Finanzen

Inflation außer Kontrolle? Schweizer Notenbank erhöht plötzlich drastisch Leitzinsen

Die Schweizerische Nationalbank hat plötzlich die Leitzinsen deutlich erhöht und schockt damit die Aktienmärkte. Die EZB gerät unter Handlungsdruck.
16.06.2022 11:00
Aktualisiert: 16.06.2022 11:48
Lesezeit: 3 min
Inflation außer Kontrolle? Schweizer Notenbank erhöht plötzlich drastisch Leitzinsen
Schweizer Franken und Euro. (Foto: dpa) Foto: Oliver Berg

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) stemmt sich gegen die anziehende Inflation und erhöht nach mehr als sieben Jahren geldpolitischem Beharrens überraschend die Zinsen. Der Leitzins und der Zins auf Sichteinlagen bei der Notenbank betragen ab dem 17. Juni nun minus 0,25 Prozent, wie die SNB am Donnerstag mitteilte. Seit Januar 2015 betrugen die Sätze minus 0,75 Prozent. "Die straffere Geldpolitik soll verhindern, dass die Inflation in der Schweiz breiter auf Waren und Dienstleistungen übergreift", erklärten die Währungshüter.

Es ist nicht auszuschließen, dass in absehbarer Zukunft weitere Zinserhöhungen nötig werden, um die Teuerung auf mittlere Frist im Bereich der Preisstabilität zu stabilisieren, teilte die Notenbank weiter mit. Um für angemessene monetäre Bedingungen zu sorgen, sei die SNB zudem bei Bedarf bereit, am Devisenmarkt einzugreifen.

Die Notenbank setzte zudem ein weiteres Zeichen für eine geldpolitische Straffung. Ab dem 1. Juli sind mehr Sichteinlagen vom Strafzins betroffen: Die SNB senkte den Freibetrag auf das 28-fache jener Summe, die die Banken bei der Zentralbank hinterlegen müssen. Bislang lag er beim 30-fachen.

Der Franken zog im Anschluss an die geldpolitische Entscheidung kräftig an. Die Haupt-Exportwährung EuroE kostete zuletzt 1,0240 Franken nachdem die Gemeinschaftswährung vor der Bekanntgabe noch für 1,0380 Franken zu haben war. Eine große Mehrheit der von Reuters im Vorfeld der vierteljährlichen geldpolitischen Lagebeurteilung der SNB befragten Volkswirte hatte erwartet, dass die Notenbank einen ersten Zinsschritt der Europäischen Zentralbank (EZB) abwarten werde und hatte unveränderte Zinsen prognostiziert.

Der Druck auf das dreiköpfige SNB-Direktorium, sich der steigenden Inflation in der Schweiz entgegenzustemmen und nach mehr als sieben Jahren Negativzinsen und geldpolitischem Beharren einen Kurswechsel vorzunehmen, hatte zuletzt zugenommen. Zwar ist die Teuerung mit 2,9 Prozent im Jahresabstand im Mai im Vergleich zu mehr als acht Prozent in den USA und der Euro-Zone weiterhin moderat. Die Verbraucherpreise stiegen damit allerdings so stark wie seit fast 14 Jahren nicht mehr - und sie ziehen seit einigen mehreren Monaten stärker an als von der Notenbank angepeilt, die zwischen null und zwei Prozent anstrebt.

Die SNB geht vorerst von einem erhöhten Teuerungsniveau aus. Sie rechnet im gesamten Jahr 2022 nun mit einer Inflation von 2,8 Prozent, nachdem im März noch 2,1 Prozent veranschlagt wurden. 2023 werden dann 1,9 (bislang: 0,9) Prozent erwartet und 2024 dann 1,6 (bislang: 0,9) Prozent.

An ihrer Wachstumsprognose hält die SNB fest und rechnet 2022 weiterhin mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um rund 2,5 Prozent. "Die günstige Prognose beruht unter anderem auf der Annahme, dass die Weltwirtschaft weiter wächst und dass der Krieg in der Ukraine nicht weiter eskaliert", erklärte die Notenbank. Die Arbeitslosigkeit dürfte niedrig bleiben.

Warnungen aus Frankreich

Der Preisschub im Euro-Raum ist aus Sicht von Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau umfassender und betrifft nicht nur Energie. Die Geldpolitik könne daher nicht einfach darüber hinwegsehen, sagte das Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag auf einer Veranstaltung in Mailand. Würde es nur um die Energiepreise gehen, würden mache Volkswirte anmerken, darüber ließe sich hinwegsehen. Man könne dann abwarten, bis diese Schocks abklingen. "Aber wir sehen eine Inflation in Europa, die nicht nur höher ist, sondern auch breiter angelegt", sagte Villeroy. Im Mai war die Teuerung im Euro-Raum auf den Rekordwert von 8,1 Prozent hochgeschnellt.

Bei Dienstleistungen und Industriegütern liege die Teuerung inzwischen bei mehr als drei Prozent, sagte Villeroy. Das seien Dinge außerhalb der Energie. Daher habe die Europäische Zentralbank (EZB) einen Prozess der Normalisierung ihrer Geldpolitik eingeleitet. "Das wird funktionieren", sagte Villeroy. "Wir haben den Willen, und wir haben die Fähigkeit, die Inflation im Euro-Raum zurück zu unserem Ziel zu bringen, zurück mittelfristig zu zwei Prozent", fügte er hinzu. Die EZB hatte in der vergangenen Woche auf ihrer Zinssitzung angekündigt, sich nach mehr als einem Jahrzehnt von der ultralockeren Geldpolitik zu verabschieden. Sie plant nun, die wichtigsten Zinssätze im Juli um 0,25 Prozentpunkte zu erhöhen. Auf ihrer September-Sitzung will sie mit einem zweiten Schritt nach oben nachlegen.

Die Warnungen Villeroy de Galhaus sind bemerkenswert, finden Sie doch einen Tag nach einem aufsehenerregenden Notfall-Treffen der EZB statt. Dort wurde beschlossen, künftig Gelder aus den Anleihe-Kaufprogrammen gezielt in Staatsanleihen hochverschuldeter Euro-Staaten zu investieren, um deren Zinsen zu drücken.

Hellmeyer: „Es gibt ein Problem“

Tatsächlich ist die Geldpolitik der EZB trotz aller Ankündigungen noch immer extrem lasch, getan hat sich bislang so gut wie gar nichts. Der Ökonom Folker Hellmeyer kommentiert dazu im aktuellen Hellmeyer-Report:

Es gibt ein Problem. Die EZB ist weit hinter der Kurve in der Akzeptanz der Realität. Messbar ist das an dem historisch hohen negativen Realzins. Während die US-Notenbank, die Bank of England und auch die Bank of Canada beginnen, sich dieser unbequemen Realität zu stellen, indem sie den Zinserhöhungsmodus starteten, verweigert sich die EZB anscheinend so lange es geht. Gestern verpasste die EZB eine Chance bestehenden Glaubwürdigkeitsdefiziten entgegen zu wirken. Der beste Weg der Fragmentierung der europäischen Kapitalmärkte entgegen zu wirken, ist Glaubwürdigkeit herzustellen.

Damit will ich nicht die getroffenen Maßnahmen per se diskreditieren. Die sind durchaus angebracht. Sie hätten aber von einem ersten Zinsschritt flankiert sein sollen. Die Bank of Japan, die noch renitenter an der Zinspolitik von gestern festhält, erntet durch brachialen JPY-Verfall, der die importierte Inflation erhöht.

Will die EZB auch diese Karte spielen? Der Euroverfall der letzten Monate hat den Inflationsdruck bereits erhöht, nicht ermäßigt. Gestern früh setzte ein kleiner Adler zum Flug an, was landete sah nicht wie ein Adler aus. Mehr gibt es nicht zu sagen.

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