Weltwirtschaft

Gefährdet der Ukraine-Krieg die Neue Seidenstraße?

Lesezeit: 5 min
26.06.2022 11:32
Um sein gigantisches Projekt umzusetzen, ist für China eines ganz besonders wichtig: Frieden. Doch in der Ukraine tobt der Krieg. Wie wird Peking reagieren?
Gefährdet der Ukraine-Krieg die Neue Seidenstraße?
China will fast eine Billion in seine Neue Seidenstraße investieren. Stoppt der Ukraine-Krieg das gigantische Projekt? (Foto: dpa)
Foto: Jens Büttner

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Der Krieg in der Ukraine hat direkte Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Speziell die deutsche Wirtschaft, die bereits durch die Corona-Krise angeschlagen und derzeit massiv von der Lieferketten-Problematik betroffen ist, könnte durch die blutigen Ereignisse im Südosten Europas endgültig in die Rezession getrieben werden. Aber auch viele andere Länder bleiben von den Entwicklungen nicht verschont. Darunter auch China: Vor allem Pekings Prestigeprojekt, die „Neue Seidenstraße“ - auch „Belt and Road“-Initiative genannt -, ist gefährdet.

Ukraine

Die Ukraine hatte in den vergangenen Jahren ganz auf eine enge Bindung an die USA sowie eine EU-Mitgliedschaft gesetzt. Bisher ist dabei jedoch nicht mehr herausgekommen als eine Assoziierung mit der EU, bei der der wirtschaftliche Nutzen begrenzt bleibt, auch wenn der Handel mit der Union insgesamt gewachsen ist. Was den ukrainischen Handel mit Russland angeht: Er war schon lange vor Beginn des Krieges aufgrund der politischen Spannungen mit Moskau stark rückläufig. Insbesondere der frühere Präsident Poroschenko hatte aktiv eine Abkoppelung von Russland betrieben. Die Ukraine ist in den letzten Jahren zum ärmsten Land Europas geworden und beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf sogar hinter Albanien, Georgien und Armenien zurückgefallen.

China ist bereits seit Jahren das wichtigste Außenhandelspartnerland der Ukraine. Hoffnungen Kiews auf größere chinesische Investments haben sich aber bisher nur wenig erfüllt, da vor allem das ungünstige Investitionsklima chinesische Unternehmen eher abschreckt. Initiativen gehen von ihnen sowie kaum aus - wenn Firmen aus dem Reich der Mitte in der Ukraine aktiv werden, dann in der Regel, weil sie einen Auftrag an Land ziehen. So sind zwei chinesische Unternehmen am Ausbau von zwei ukrainischen Häfen beteiligt, und die „China Pacific Construction Group“ hat den Auftrag für den Bau einer neuen Metrolinie in Kiew erhalten (natürlich ruhen diese Projekte derzeit). Der Außenhandelsexperte Michael N. (Name der Redaktion bekannt), der gute Kontakte in die Volksrepublik besitzt, betont, dass der Krieg auch direkte Auswirkungen für – die wenigen – chinesischen Investments in der Ukraine hat: „China hat in einen großen Solar- und Windpark bei Donezk investiert, der sich jetzt im Kampfgebiet befindet.“

Interessant ist die Ukraine für China vor allem als Getreidelieferant sowie Transitland der Seidenstraße. Allerdings laufen die Hauptstränge der Seidenstraße-Landwege nach Europa über Russland und Weißrussland sowie im Süden über den Balkan. Weniger als fünf Prozent des Frachtvolumens werden über die Ukraine geleitet. Nach dem Ausbruch des Krieges reagierten die Chinesen – wie häufig – sehr schnell: Sie beschlossen, den Frachtverkehr auf die Hauptstrecke über Weißrussland zu verlagern. Diese Route führt durch Kasachstan, Russland und Weißrussland bis zum polnischen Małaszewicze, dem wichtigsten Umschlagplatz auf dieser Strecke.

Viele europäische Logistikdienstleister haben ihre Dienstleistungen sowohl in der Ukraine wie auch in Russland eingestellt, beispielsweise „Kühne und Nagel“ bereits am 1. März. DB Schenker hat den Zugverkehr durch die Ukraine ebenfalls beendet. Die aktuellen Entwicklungen haben die Rolle von Weißrussland weiter gestärkt. Dabei war es in den vergangenen zwei, drei Jahren teilweise zu einer Verlagerung von Weißrussland in die Ukraine gekommen, da der sehr starke Anstieg des Schienenverkehrs auf der Seidenstraße von den Weißrussen kaum noch bewältigt werden konnte.

Weißrussland

Die größer gewordene Rolle von Weißrussland auf der Seidenstraße liegt ganz im Interesse von Machthaber Lukaschenko. Dieser hatte den Chinesen stets den roten Teppich ausgerollt. Prägnantes Beispiel dafür ist der Industriepark „Großer Stein“ ganz in der Nähe des Flughafens der Hauptstadt Minsk. Mittlerweile zählt „Großer Stein“ zu den größten von China errichteten Industrieparks in Europa.

Lukaschenko hat es vermutlich auch aufgrund seiner Interessen an der Seidenstraße-Initiative bisher vermieden, sich am Ukrainekrieg direkt zu beteiligen. Schließlich gefährdet der Ukraine-Krieg die Erfolgsaussichten des Projekts – und es sich mit China zu verderben, wird der weißrussische Präsident kaum wagen.

Russland

Russland bleibt trotz des Krieges ein sehr wichtiges Transitland der Seidenstraße. Da China keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat, kann es auch weiter den Zugverkehr über russisches Territorium laufen lassen. Ein Problem ist allerdings, dass – wie bereits erwähnt - verschiedene westliche Logistikdienstleister ihre Tätigkeit in Russland eingestellt haben. Auch deshalb soll der Südkorridor der Neuen Seidenstraße über Kasachstan, Aserbaidschan und die Türkei weiterentwickelt werden. Ganz besonders die beiden letzteren Länder wollen ihre Beziehungen zu China ausbauen, und haben ein deshalb ein starkes Interesse an einer verstärkten chinesischen Präsenz.

Maritime Seidenstraße: Ist sie die Lösung?

Gegenwärtig ist der Südkorridor allerdings noch gar nicht in der Lage, wesentlich mehr Züge als bisher aufzunehmen. Ein Ausbau ist geplant, aber vermutlich ist dieser nicht in wenigen Monaten realisierbar. Die einfachste Möglichkeit, Russland und die Ukraine zu umgehen, ist daher eine Erhöhung der Transporte auf dem Seeweg. Die Maritime Seidenstraße durch den Indischen Ozean, das Rote Meer und das Mittelmeer zu den Zielhäfen Piräus und Triest ist bereits jetzt ein Erfolgsmodell. Piräus ist mittlerweile der größte Hafen im Mittelmeer. Möglich geworden ist dies durch den chinesischen Staatskonzern „Cosco“, der seit 2016 eine Mehrheitsbeteiligung an dem Hafen nahe Athen hat. Seitdem wird er um ein Vielfaches effektiver gemanagt als zuvor unter griechischer Leitung. Und Piräus ist zu einem wichtigen Ziel der gewaltigen chinesischen Containerflotte geworden

Chinas Haltung zum Krieg

Der Eisenbahnverkehr über die Neue Seidenstraße ist in den letzten zwei Jahren sehr stark gewachsen. Vom Onlineboom in Europa hat China so stark profitiert wie kein anderes Land auf der Welt. Doch Putin, der sonst so sehr die Freundschaft zu China betont, hat keine Rücksicht auf die Interessen Pekings genommen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine lag nicht im Interesse der chinesischen Führung um Staatschef Xi. Michael N.: „China verfolgt den Krieg mit Bauchschmerzen. Der Konflikt kam für Peking mindestens fünf Jahre zu früh.“

Xi will sich nicht offen gegen Russland stellen, belässt es bei Appellen an beide Seiten, die Kampfhandlungen einzustellen und gibt dem Westen eine erhebliche Mitschuld am Ausbruch der Kämpfe. Zu sehr braucht China Russland als Verbündeten gegen die USA. Zugleich ist die Volksrepublik aber das einzige Land, dass noch Einfluss auf den Kreml hat. Bei der Suche nach einer hoffentlich raschen Friedenslösung sollte der Westen das Reich der Mitte stärker einbeziehen! Gerade Deutschland und Frankreich, die vergleichsweise konstruktive Beziehungen zu China unterhalten, stehen hier in der Pflicht.

Wie geht es weiter?

Die durch den Ukrainekrieg verursachte Krise der Neuen Seidenstraße ist ganz sicher nicht deren Ende. China hat seine Position in vielen Regionen entlang der Transportroute, aber auch darüber hinaus, so stark ausgebaut, dass es auch bei einer Einschränkung oder gar Unterbrechung der Transporte ein bestimmender wirtschaftlicher und oft auch politischer Faktor in den entsprechenden Regionen bleibt.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Volksrepublik mit großem Geschick vorgeht. Während der Westen - sowohl die europäischen Kolonialmächte als auch später die USA – oft auch vor der Anwendung militärischer Gewalt nicht zurückschreckten, um ihre Interessen durchzusetzen, hat China dies bisher stets vermieden. So wird das Reich der Mitte in vielen Staaten des globalen Südens häufig als das kleinere und vor allem friedlichere Übel angesehen im Vergleich zu dem in den Augen vieler Afrikaner und Asiaten oft arroganten Westen. Die Charmeoffensive der Chinesen in diesen Ländern wird oft durch umfangreiche Infrastrukturprojekte begleitet, von den auch lokale und regionale Interessengruppen in Politik und Wirtschaft profitieren.

Mit der Gründung der pazifischen Freihandelszone RCEP hat China zudem seine Seidenstraße-Initiative strategisch klug ergänzt. An dieser beteiligen sich die zehn Staaten des „Verbands Südostasiatischer Nationen“ (ASEAN) und Südkorea ebenso wie die eher chinakritischen Japaner und Australier. China ist die dominierende wirtschaftliche Macht der Freihandelszone, die circa ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung repräsentiert. Durch Reduzierung von Zöllen und die Festlegung gemeinsamer Handelsregeln profitiert die chinesische Exportwirtschaft stark.

Die EU ist mit ihrem Vorhaben, ein europäisches Gegenmodell zur Neuen Seidenstraße zu entwickeln, gescheitert. Brüssels sogenannte Konnektivitäts-Strategie, mit der die Kooperation mit asiatischen Staaten vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Energie und Digitales vorangetrieben werden soll, wirkt planlos und ist schlecht finanziert.

Will Deutschland die asiatischen Wachstumsmärkte für sich stärker erschließen, führt an einer Kooperation mit dem Reich der Mitte kein Weg vorbei. Zu stark ist seine Position in vielen Ländern Asiens. Dies gilt ähnlich auch für große Teile Afrikas. Man kann mit China vielleicht nicht immer etwas gewinnen, aber gegen China kann man wirtschaftlich nur verlieren.

Da die EU und Nordamerika kein wirkliches Wachstumspotenzial mehr bieten, muss Deutschland auch über eine Beteiligung an Projekten der Neuen Seidenstraße nachdenken. Auch Peking hat ein Interesse daran, mehr Länder an seiner Initiative zu beteiligen, um zu verhindern, dass die Seidenstraße als ein rein chinesisches Projekt angesehen wird.

Allerdings muss Deutschland dabei auch seine eigenen Interessen sehr deutlich vertreten. So ist es richtig, auf stärkeren Nutzen für deutsche Firmen zu bestehen. Denn auch wenn mehr Kooperation notwendig ist: Blindes Vertrauen ist nicht angesagt!


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