Politik

Vertrauliches EU-Papier: Serbien spielt auf Zeit - aber der Bruch mit Moskau kommt

Von EU-Beitrittskandidaten erwartet Brüssel, dass sie sich den Sanktionen gegen Moskau anschließen. Serbiens Präsident Vucic weicht aus, vertröstet, verschleppt. Ein vertrauliches Papier des Auswärtigen Dienstes der EU sieht nun eine schrittweise Annäherung Serbiens an den Westen kommen.
10.06.2022 11:41
Aktualisiert: 10.06.2022 11:41
Lesezeit: 2 min
Vertrauliches EU-Papier: Serbien spielt auf Zeit - aber der Bruch mit Moskau kommt
Dieses vom Kreml zur Verfügung gestellte Foto zeigt Wladimir Putin, Präsident von Russland, und Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, nach einem Treffen. Foto: (Kreml/dpa)

Die Fahnen an den Lampenmasten entlang der Belgrader Einzugsstraßen waren schnell gewechselt. Das Weiß-Blau-Rot aus Russland verschwand, weil Außenminister Sergej Lawrow wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine diese Woche keine Überflug-Erlaubnis von Serbiens Nachbarländern Bulgarien, Nordmazedonien und Montenegro bekam und seinen Besuch absagen musste. Nun hängt Schwarz-Rot-Gold: An diesem Freitag wird Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet. Das Fähnchen-Wechsel-Dich-Spiel könnte als Sinnbild stehen für Serbiens Außenpolitik unter Präsident Aleksandar Vucic.

Das Balkanland verhandelt seit 2014 über einen Beitritt zur EU und will bei der nächsten Erweiterungsrunde Berücksichtigung finden. Zugleich unterhält es freundschaftliche Beziehungen zu Russland und China – zwei autoritär regierten Ländern mit mehr als gespanntem Verhältnis zum Westen. Von Russland bekommt Serbien relativ billiges Gas. Als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat verhindert Moskau zudem, dass das Kosovo – früher zu Serbien gehörend – volle internationale Anerkennung erlangt. Serbien beansprucht das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte südliche Nachbarland für sich.

Westen verlangt von Belgrad, Farbe zu bekennen

Doch seit Russland die Ukraine bekriegt – mehr als drei Monate inzwischen schon –, verlangen die westlichen Partner von Belgrad, Farbe zu bekennen. "Enge Beziehungen zum Regime von (Wladimir) Putin sind nicht mehr vereinbar mit dem Bau einer gemeinsamen Zukunft mit der EU", mahnte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schon letzten Monat. "Neutral zu sein ist heute mit Blick auf den Krieg in der Ukraine ein falsches Konzept." Ohne Erfolg: Im Unterschied zu den anderen Staaten der Region macht Serbien bei den EU-Sanktionen weiterhin nicht mit.

Die Air Serbia fliegt mit ihren Linienmaschinen sogar in engerem Takt nach Moskau und St. Petersburg. Sanktionierte Politiker und Oligarchen haben in Serbien nichts zu befürchten. Lawrow war in Belgrad willkommen. Der Besuch scheiterte nur daran, dass die Nachbarländer seinem Flugzeug die Nutzung ihres Luftraums verwehrten. Lawrow hätte das wissen müssen – weshalb die Vermutung einer geschickten PR-Aktion des russischen Außenministers nicht gänzlich unbegründet erscheint.

Vucic: "Müssen Interessen unseres Landes schützen, auch wenn es unangenehm ist."

"Wir haben es nicht leicht in den westlichen Metropolen", klagt auch Serbiens Präsident Vucic. Der Druck steige, die Sanktionen zu übernehmen, auch auf ihn persönlich. "Aber wir müssen die Interessen unseres Landes schützen, auch wenn es unangenehm ist." Quasi als Belohnung erhielt der 52-Jährige beim jüngsten Telefonat mit Putin die Zusage, für weitere drei Jahre billiges Gas aus Russland beziehen zu können. Ein Importstopp für russisches Gas ist überhaupt kein Thema.

Doch das Problem liegt tiefer. Als machtbewusster Nationalist hat Vucic in den zehn Jahren, die er schon Serbiens Politik bestimmt, Stimmung für Russland und gegen den Westen gemacht. Die serbischen Ableger russischer Propaganda-Medien, aber auch die von Vucic-Leuten kontrollierte Presse haben ein kreml-freundliches Meinungsklima erzeugt. Umfragen zufolge sind nur noch 40 Prozent der Serben für den Beitritt zur Europäischen Union. 80 Prozent sprechen sich dagegen aus, Russland mit Sanktionen zu bestrafen.

Energieministerin: "Wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um Mitglied der EU zu werden."

Vucic ist jedoch Pragmatiker genug, dass er es sich mit dem Westen nicht verscherzen will. Einige von ihm abhängige Boulevardblätter dürfen sich gelegentlich russlandkritisch äußern. Energieministerin Zorana Mihajlovic, die dem pro-westlichen Flügel seiner Partei SNS nahesteht, meidet den Begriff "Sanktionen", aber sagt: "Wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um Mitglied der EU zu werden. Das bedeutet sicherlich auch, dass wir innerhalb eines gewissen Zeitrahmens bestimmte Maßnahmen übernehmen."

Letztlich versucht Vucic, mit seiner Schaukelpolitik zwischen der EU und Russland weiter durchzukommen. Zu dieser Einschätzung gelangte auch der Auswärtige Dienst der EU in einem vertraulichen Papier, über das Radio Free Europe diese Woche berichtete. Dessen Fazit: Vucic werde "mit einer Politik der kleinen Schritte Serbien näher an den Westen heranführen". "Ziel ist es, den endgültigen Bruch mit Russland hinauszuzögern und mit künftigen außenpolitischen Manövern so viele politische und wirtschaftliche Zugeständnisse zu erwirken wie nur möglich."

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Krieg ohne Inflation: Wie Israel das ökonomische Tabu bricht
18.06.2025

Israel führt Krieg, pumpt Milliarden in Rüstung und treibt die Geldmenge nach oben – doch die Inflation bleibt aus. Ist alles, was wir...

DWN
Politik
Politik Kommt die Wehrpflicht? Nur jeder dritte Deutsche würde heute Wehrdienst leisten
18.06.2025

Die Nato drängt: Um der Bedrohung durch Russland zu begegnen, hat die Nato ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen. Doch wie soll die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Raus ist raus: Russland droht westlichen Firmen mit Rückkehr-Verbot
18.06.2025

Westliche Konzerne wollten erst raus – und nun leise zurück nach Russland? Die Regierung macht dicht: Rückkaufrechte gestrichen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Stellenabbau: Deutsche Industrie verliert in nur einem Jahr 100.000 Arbeitsplätze
18.06.2025

Die desaströse Wirtschaftspolitik der letzten Jahre führt in der Konsequenz zu immer mehr Stellenabbau in der deutschen Industrie. Vor...

DWN
Finanzen
Finanzen Silberpreis und Platinpreis explodieren – verdrängen diese Metalle bald das Gold als Krisenwährung?
18.06.2025

Der Silberpreis und der Platinpreis schießen in die Höhe – und Anleger wenden sich zunehmend vom teuren Gold ab. Droht dem einstigen...

DWN
Politik
Politik Diäten, Rente und Pflege - was sich im Juli ändert
18.06.2025

Gerade in der Urlaubszeit wäre mehr Geld auf dem Konto ein Traum: Für wen ab Juli mehr drin ist und welche Fristen Sie beachten sollten.

DWN
Politik
Politik Neuer BND-Chef wird Martin Jäger - bisher deutscher Botschafter der Ukraine
18.06.2025

Der deutsche Botschafter in der Ukraine, Martin Jäger, wird neuer Präsident des Bundesnachrichtendienstes. BND-Präsident Bruno Kahl...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Überstundenabbau: Ansammeln von Überstunden - Welche Rechte haben Arbeitgeber?
18.06.2025

Das Überstundenvolumen liegt in Deutschland, auch ohne steuerfreie Überstunden, auf einem hohen Niveau: 2024 wurden 1,2 Milliarden...