Weltwirtschaft

Eingefrorene Guthaben in China führen zum Bank Run und Protesten

Lesezeit: 4 min
13.07.2022 16:49  Aktualisiert: 13.07.2022 16:49
Erst den Job aufgrund der chinesischen Null-Covid-Politik verlieren. Dann das lebenslang angesparte Geld ohne Nennung von Gründen eingefroren bekommen. Schließlich mittels Corona-QR-Code am Demonstrieren gehindert werden. Was nach schriller Techno-Dystopie klingt, ist für hunderttausende Chinesen seit Monaten nervenaufreibende Realität.
Eingefrorene Guthaben in China führen zum Bank Run und Protesten
Ein eher ungewohntes Bild aus China: Menschen protestieren, weil ihre Bankguthaben eingefroren sind. (Foto: Screenshot)

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Bereits seit April haben knapp 400.000 Chinesen aus der zentralchinesischen Provinz Henan keinen Zugriff auf ihr Erspartes mehr. Wer online auf sein Guthaben zugreifen will, wird mit Hinweisen auf Wartungsarbeiten an der Website vertröstet. Zahlreiche Betroffene sehen sich deshalb seit Monaten in ihrer Existenz bedroht. Umso mehr, da die Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung zuletzt die Arbeitslosigkeit steigen und die Umsätze einbrechen ließ. In Zhengzhou, der Hauptstadt Henans, kam es am zweiten Juliwochenende deshalb zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen demonstrierenden Betroffenen auf der einen und der Polizei und zivil gekleideten Sicherheitskräften auf der anderen Seite.

Zuvor hatten sich mehr als 1000 um ihr Geld geprellte Sparer am Sonntag vor einer Filiale der chinesischen Zentralbank, der „People's Bank of China“, in Zhengzhou zu einer Demonstration versammelt. Zu einer der größten Demonstrationen in China seit Ausbruch der Corona-Pandemie, wie es in westlichen Medienberichten heißt. Videoaufnahmen der Demonstration kursierten danach tagelang in den sozialen Medien. „Henan-Banken, gebt mir meine Ersparnisse zurück“, skandieren die Demonstranten darin einhellig. Auf einem Transparent in englischer Sprache ist zu lesen: „Gegen die Korruption und Gewalt der Regierung von Henan.“ Laut dem US-Nachrichtennetzwerk „CNN“ handelt es sich dabei um eine Loyalitätsbekundung.

Farbe des QR-Codes entscheidet in China über Teilnahme an öffentlichem Leben

Die Demonstranten hätten verdeutlichen wollen, dass sie nur gegen die lokalen Machthaber protestierten, nicht jedoch gegen die chinesische Regierung im Allgemeinen. Deshalb, um staatlichen Repressionen vorzubeugen, hätten die Demonstranten so auch chinesische Flaggen gehisst und ein Bild des chinesischen Kommunistenführers Mao Zedong aufgehangen. Dennoch gingen Polizisten und Sicherheitskräfte hart gegen die Demonstranten vor, in deren Reihen sich laut auch ältere Menschen und Kinder befunden haben sollen. Die protestierenden Sparer, die sich zum Teil schon vor Sonnenaufgang versammelt hatten, um nicht von Behörden abgefangen zu werden, verschafften ihrer Wut wiederum mit Flaschenwürfen in Richtung der Polizisten und Sicherheitskräfte Luft.

Der jüngsten Eskalation der Proteste vorausgegangen waren wiederholte Meldungen über staatlichen Missbrauch des digitalen Covid-Zertifikat-Systems Chinas. Bei einer Demonstration im Juni sollen laut „CNN“ vorliegenden Informationen grüne Covid-QR-Codes betroffener Sparer, die sich zu einer Demonstration in Zhengzhou verabredet hatten, bei Ankunft rot geworden sein. Danach seien die Demonstranten vorübergehend in Quarantäne-Lager gebracht worden. Die Farbe des QR-Codes entscheidet dabei über den Zugang zu öffentlichen Räumen und Verkehrsmitteln, und kann – wenn der QR-Code rot wird – zu wochenlanger Quarantäne verpflichten. Von dem plötzlich rot gewordenen QR-Code sollen nur die Sparer betroffen gewesen sein, was Vergleiche mit Familienmitgliedern bestätigt hätten.

Chinesische Behörden beschuldigen Bande der Finanzkriminalität

Neben Demonstranten wurden so auch betroffene chinesische Bürger, die lediglich nach Zhengzhou fahren wollten, um in der Provinzhauptstadt ihr Geld zurückzufordern, zurückgehalten. Eingangs kanzelten die zuständigen chinesischen Behörden Rückfragen der Betroffenen noch unter dem Verweis auf vorliegende Datenbankfehler ab. Am 22. Juni wurden dann infolge einer staatlichen Untersuchung aber doch noch fünf Beamte aus Zhengzhou für gezielten Missbrauch des Zertifikat-Systems bestraft, wie die staatsnahe chinesische Zeitung „Global Times“ berichtete. Im Zuge eines weiteren solchen Vorfalls, der jedoch auf einen internen Systemwechsel zurückzuführen sein solle, sei nach Angaben der Zeitung das „lokale Management“ des QR-Code-Systems in die öffentliche Diskussion geraten. Sprich: Selbst sonst regierungstreue Chinesen dürften ein Stück weit vom Glauben abgefallen sein.

Zuletzt hieß es in einem Bericht der „Global Times“ schließlich, dass einige der betroffenen Sparer – jene mit niedrigerem Guthaben – ab dem 15. Juli ihr Geld in Form eines Vorschusses zurückerhalten sollen. Höhere Guthaben sollen „kurze Zeit später“ erstattet werden. Für die Vorfälle verantwortlich gemacht werden Finanzkriminelle. Die „Henan New Wealth Group“ habe sich nach Angaben der „Global Times“ so Zugang zu den Online-Systemen vierer Banken verschafft und diese manipuliert. Im Zusammenhang mit der „Henan New Wealth Group“ soll es demnach schon zu einer Reihe von Verhaftungen Verdächtiger gekommen sein. Etwaige Vermögenswerte der Verdächtigen seien eingefroren worden. Bereits seit 2011 soll die kriminelle Bande unter der Ägide eines chinesischstämmigen Zyprers die Kontrolle über örtliche Banken übernommen und diese für illegale Aktivitäten und schwere Straftaten genutzt haben, wie die chinesische Polizei berichtet.

Digitale Covid-Zertifikate: Diskurs wird latenter Missbrauchsgefahr nicht gerecht

In welcher Verbindung die mutmaßlichen Finanzkriminellen von der „Henan New Wealth Group“ zu den eingefrorenen Sparerguthaben stehen, kam in den Berichten chinesischer Medien zur Causa bislang noch kaum zur Sprache. Experten vermuten jedoch einen Zusammenhang mit der chinesischen Immobilienblase: Ländliche Banken wie jene vier Banken in Henan hätten vielfach als Kreditgeber für Bauunternehmen fungiert, die im Zuge der Immobilienkrise nun jedoch finanziell unter Druck geraten seien. Trotz der scheinbaren Verantwortlichkeit lokaler Finanzkriminalität sollten die Vorfälle in der Provinz Henan dem Ausland jedoch zur Warnung gereichen – mindestens in zweierlei Hinsicht.

Einerseits warnen Finanzexperten vor den Folgen der Bankenkrise von Henan auf die Weltwirtschaft. Die hatte bereits empfindlich auf die radikale chinesische Lockdown-Politik reagiert. Andererseits verdeutlichen die Vorfälle rund um die plötzlich ungültig gewordenen Corona-QR-Codes chinesischer Bürger wie anfällig digitale Systeme zur individuellen Gesundheitszertifizierung für politischen Machtmissbrauch sind. Neben dem in China ohnehin allgegenwärtigen Überwachungsstaat stellen letztere ein Instrument der staatlichen Kontrolle und Disziplinierung dar, das als politisches Mittel zum Gesundheitsschutz stets in Gefahr läuft auf umso perfidere Weise missbraucht zu werden. Dieser latenten Missbrauchsgefahr wird der in Deutschland nur unzureichend von kritisch-ethischem Diskurs begleitete politische Umgang mit digitalen Gesundheits-Zertifikaten wie den Covid-Zertifikaten der EU nicht gerecht.


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