Weltwirtschaft

Rohstoff-Bullenzyklus: Wie weit können die Preise noch steigen?

Lesezeit: 12 min
17.07.2022 07:00
Die DWN wagen eine Prognose zur weiteren Entwicklung der Rohstoffpreise im Kontext des Ukraine-Kriegs und des maroden Zustands der Weltwirtschaft. Für diese große Analyse sind wir bis zu 120 Jahre in die Vergangenheit getaucht und konnten dabei Überraschendes zu Tage fördern.
Rohstoff-Bullenzyklus: Wie weit können die Preise noch steigen?
Rohstoff-Produzenten machen im aktuellen Bullenzyklus fette Gewinne. Wie lange geht das noch gut? (Foto: dpa)

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Das aktuelle Rohstoff-Umfeld ist ein waschechter Bullenmarkt. Im letzten Jahr sind die Rohstoffpreise massiv nach oben geschossen und haben dadurch entscheidend zur grassierenden Inflation beigetragen. In einer technischen Analyse von Reuters heißt es, dass sich die meisten Grundstoffe seit circa 1990 in einem „Super-Bullenzyklus“ befinden würden. Wie weit können die Preise von Öl, Weizen, Kupfer und Co. noch steigen?

Ein Blick auf einen inflationsbereinigten Index aus 40 Rohstoffen zeigt, dass wir uns aus historischer Sicht zum Jahresbeginn 2020 im unteren Mittelfeld befunden haben. Es spielt für diese Betrachtung keine große Rolle, ob die Rohstoffe im Index auf Basis des Anteils an der industriellen Verwendung in 1975, 2019 oder gleich gewichtet wurden. Ein klarer Trend ist bei den Rohstoffpreisen indes nicht zu erkennen – die Preise verlaufen in Zyklen.

In den letzten zwei Jahren sind Rohstoffe dann erheblich teurer geworden trotz des zwischenzeitlichen Corona-Einbruchs. Der breitgefasste CRB Commodity Index ist seit 2020 um mehr als 50 Prozent gestiegen.

Auch unter Berücksichtigung der 2021 einsetzenden Inflation ist das eine extrem starke Verteuerung. Was die historischen Bandbreiten seit 1900 angeht, ist die Bewertung von Rohstoffen also aktuell auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau. Vergleichbare Zyklen finden sich in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte nur im ersten Weltkrieg, in der Ölkrise und Stagflation der 1970er-Jahre sowie dem verrückten Bullenmarkt in der boomenden Wirtschaft der Nullerjahre.

Was nicht heißen muss, dass es auf Sicht von einigen Jahren oder sogar einem ganzen Jahrzehnt nicht mehr weiter nach oben gehen kann. Bei den letzten beiden Bullenzyklen dauerte es viele Jahre, bis sich die Rohstoffpreise normalisierten. Mit einer Regression zur Mitte (statistisches Phänomen, auch als "Rückkehr zum Mittelwert" bekannt) ist hier also zu rechnen – aber eben nur auf eine super-langfristige Sicht.

Seit Beginn der russischen Invasion kommt es an den Rohstoffmärkten verstärkt zu gewaltigen Preissprüngen. Schon vorher war ein massiver Aufwärtstrend der Preise zu verzeichnen. Die direkten und indirekten Folgen des Ukraine-Krieges und der damit einhergehenden Sanktionen lassen sich nur bruchstückweise absehen. Der spürbarste Effekt des Krieges war die Explosion der Energiepreise, die für sich alleine bereits dramatische Auswirkungen auf nahezu alle Wirtschaftszweige, Unternehmen und Verbraucher hat.

Energiepreise sind ein entscheidender Faktor für Rohstoffpreise. Denn Energie steckt in jedem produzierten Gut und Produktionskosten lassen sich letztlich immer in Energiekosten umrechnen. Daher schlägt sich der Anstieg der Energiepreise auch in einer Verteuerung der Produktions- und Konsumgüter nieder. Erdgas ist ein entscheidender Inputfaktor in der Chemieindustrie. Strom-, Heiz- und Treibstoffkosten ziehen sich derweil immer und überall durch die gesamte Wirtschaft.

Die grüne Agenda hat ihren Preis

Die Energiepreise befinden sich aufgrund der Klimapolitik ohnehin in einem Aufwärtstrend. Die Bepreisung von Kohlendioxid (CO2-Emissionszertifikate) führt zu steigenden Kosten bei den Gas- und Öl-Erzeugern. Der Preis dieser Zertifikate hat in den vergangenen Jahren ein Allzeithoch erklommen (allein im letzten Jahr kam es in Europa zu einer Verdreifachung), wobei die enormen Zusatzkosten von der Industrie in Form höherer Preise freilich an die Verbraucher weitergegeben werden. Diese Mechanismen gelten nicht nur für Heizgas, sondern auch für Benzin und sonstige Erdöl-Produkte. Die hohen Energiepreise ziehen sich durch die gesamte Wirtschaft, weil auch die Kosten von Produktion, Lagerung und Transport steigen.

Diese Klimapolitik wird sich mittelfristig nicht ändern. Dazu werden immer weitere Umwelt-Auflagen für die Industrie kommendas bedeutet mehr regulatorische Kosten, die wiederum auf die Preise umgelegt werden, insbesondere im Rohstoff- und Energiesektor sowie in der Schwerindustrie. In Bezug auf Erdölprodukte kommt noch ein weiterer Faktor hinzu. Der Ukraine-Krieg und politisches Missmanagement haben die Öl- und Gas-Infrastruktur insbesondere in Europa geschwächt. Das Angebot ist schon da - aber nicht unbedingt dort, wo man es gerade braucht.

Paradoxerweise sollten die Preise fossiler Brennstoffe doch langfristig sinken, weil die Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle im grünen Zeitalter der Zukunft nach und nach wegbrechen soll? Per se ist dieser Gedankengang nicht falsch, aber die Wirtschaft ist kein statisches System. Denn wenn das Angebot an fossiler Energie noch stärker sinkt als die Nachfrage, steigen die Preise trotzdem.

Die Produktionsmengen fossiler Energieträger kommen durch die Umweltpolitik (vor allem in den Industrienationen) unter Druck und die Preise könnten demnach weiterhin sehr hoch bleiben, denn Nachfrage besteht immer noch mehr als genug – alleine durch die wachsende Weltbevölkerung in Kombination mit der immer noch sehr dominanten Rolle fossiler Brennstoffe in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Schaut man sich die Terminkurven fossiler Energieträger an, stellt man außerdem fest: Der Markt rechnet nicht mit einem baldigen Ende des fossilen Zeitalters.

Umweltauflagen und der ESG-Trend haben überhaupt erst zu einer gewissen Unterinvestition bei fossilen Brennstoffen und teilweise auch Industriemetallen und damit zu deren Preisexplosionen – entscheidend beigetragen. Die Internationale Energieagentur (IEA) weist darauf hin, dass die Investitionen in erneuerbare Energien zwar zugenommen haben, dass sie aber bei weitem nicht ausreichen, bis 2050 fossile Energien ersetzen zu können. Da der weltweite Energiebedarf steigt, droht perspektivisch eine fundamentale Energie-Knappheit und weiterhin hohe Energiepreise.

J.P. Morgan sieht den Ölpreis bald auf ein neues Rekordhoch von 175 Dollar steigen. Die Kosten für Öl, Gas und Kohle dürften sich trotzdem langfristig (im Sinne der bereits angesprochenen Regression zur Mitte) ein wenig normalisieren und damit auch zu einer Verbilligung der durch Wertschöpfungsketten verbundenen anderen Industrie-Rohstoffe beitragen. Wenn es ungefähr bis 2030 nicht zu einer ordentlichen Korrektur der Preise fossiler Brennstoffe kommt, dann widerspricht das historischen Bandbreiten – dieses Szenario ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

Die Stromkosten dürften in den allermeisten Nationen auch nicht mehr ewig lange so hoch bleiben wie aktuell. In manchen Ländern wird der Strompreis schon für Privat-Verbraucher gedeckelt, weil die hohen Preise für die ärmere Bevölkerung nicht mehr tragfähig sind.

Werden die Rohstoffpreise auf breiter Front trotzdem weiter steigen? Lassen Sie uns zu dieser Frage die Aussagen bedeutender Akteure auf den Rohstoffmärkten beleuchten.

Glencore: Ukraine-Krieg verändert Rohstoffmärkte wesentlich

Beginnen wir mit dem Bergbau- und Handelsriesen Glencore. Nach Einschätzung des Rohstoff-Händlers dürften Knappheiten in Folge des Einmarschs Russlands in die Ukraine zur Regel werden. "Im Laufe der Zeit werden sich die globalen Warenhandelsströme daran anpassen müssen, dass ein Teil oder die gesamte russische/ukrainische Versorgung nicht verfügbar ist, sei es aufgrund von Infrastrukturschäden, Sanktionen oder ethischen Bedenken", schrieb der Bergbaukonzern in seinem Jahresbericht.

Russland ist einer der Hauptlieferanten für Öl, Erdgas, Kohle, Aluminium und Nickel. Die Ukraine ist ein bedeutender Getreideproduzent und -exporteur. Glencore zufolge dürfte die Versorgungsunsicherheit die Rohstoffpreise und Beschaffungskosten in die Höhe treiben. Das wiederum führe zu Problemen bei der Finanzierung. „Abhängig von der Dauer des Konflikts und dem Sanktionsregime können sich die globalen Warenströme gegenüber ihrer Situation vor 2022 wesentlich ändern“, heißt es in dem Bericht.

Der Vorstandsvorsitzende des weltgrößten Vermögensverwaltung Blackrock, Larry Fink, prognostiziert zugleich eine Zeitenwende für Weltwirtschaft und Finanzmärkte. „Der russische Einmarsch in die Ukraine hat zum Ende jener Globalisierung geführt, wie wir sie in den vergangenen drei Jahrzehnten erlebt hatten“, zitiert die Financial Times Fink. Der Krieg habe jene sich schon zuvor in der Welt abzeichnenden Tendenzen der Deglobalisierung verstärkt, so Fink. „Dies könnte dazu führen, dass Firmen ihre Aktivitäten ins eigene Land oder in die Nähe davon (Fachbegriff: Reshoring; Anm.d.Red.) zurückholen.“

Nutznießer dieser Umgestaltung der Lieferketten könnten aus seiner Sicht Länder wie Mexiko, Brasilien, die USA und die Staaten Südostasiens sein. Die direkten Auswirkungen eines solchen Szenarios auf die Rohstoffpreise sind schwer einzuschätzen. Mit Sicherheit würden aber bei einer verstärkten Deglobalisierung die weltweiten Lieferketten verteuert – und damit indirekt auch die transportierten Grundstoffe.

Langfristiger „Superzyklus“ Rohstoffe?

Bereits letztes Jahr hatten Experten der US-Großbanken Citigroup und Goldman Sachs den Beginn eines neuen „Superzyklus“ bei Rohstoffen postuliert. Einen solchen habe es zuletzt Anfang des Jahrtausends gegeben – getragen vor allem durch den steilen wirtschaftlichen Aufstieg Chinas.

Aktuell gibt es neben den mittelfristigen Folgen des Ukraine-Krieges durchaus Gründe, die für noch weiter steigende Rohstoffpreise sprechen. Dazu gehören die immense Nachfrage aus Schwellenländern wie Indien oder die durch viele Industrieländer angestrebte Umstellung der Wirtschaft auf grüne Technologien, die ebenfalls viele Rohstoffe benötigt.

Derzeit herrschen mehr oder weniger akute Knappheiten und Lieferengpässe in unzähligen Segmenten – wie zum Beispiel Erdgas, Kohle, Nickel, Kupfer, Aluminium, Palladium, Neon, Halbleiter, Plastik und Kunstdünger. Die explodierenden Preise für Energie sowie Düngemittel machen sich deutlich in höheren Kosten bei den Landwirten bemerkbar. Entsprechend werden auch Agrar-Rohstoffe wie Weizen, Mais und Soja immer teurer.

Zudem sind die globalen Lieferketten – insbesondere im Hightech-Bereich – weiterhin angespannt und die Lieferzeiten teilweise um ein Vielfaches höher als üblich. Transportmöglichkeiten sind knapp und teuer, was sicherlich nicht zu einem Rückgang der Knappheiten beiträgt. Man bedenke auch: Die billionenschweren „Green Deals“ in den USA und der EU sind gerade erst angelaufen. Die gigantischen grünen Investitionsvorhaben erfordern eben auch gigantische Mengen an Rohstoffen.

Auf der Nachfrageseite gibt es also viele Faktoren, die für weiterhin für hohe Preise sprechen. Rohstoff-Märkte sind aber generell stärker von der Angebotsseite getrieben. Es wird kontinuierlich ein gewisses Volumen in den Markt gegeben, selbst wenn die Nachfrage schwach ist.

Werden die Knappheiten durch Marktmechanismen bereinigt werden? Das ist gut möglich. Es ist eine ökonomische Tatsache, dass langfristig nichts so gut gegen hohe Preise hilft wie hohe Preise. Exorbitante Rohstoffpreise schaffen einen gewaltigen Anreiz für deren Produzenten, ihre Kapazitäten auszuweiten oder überhaupt erst in den Abbau einzusteigen. Irgendwo tauchen doch immer neue Reserven auf und wenn die Preise wirklich einmal absurd hoch sein sollten, dann könnte auf einmal der Abbau unter der Meeres-Oberfläche wirtschaftlich werden. Außerdem werden die Fördermethoden im Zeitablauf immer fortschrittlicher und effizienter – fallende Förderkosten und insgesamt niedrige Energiekosten waren ein Hauptgrund dafür, dass die Rohstoffpreise seit 1980 meistens relativ gering waren.

Zugleich drosseln Unternehmen die Nachfrage nach sehr teuren Materialien und – falls möglich – substituieren diese teilweise mit anderen Grundstoffen. Außerdem stehen einzelne Rohstoffe immer vor dem Risiko, im Zuge von Innovationen und technologischem Fortschritt (Stichwort: Produktion-on-demand mit 3D-Druck, Industrie 4.0) komplett überflüssig zu werden.

Bis es soweit ist und Knappheiten in ein Überangebot umschwenken (eine Entwicklung, die vor allem im Rohstoff-Sektor typisch ist) dürfte der Superzyklus in einigen Bereichen jedoch noch einige Jahre lang Bestand haben – auch wenn stark zu bezweifeln ist, dass sich die Aussagen von Benedikt Sobotka, seines Zeichens Geschäftsführers der „Eurasian Resources Group“ bewahrheiten. Demnach würde die grüne Transformation der Volkswirtschaften eine systematische Unterinvestition in Rohstoffe offenbaren, die uns noch 30 Jahre in der Zukunft Probleme bereitet.

Fakt ist jedoch: Das Angebot von Grundstoffen ist relativ unflexibel und das Abbau-Geschäft äußerst kapitalintensiv. Die Produktionsmengen von Rohstoffen können nicht so einfach ausgeweitet werden, wie es in anderen Sektoren der Fall ist. Allein die Planung und Inbetriebnahme einer einzelnen Mine ist ein zeitaufwendiger und teurer Prozess, der schon mal mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann. Der letzte längere Rohstoff-Bullenmarkt (1968 bis 1982) dauerte immerhin 15 Jahre, wobei man mit der Extrapolation von Ereignissen der Vergangenheit auf die Gegenwart sehr vorsichtig sein muss. Zudem sind Wirtschaft und Finanzmärkte heute wesentlich schnelllebiger also vor fünfzig Jahren.

Anleger könnten Rohstoffpreisen weiteren Auftrieb geben

Die Preise weiter beflügeln könnten derweil die Privatanleger, wenn sie auf der Suche nach Inflationsschutz vermehrt Rohstoffe kaufen. Das ist zumindest die neueste Einschätzung aus dem Hause J.P. Morgan. Laut deren Analysten könnten Preise für Grundstoffe – deren aktuelles Niveau inflationsbereingt den historischen Mittelwert überschritten hat (siehe oben) – nochmal um 30 bis 40 Prozent steigen, sobald Anleger im momentanen Umfeld stärker auf Sachwerte setzen – historisch gesehen waren Rohstoffe in stagflationären und hochinflationären Phasen tatsächlich ein besseres Investment als Aktien. Die Rohstoffpreise würden damit ein neues Rekordniveau erreichen.

Zwar liege der Anteil von Rohstoff-Investments in der gesamten Vermögens-Allolation bereits über den historischen Durchschnittswerten. Sie seien aber bisher nicht sehr übergewichtet, sagen die Strategen von J.P. Morgan um Nikolaos Panigirtzoglou. „In der gegenwärtigen Situation, in der der Bedarf an Inflationsabsicherungen höher ist, ist es denkbar, dass die längerfristigen Rohstoffallokationen schließlich auf über 1 Prozent der gesamten Finanzanlagen weltweit ansteigen und damit die bisherigen Höchststände übertreffen“, zitiert Bloomberg aus der Mitteilung vom 6. April.

Es gilt aber zu beachten, dass man in die meisten Rohstoffe nur indirekt über Minen-Aktien und Terminkontrakte investieren kann – deren Preise nur begrenzten Einfluss auf die Fördermengen und fast überhaupt keinen Einfluss auf die realwirtschaftliche Nachfrage haben. Kein einziger Rohstoff-ETF, welche insgesamt übrigens tatsächlich erheblich größere Summen verwalten als noch vor drei Jahren, kauft die Rohstoffe in physischer Form.

Eine Rezession würde die Rohstoff-Preise gen Süden schicken

Was dagegen laufen und die Preise nach unten schießen lassen könnte, ist die inhärente Zyklizität der allermeisten Rohstoffe. Die konjunkturelle Entwicklung oder noch allgemeiner die Gesamtnachfrage der Weltwirtschaft hat einen erheblichen Einfluss auf die Bewertung von Rohstoffen. Nicht umsonst gelten Industriemetalle wie Kupfer als Frühindikatoren für die Weltwirtschaft. Rohstoff-Preise sind teilweise die wichtigsten Inputpreise für weiterführende Produktionsprozesse in anderen Industrie-Segmenten und haben deshalb einen großen Einfluss auf andere Preise und letztlich auch auf die Inflationsraten.

Aktuell befindet sich die Weltkonjunktur, und zwar insbesondere in Nordamerika und Europa, in einer Stagflation – also einer stagnierenden oder sehr langsam wachsenden Wirtschaft bei hohen Inflationsraten. Von einer Hochkonjunktur mit moderaten Inflationsraten wie in den Nullerjahren vor der Finanzkrise 2007/2008 (damals erreichten Rohstoffpreise ihr Allzeithoch) sind wir weit entfernt. Der Chef der Weltbank wies zuletzt darauf hin, dass die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Preisexplosion von Energieträgern und Lebensmitteln eine globale Rezession auslösen könnten. Seiner Meinung nach befindet sich Deutschland bereits in einem Wirtschaftsabschwung. Auch in den USA stehen alle Zeichen auf Rezession, wie wir bei den DWN bereits mehrfach analysiert hatten (zuletzt hier).

Der Corona-bedingte Nachholeffekt bei den Konsumausgaben kommt gerade an sein Ende und in den Industrieländern wächst die Produktivität schon seit vielen Jahren nur noch geringfügig. Zugleich haben die Zentralbanken keinen Spielraum mehr, um die Konjunktur mit Zinssenkungen zu stimulieren – stattdessen stehen weitere Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung im Raum, was wiederum die Zinskosten der Unternehmen erhöht und ihre Gewinnmargen schmälert.

Die Weltwirtschaft kann auch relativ schnell ein langfristiges rezessives Umfeld rutschen. Insbesondere das verarbeitende Gewerbe und damit die Industriemetalle wären davon negativ betroffen. Auch die Energiepreise dürften dann aufgrund einer einbrechenden Nachfrage in den Keller gehen. Ein solcher Wirtschaftsabschwung könnte durch folgende Faktoren, die sich nicht gegenseitig ausschließen, ausgelöst werden:

  • Die gewaltigen Energie- und Rohstoffkosten sowie Versorgungsengpässe lassen die Industrieproduktion dramatisch schrumpfen. Warnzeichen gibt es in Europas Chemie- und Schwerindustrie (beides energieintensive Branchen, die als guter Frühindikator für die Konjunktur gelten) bereits zuhauf.
  • Weiter steigende Inflationsraten und der damit verbundene Kaufkraftverlust der Bevölkerung führen zu einer Depression in vielen Industrie- und Schwellenländern.
  • Zunehmende militärische Konflikte (hier würden sogar einige Rohstoffe profitieren)
  • Chinas rabiate Null-Covid-Strategie gerät vollkommen außer Kontrolle. Das würde zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen im Reich der Mitte führen und die Weltwirtschaft mit nach unten reißen (Außerdem blockiert Chinas Coronapolitik den globalen Containerschiffshandel und droht somit, zum Brandbeschleuniger für sich weiter verschärfende Lieferprobleme zu werden).
  • Ein Platzen der Immobilienblase in China und/oder Nordamerika. In China ist die Situation nach dem Evergrande-Debakel etwas abgekühlt. In den USA droht durch die Zinserhöhungen der Fed ein Preisschock am Häusermarkt. Ein solches Szenario dürfte eine Banken- und Finanzkrise zur Folge haben. Die Großbanken könnten infolge der Zinswende außerdem unter einem Berg von ausgefallenen Zombie-Krediten und Wertverlusten ihrer Anleihe-Portfolios begraben werden.
  • Überalterung der Gesellschaft schlägt auf die Wirtschaft durch. Die zunehmenden Deglobalisierungs-Tendenzen könnten zu einem negativen Effekt auf die Konjunktur beitragen, denn billige Arbeitskräfte im Ausland und die Vorteile des Welthandels gleichen den negativen demografischen Trend teilweise aus.
  • Weiter ansteigende Staatsquoten (Staatswirtschaft ist schlecht für die Konjunktur, weil der Staat ein chronisch schlechter Planer ist)

Während einigen Grundstoffen – zum Beispiel Nickel, Lithium, seltene Erden, Kupfer, Silber, Uran, Dämmstoffe wie Steinwolle – wohl zurecht eine glorreiche Zukunft prognostiziert werden, spricht der langfristige gesellschaftliche und politische „grüne“ Trend gegen andere Rohstoffe, denen entsprechend unsichere Zeiten bevorstehen. Landwirtschaftliche Erzeugnisse folgen derweil ihren ganz eigenen Zyklen, die sich kaum vorhersagen lassen.

Mittel- bis langfristig dürften indes die Knappheiten in den diversen von Engpässen heimgesuchten Sektoren durch eine Ausweitung der Produktion abgebaut werden und teilweise sogar in einem Überangebot münden – insbesondere dann, wenn die Nachfrage in einer Rezession zurückgeht. Das gilt freilich mehr für Industrie-Rohstoffe als für Agrar-Erzeugnisse. Auch in einer schwachen Wirtschaftslage müssen die Menschen essen.

Basis-Szenario: Seitwärtsbewegung mit leicht rückläufigen Preisen

Eigentlich spricht doch viel für niedrigere Preise von Öl und Gas: Das politische Risiko ist allgegenwärtig und die Bandbreiten-Bewertung sehr hoch. Ausgleichend dürfte die Rohstoff-intensive grüne Umgestaltung und Elektrifizierung der Wirtschaft wirken, die preistreibend auf viele Industriemetalle wirkt. Die Lieferketten-Probleme sorgen für Knappheiten, sind aber zugleich ein rezessiver Faktor.

Knappheiten in den verschiedenen Sektoren wie Öl, Kupfer und Weizen sind derweil schon auf Jahre hinaus eingepreist und es ist eher unwahrscheinlich, dass die Lage auf breiter Front noch akuter wird. Der Anreiz zur Produktions-Ausweitung ist bei den gegenwärtigen Preisen riesig und selbst viele kleinen Minen-Gesellschaften dürften aktuell im Schnitt mit ungewohnten Gewinnen operieren.

Zugleich schwächelt die Weltwirtschaft und in den Industrieländern drohen Rezessionen, die in einem so fragilen Umfeld durchaus längerfristiger Natur sein könnten. Momentan konvergieren eben viele negative Faktoren und der zwangsläufige Nachfragerückgang in einer Rezession ist in den aktuellen Rohstoff-Bewertungen kaum eingepreist. Deshalb gehe ich für die nächsten ein bis drei Jahre von einer stabilen oder leicht rückläufigen Bewegung der Rohstoffpreise als wahrscheinlichstes Szenario aus.

Fazit: Nach historischen Bandbreiten befinden wir uns bereits jetzt in einem Rohstoff-Superzyklus. Nur wenn die Energiepreise ähnlich hoch bleiben und/oder sich in zahlreichen Sektoren zugleich die Engpässe massiv verschärfen, kann der neue „Superzyklus Rohstoffe“ in die nächste Runde gehen.

Auf sehr langfristige Sicht spricht hingegen alles für eine Regression zur Mitte. In einer Marktwirtschaft werden teure Ressourcen gespart. Sollten die breit gemessenen Rohstoffpreise in Zukunft dauerhaft auf dem aktuellen Niveau oder sogar noch höher liegen, dann spricht das für einen kaum noch funktionierenden Markt. Einen Markt, in dem politische/ideologische Ziele (Grüne Energiewende, Ende des fossilen Zeitalters) über Jahrzehnte hinweg dominieren – auf Kosten der Bevölkerung, die übermäßig hohe Preise bezahlen muss.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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