Wirtschaft

Energiekrise: Deutschland muss zittern - aber Russland mindestens genauso

Während Russland den Europäern schrittweise den Gashahn zudreht, ist der Kreml gezwungen, sich neue Absatzmärkte zu eröffnen. Aber das ist viel schwieriger, als immer behauptet.
27.06.2022 13:00
Lesezeit: 2 min

Sackgasse Energie: Während Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich wegen reduzierter Gaslieferungen aus Russland den zweiten von drei festgelegten Schritten der Alarmstufe des „Notfallplans Gas“ ausgerufen hat, steht auch der Kreml unter Druck. Denn Wladimir Putin und seine Oligarchen müssen sich auf die Suche nach neuen Kunden machen. Die Drosselung der Rohstofflieferungen setzen nämlich nicht nur Deutschland zu, sondern stellen auch Russland vor eine schwierige Aufgabe.

Der Grund: Sollte künftig der Export von Erdgas, Erdöl und Steinkohle nach Europa wegfallen, würde Russland bis zu einer Milliarde Euro täglich an Einnahmen verlieren. Zur Erinnerung: Bis zu 60 Prozent der russischen Staatseinnahmen stammen aus dem Export dieser fossilen Rohstoffe.

Zwar sieht es derzeit aus der Sicht der westeuropäischen Länder ganz danach aus, als sitze Putin am längeren Hebel. Aber fossile Rohstoffe gibt es auch anderswo. So etwa günstige Steinkohle aus dem Tagebau in Kolumbien, Südafrika, Australien oder Indonesien. Und auch Erdöl und Erdgas fördert man in rauen Mengen in Übersee und im Nahen Osten. Zudem will die westliche Welt ohnehin wegen des Klimaschutzes auf erneuerbare Energien umsatteln.

In diesem Zusammenhang bleibt Moskau derzeit nichts anderes übrig, als sich verstärkt an den Märkten in Indien und China zu orientieren, die künftig von Russland mehr Erdgas und Öl kaufen wollen. Wann genau, steht allerdings noch nicht fest. Mit ein Grund: Der Bedarf an fossilen Rohstoffen der beiden asiatischen Riesen ist bereits weitgehend gedeckt, und es gibt bereits bestehende Lieferanten-Beziehungen und mithin dementsprechende Verträge.

Auch, ob es im nächsten Jahr zu einem großen Rohstoff-Geschäft zwischen Moskau, Peking und Neu-Delhi kommt, steht noch in den Sternen. Noch fehlen nämlich die Pipelines, die das Gas aus Russland im großen Stil nach Indien oder China transportieren könnten.

Bislang führt nur die Pipeline „Power of Siberia“ nach China. Eine zweite Route ist zwar in Planung, aber steht frühestens in acht Jahren zur Verfügung. Fraglich ist auch, ob der Staatsbetrieb "Gazprom" in den nächsten Jahren überhaupt in der Lage sein wird, einen solchen Pipeline-Bau zu finanzieren. Fakt ist: Bis jetzt haben Inder und Chinesen russische Öl-Lieferungen nur zu einem Ramschpreis aufgekauft, weil sie sonst niemand haben wollte.

Ein weiteres Handicap: Die Fahrt russischer Öltanker bis nach Indien dauert rund einen Monat und ist in normalen Zeiten wirtschaftlich kaum sinnvoll. Einige indische Importeure setzen jetzt zwar verstärkt auf Ural-Öl, weil es derzeit so billig ist, doch bis dato sind keine darüber hinausgehenden langfristigen Verträge in nennenswerter Größenordnung geschlossen worden.

Zudem dauerte es Jahrzehnte, den Erdölhandel zwischen den Ländern des Nahen Ostens und Ländern wie China und Indien aufzubauen. Fernando Ferreira, Analyst für geopolitische Risiken bei der Energieberatungsfirma "Rapidan", meint deshalb: „Ich glaube, beide Seiten haben kein Interesse, die Türen für Erdöl aus Nahost völlig zugunsten russischer Barrel zu schließen.“

Auch werde es für Russland aufgrund westlicher Sanktionen schwierig, die Fördermengen ohne Zugang zu westlicher Technik aufrecht zu erhalten.

Noch schwieriger wird es für Putin, sein Erdgas an neue Kunden zu verkaufen. Denn hier braucht es dementsprechende Pipelines für den Transport. Und auch bei der Produktion von Flüssiggas hinkt Russland seinen Konkurrenten weit hinterher. Ein großes LNG-Terminal in Wladiwostok soll erst 2025 an den Start gehen.

Zwar haben Russland und China Anfang Februar eine Vereinbarung getroffen, dass in den nächsten 25 Jahren neben Öl auch Erdgas im Volumen von umgerechnet gut 100 Milliarden Euro Richtung Peking fließen soll. Doch das ist nur ein kleiner Teil von den Mengen, die Russland (noch) derzeit auf die westlichen Absatzmärkten bringt, und, wie bereits gesagt, es ist noch völlig unklar, wie das Gas nach China fließen soll.

Auf lange Sicht gesehen, so Experte Ferreira, wird Russland „einfach nicht mehr die Energiemacht sein, die sie heute ist. Nicht, weil das Land nicht über die nötigen Ressourcen verfügt, sondern weil ihm die Absatzmärkte fehlen oder die Technik, um die Brennstoffe aus der Erde zu holen".

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Technologie
Technologie BradyPrinter i7500: Revolution im Hochpräzisionsdruck

Sie haben genug vom altmodischen Druck großer Etikettenmengen? Keine Kalibrierung, keine Formatierung, kein umständliches Hantieren mit...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung: Neun Aufwendungen, die fast jeder von der Steuer absetzen kann
27.03.2025

Wer weiß, welche Kosten absetzbar sind, kann bares Geld vom Finanzamt zurückbekommen. Ob Kinderbetreuung, Handwerkerkosten oder...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Milliardenverlust Deutsche Bahn: Staatkonzern erneut unrentabel - Bahnchef auf Abruf?
27.03.2025

Der Staatskonzern (DB) hat im vergangenen Jahr erneut einen Milliardenverlust eingefahren. Unterm Strich stand 2024 ein Minus von rund 1,8...

DWN
Technologie
Technologie Nordkorea rüstet auf: Machthaber Kim stellt neueste Militärtechnologie vor
27.03.2025

Neben einem Flugzeug, das als luftgestütztes Frühwarnsystem dienen soll, hat das nordkoreanische Militär auch eine neue Kamikaze-Drohne...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mittagspause in Deutschland: Was Beschäftigte dürfen und was nicht
27.03.2025

Die Mittagspause in Deutschland ist mehr als nur eine Unterbrechung der Arbeitszeit – sie ist gesetzlich geregelt und dient der...

DWN
Politik
Politik Macron fordert von Russland bedingungslose Waffenruhe – Ukraine-Unterstützer beraten in Paris
27.03.2025

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Russland zu einer bedingungslosen Waffenruhe aufgefordert. Sein Appell für...

DWN
Finanzen
Finanzen Eutelsat-Aktie: EU-Pläne zu Starlink-Ausschuss lassen Kurs explodieren
27.03.2025

Die jüngsten Kurssprünge der Eutelsat-Aktie sind auf mögliche EU-Aufträge zurückzuführen. Bleiben diese aus, könnte es schnell...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Solidaritätszuschlag verfassungsgemäß? Wirtschaftsverbände und FDP-Politiker fordern Soli-Abschaffung
27.03.2025

Das höchste deutsche Gericht hatte eine Verfassungsbeschwerde von sechs FDP-Politikern gegen den Solidaritätszuschlag zurückgewiesen....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trump verkündet Zölle auf Auto-Importe - Was bedeutet das für Deutschland?
27.03.2025

Trump macht Ernst und verkündet hohe Zölle auf importierte Autos. Besonders hart trifft das Deutschland. Ein Überblick, was die...