesagt, wenn wir damals nicht auf unser Nukleararsenal verzichtet hätten? Hätte er überhaupt den Krieg begonnen?

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der Krieg begann am 24. Februar, auf den Tag genau vor neun Wochen. Wie lange, glauben Sie, wird er noch andauern?

Roman Antonyuk: Nun, eigentlich begann der Krieg nicht im Februar dieses Jahres, sondern im Februar 2014, als „grüne Männchen“ das Parlamentsgebäude der Krim in der Hauptstadt Simferopol besetzten. Wie lange er noch dauert? Das kann Ihnen niemand sagen außer Gott. Wir werden auf jeden Fall so lange kämpfen, bis die Ukraine wieder ein freies Land ist.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Antonyuk, wir danken Ihnen für dieses Interview.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft OWZE-Prognose 2024: Minimales Wirtschaftswachstum für Deutschland erwartet
02.05.2024

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OWZE) geht von einem minimalen Wirtschaftswachstum für Deutschland...

DWN
Finanzen
Finanzen Deutschland im Investitionstief: Rückgang setzt Wirtschaft unter Druck
02.05.2024

Deutschlands Attraktivität für ausländische Investitionen schwindet weiter: 2023 markiert den niedrigsten Stand seit 2013. Manche...

DWN
Politik
Politik 1.-Mai-Demonstrationen: Gewerkschaften fordern dringend Gerechtigkeit
02.05.2024

Am Tag der Arbeit kämpfen Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen. Ihre Spitzenvertreter betonten die Notwendigkeit von...

DWN
Politik
Politik Militärhistoriker Lothar Schröter im DWN-Interview: Die Folgen des Massenmords von Odessa 2014
02.05.2024

Der Militärhistoriker Lothar Schröter ordnet im DWN-Interview den Massenmord in Odessa vom 2. Mai 2014 ein. Dabei geht er auch auf die...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview: Ukraine-Krieg - Zehn Jahre nach dem Massenmord von Odessa
02.05.2024

Am 2. Mai 2014 ist es in der ukrainischen Stadt Odessa zu einem Massenmord gekommen, bei dem fast fünfzig Menschen qualvoll ums Leben...

DWN
Technologie
Technologie Infineon vor herausforderndem Quartal: Augenmerk auf Zukunftsaussichten
02.05.2024

Der Chiphersteller Infineon sieht schwieriges Quartal voraus, mit moderaten Rückgängen und angespanntem Automobilmarkt. Wie geht es...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin als Geldanlage: „Das ist gleichzusetzen mit einem Besuch im Casino“
02.05.2024

Bitcoin entzweit trotz neuer Kursrekorde die Anlegergemeinschaft. Die einen halten große Stücke auf den Coin, die anderen sind kritisch....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...