Wirtschaft

Rezession in Europa: Der „Abschwung ist eingeläutet“

Europa und namentlich die Eurozone sind die großen Verlierer der Verwerfungen auf den Energiemärkten und in der Weltpolitik - und Opfer ihrer eigenen Russland-Sanktionen. Die Rezession hat begonnen.
04.07.2022 10:00
Aktualisiert: 04.07.2022 10:53
Lesezeit: 4 min
Rezession in Europa: Der „Abschwung ist eingeläutet“
Eine rote Warnlampe. (Foto: dpa) Foto: Arno Burgi

Die Wirtschaftsstimmung im Euroraum hat sich im Juli wieder deutlich verschlechtert. Nach einem Anstieg im Vormonat fiel der vom Beratungsunternehmen Sentix erhobene Konjunkturindikator um 10,6 Punkte auf minus 26,4 Zähler, wie Sentix am Montag in Frankfurt mitteilte. Es ist der tiefste Stand seit gut zwei Jahren. Die Prognosen von Analysten und sogenannte "Experten" verfehlten wie fast immer das tatsächliche Lagebild.

Die Dynamik der Eintrübung seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und die Verhängung von Sanktionen gegen Russland erinnere stark an das Krisenjahr 2008, als die weltweite Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte. "Und was damals der Zusammenbruch des Finanzsystems war, ist nun die Gefahr des Kollapses der europäischen Energieversorgung." Auch international sehe es nicht viel besser aus. In den USA werde eine Rezession immer wahrscheinlicher. Einzig die asiatische Region halte sich vergleichsweise gut.

Lesen Sie dazu: Das Zeitalter Asiens hat begonnen: Eine inoffizielle Investment-Strategie für das 21. Jahrhundert

Der Sentix-Indikator ist eine Umfrage unter Finanzmarktteilnehmern und damit in etwa vergleichbar mit den ZEW-Konjunkturerwartungen. Analysten messen der Umfrage Bedeutung zu, weil sie früh im jeweiligen Berichtsmonat veröffentlicht wird und damit eine Art Taktgeber für andere Indikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima sein kann.

Exporte innerhalb Europas sinken - "Der Exportabschwung ist eingeläutet"

Die deutschen Exporte sind im Mai wegen der schwächeren Nachfrage aus den EU-Staaten gesunken. Sie fielen um 0,5 Prozent niedriger aus als im Vormonat und summierten sich damit auf 125,8 Milliarden Euro, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten dagegen mit einem Wachstum von 0,9 Prozent gerechnet und lagen damit wie beinahe immer falsch. Die Importe legten dagegen diesmal mit 2,7 Prozent dreimal so stark wie erwartet zu und damit den vierten Monat in Folge.

"Der Exportabschwung ist eingeläutet", kommentierte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, die Entwicklung. "Die Weltkonjunktur und damit die Nachfrage nach deutschen Produkten dürfte sich in den kommenden Monaten weiter abkühlen."

Ähnlich sieht das der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). "Die Aussichten sind düster", sagte BGA-Präsident Dirk Jandura. "Die Folgen des russischen Angriffskriegs und die Störungen in den internationalen Lieferketten werden auch im Außenhandel noch wesentlich stärkere Spuren hinterlassen." Noch seien die Auftragsbücher der Unternehmen gefüllt, aber das Neugeschäft nehme ab.

Für den Exportrückgang sorgte im Mai vor allem das schwächelnde Geschäft mit den anderen EU-Staaten, die unter den Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine, der Sanktionen und der Corona-Lockdowns leiden - neben der Verunsicherung etwa in Form stark steigender Preise, während zugleich auch die Zinsen steigen und Kredite für Investitionen verteuern. Die Ausfuhren dorthin schrumpften um 2,8 Prozent auf 67,5 Milliarden Euro. Die Exporte nach Großbritannien fielen um 2,5 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro. Das gute laufende Geschäft mit den US-Kunden konnte das nicht ausgleichen. In die Vereinigten Staaten wurden 5,7 Prozent mehr Waren exportiert als im Vormonat, womit sie auf einen Wert von 13,4 Milliarden Euro stiegen. Die Exporte nach China legten um 0,5 Prozent auf 8,7 Milliarden Euro zu, da die Volksrepublik mit ihrer strikten Null-Covid-Politik wochenlang wichtige Städte wie die Wirtschaftsmetropole Schanghai lahmlegte.

Die Exporte nach Russland wuchsen diesmal um 29,4 Prozent auf 1,0 Milliarden Euro, nachdem sie im März noch fast 60 Prozent und im April um weitere 9,9 Prozent eingebrochen waren. Experten zufolge könnten abgewickelte Altgeschäfte zum Anstieg beigetragen haben. Die westlichen Staaten haben seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar Sanktionen gegen Russland verhängt, die allerdings in Wellen erfolgten und Übergangsfristen enthalten. Vor Kriegsbeginn lage die deutschen Exporte nach Russland meist deutlich über zwei Milliarden Euro pro Monat.

Vor diesem Hintergrund gehen die deutschen Exporteure mit wenig Optimismus in die zweite Jahreshälfte. Das Barometer für die Exporterwartungen fiel im Juni um 0,7 auf 3,7 Punkte, wie das Münchner Ifo-Institut bei seiner monatlichen Umfrage unter 2300 Industriebetrieben herausfand. Zuvor hatte es zwei Anstiege in Folge gegeben. "Logistikprobleme und hohe Unsicherheit drücken den Ausblick der deutschen Exportwirtschaft", sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe.

ZEW: Deutschland bei Energie extrem verwundbar

Die Energieversorgung Deutschlands ist einer Studie zufolge im internationalen Vergleich besonders anfällig - sowohl für steigende Preise als auch für Lieferengpässe. Das Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW kommt in der Ende Juni veröffentlichten Analyse zu dem Schluss, dass die Bundesrepublik bei der Stromversorgung gemeinsam mit den Niederlanden zu einer "Hochpreisinsel" wird. Was die Anfälligkeit für ausbleibende Lieferungen betrifft, ist Deutschland demnach gemeinsam mit Italien besonders verwundbar.

Beide Faktoren gefährden laut ZEW die Wettbewerbsfähigkeit und machen Deutschland für Industriezweige mit hohem Energieverbrauch unattraktiv. Auftraggeber war die Stiftung Familienunternehmen. Das ZEW nahm die Energieversorgung von 21 Industriestaaten unter den Gesichtspunkten in den Blick, wie sehr die Volkswirtschaften unter Preisanstieg und Lieferengpässen leiden würden. Die Ökonomen verglichen 16 EU-Staaten, außerdem die USA, Japan, Kanada, Großbritannien und die Schweiz.

Demnach ist die Versorgungssicherheit der drei außereuropäischen großen Volkswirtschaften wegen des Ukraine-Kriegs gar nicht gefährdet. Die Preissteigerungen seien dort bislang "ausgesprochen moderat ausgefallen oder ganz ausgeblieben", heißt es in dem Papier.

In Europa ist demnach die große Mehrheit der Länder bei ausbleibenden Energielieferungen weniger verwundbar als das von russischem Gas besonders abhängige Deutschland.

"Die Preiseffekte der Energiekrise bei Strom und Gas sind weitgehend auf europäische Standorte beschränkt", erklärte Studienautor Friedrich Heinemann. Innerhalb Europas gebe es markante Unterschiede. "Deutschland wird zusammen mit den Niederlanden immer stärker zu einer Hochpreisinsel." Nicht nennenswert gestiegen sind die Strompreise laut ZEW-Analyse etwa in Frankreich oder der Schweiz.

Im Falle einer Gasrationierung würden die Bereiche Metallverarbeitung, Chemie und Papier den größten Schaden nehmen. Erhebliche Schäden in weiteren Branchen wären laut ZEW wegen dann fehlender Vorprodukte nicht ausgeschlossen.

"Die Wettbewerber in Übersee haben kein Problem", resümierte Stiftungsvorstand Rainer Kirchdörfer. "Und die Wettbewerber in Europa können angesichts geringerer Verbrauchsmengen rascher umschichten." Sowohl die Stiftung Familienunternehmen als auch das ZEW appellierten an die Bundesregierung: "Die Wirtschafts- und Energiepolitik hierzulande muss daher Antworten auf die Frage finden, wie die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands für energieintensive Unternehmen erhalten werden kann."

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