Deutschland

Der Fachkräftemangel wird sich auf Jahre weiter verschärfen

Schon jetzt fehlen der deutschen Wirtschaft Fachkräfte an allen Ecken und Enden. Und der Engpass wird sich in den kommenden Jahren noch weiter verstärken.
28.05.2022 13:48
Aktualisiert: 28.05.2022 13:48
Lesezeit: 2 min
Der Fachkräftemangel wird sich auf Jahre weiter verschärfen
Der Fachkräftemangel in Deutschland hat ein Rekordniveau erreicht und wird sich weiter verschärfen. (Foto: dpa) Foto: Julian Stratenschulte

Der Fachkräftemangel wird nach Auffassung von Volkswirten zum Wachstumshemmnis - und zwar auf Jahre. Denn die Babyboomer-Jahrgänge gehen jetzt erst in Rente. Bis mindestens 2025 spitzt sich die Situation zu. «Spätestens dann ist das ein Riesenthema», sagte Katharina Utermöhl von der Allianz in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Deutschland steht vor einer Energiewende. Tausende Windräder sind zu bauen, Tausende Solarpaneele auf Dächer zu schrauben, Tausende Kilometer Strom- und Wasserstoffleitungen zu verlegen. Doch wer soll das tun? Der deutschen Wirtschaft fehlt das Personal.

«Der Fachkräftemangel wird die Konjunktur in Deutschland mittel- bis langfristig sehr stark beeinflussen», sagt Christoph Siebecke, Volkswirt bei der Oldenburgischen Landesbank. «Trotz Corona-Krise und Ukraine-Krieg waren Fachkräfte in den letzten 30 Jahren noch nie so knapp wie heute», sagt die Chefvolkswirtin der staatlichen Bankengruppe KfW, Fritzi Köhler-Geib. «44 Prozent aller Unternehmen beklagten im April eine Beeinträchtigung ihrer Geschäftstätigkeit durch fehlende Fachkräfte.»

Schon jetzt fehlt es an allen Ecken und Enden - vom Lastwagenfahrer bis zum IT-Techniker, vom Rechtsanwalt bis zum Klempner. Der Arbeitskräfte-Knappheitsindex des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung liegt bereits wieder über dem Niveau vor der Corona-Krise. Auch die Zahl der offenen Stellen ist bundesweit höher als vor der Pandemie.

Für dieses Jahr erwartet die Bundesagentur für Arbeit in ihrer Engpassanalyse einen Rekordwert sowohl im Bestand offener Stellen als auch im Zugang neu zu besetzender Stellen. Die Statistik zeigt auch, dass fast alle Branchen betroffen sind - vom Gastgewerbe über die Industrie bis zu Reinigungsberufen. Viele Stellen sind drei Monate oder länger vakant, bis sie neu besetzt werden können. Besonders in Industrie, Gastgewerbe, Verkehrsgewerbe, aber auch in den Managementabteilungen hat dieses Problem zuletzt stark zugenommen.

Zur Lösung wird es eines ganzen Bündels an Maßnahmen bedürfen. «Wir brauchen eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen. Das ist wichtiger denn je», sagt Veronika Grimm vom Expertenrat der Bundesregierung. Schon lange gebe es auch die Forderung, die Lebensarbeitszeit zu erhöhen. «Die Lebensarbeitszeit muss sich erhöhen. Das kann einen Beitrag zur Abmilderung des Fachkräftemangels leisten.»

Zudem brauche es eine Debatte über die Einwanderungspolitik. «Der Fokus muss auf der Zuwanderung von außerhalb Europas liegen, denn der Fachkräftemangel wird sich in ganz Europa verschärfen», sagt Grimm. Auch Siebecke betont: «Mit das wichtigste ist es, ein Gesetz für qualifizierte Zuwanderung auf den Weg zu bringen.»

Nötig sein wird jedoch auch mehr Digitalisierung. In der öffentlichen Verwaltung etwa könne dies «Berge versetzen», glaubt Grimm. Auch Köhler-Geib ist der Auffassung, dass die verfügbaren Arbeitskräfte durch Innovationen und Investitionen noch produktiver eingesetzt werden müssen. «Die Betriebe tun bereits einiges, um für die Flexibilität zu sorgen, die es für längeres Arbeiten braucht», sagt Marc Schattenberg, Volkswirt und Arbeitsmarktexperte bei der Deutschen Bank. «Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist gezielte Aus- und Fortbildung wichtig, um die Arbeitskräfte für die Aufgaben heranzuziehen, für die sie gebraucht werden.»

Allianz-Expertin Utermöhl glaubt allerdings, dass kurzfristig die Probleme durch Ukraine-Krise, Lieferketten-Engpässe und Inflation ein noch größerer Bremsschuh für die Konjunktur sind. «Die Abwärtsrisiken dominieren klar.» Auch Schattenberg geht davon aus, dass ein geringes Wachstum für die deutsche Wirtschaft auch 2022 möglich ist - allerdings nur, wenn ein Lieferstopp für russische Energie ausbleibt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Kryptowährungsmarkt im Fokus: ETFs, XRP und Moon Hash – Weihnachtsbonusverträge beflügeln Cloud-Computing-Trends

Zum Jahresende erlebt der Kryptowährungsmarkt einen neuen Aufschwung. Kryptowährungs-ETFs und XRP ziehen zunehmend Gelder traditioneller...

DWN
Politik
Politik EU-Kapitalmarktunion: Warum kleine Staaten um ihre Finanzmacht kämpfen
21.12.2025

Die EU will ihren Kapitalmarkt neu ordnen und zentrale Aufsichtsrechte nach Paris verlagern, während kleinere Staaten den Verlust ihrer...

DWN
Panorama
Panorama DWN-Wochenrückblick KW 51: Die wichtigsten Analysen der Woche
21.12.2025

Im DWN Wochenrückblick KW 51 fassen wir die zentralen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der vergangenen Woche zusammen....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mittelstand vor existenziellen Problemen: Keine Aufträge und schlechte Rahmenbedingungen
21.12.2025

Wie eine aktuelle Umfrage des ifo-Instituts ergab, sehen sich 8,1 Prozent der befragten Firmen direkt in ihrer wirtschaftlichen Existenz...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU-Zölle auf Kleinsendungen: Neue Abgabe trifft Online-Bestellungen aus Drittstaaten
21.12.2025

Der Online-Handel mit günstigen Waren aus Drittstaaten wächst rasant und stellt den europäischen Binnenmarkt vor strukturelle...

DWN
Finanzen
Finanzen Topanalyst enthüllt: Das sind die attraktivsten Rüstungsaktien
21.12.2025

Die globale Sicherheitslage wandelt sich rasant, und die Verteidigungsindustrie gewinnt an Bedeutung für Regierungen und Kapitalmärkte....

DWN
Technologie
Technologie Natrium-Batterien: Wie China die nächste Akkurevolution vorantreibt
20.12.2025

Chinesische Hersteller treiben die Entwicklung von Natrium-Batterien rasant voran und bedrohen damit das bisherige Lithium-Dominanzmodell...

DWN
Politik
Politik Härtefallfonds für bedürftige Ostrentner schliesst: 425 Millionen Euro ungenutzt
20.12.2025

Aus dem Härtefallfonds für bedürftige Rentner aus der ehemaligen DDR und Osteuropa fließen zu Jahresende mehrere Hundert Millionen Euro...

DWN
Panorama
Panorama Grüne Stadt der Zukunft: Wie realistisch CO2-neutrale Metropolen bis 2040 sind
20.12.2025

Städte sollen Europas Klima-Rettungsanker werden – doch zwischen Vision und Wirklichkeit klafft eine Lücke. EU-Ziele, Modellstädte und...