Die erste Hälfte des Jahres 2022 verlief traumatisch. Auf den Aktienmärkten hat man eines der schlimmsten Halbjahre überhaupt hinter sich. Staatsanleihen erleben einen seltenen, aber deutlichen Rückgang. Und in der Welt der Kryptowährungen tritt nun das von vielen lange Zeit prognostizierte böse Erwachen ein.
Doch inmitten aller Turbulenzen auf dem Finanzmarkt zeigt die Kurve des US-Dollars steil nach oben. Er ist so stark wie seit 20 Jahren nicht und hat gegenüber zahlreichen anderen Währungen, darunter auch dem Euro, an Wert zugelegt. Aus Sicht der Standard-Währungsbewertung hat der Dollar einen Punkt erreicht, an dem viele Anleger einen Verkauf ihrer Dollar-Bestände ernsthaft in Erwägung ziehen könnten. Gegenüber den meisten größeren Währungen wie dem Euro und dem Yen ist der Dollar wahrscheinlich um rund 20 Prozent überbewertet und das kommt schlicht und einfach nicht so oft vor.
Ich möchte jedoch eilig hinzufügen, dass Währungen ihren Kurs in der Regel nicht aus Bewertungsgründen ändern. Vielmehr sind normalerweise politische Maßnahmen erforderlich, um einen Kursrückgang einzuleiten.
Man denke an das Plaza-Abkommen aus dem Jahr 1985, im Rahmen dessen Frankreich, Westdeutschland, Japan, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten eine Intervention auf den Devisenmärkten vereinbarten, um den Dollar gegenüber Franken, D-Mark, Yen und Pfund zu schwächen. Oder man denke an die öffentliche Abkehr von der Politik des starken Dollars im Jahr 1998 durch den damaligen US-Finanzminister Robert Rubin und an die Entscheidung der US-Währungsbehörden in den frühen 2000er Jahren, eine drastische Abwertung des Dollars zu tolerieren. In allen diesen Fällen griff die Politik ein, um einen Rückgang des Dollarkurses herbeizuführen oder zu unterstützen.
Die derzeitige Stärke des Dollars mag angesichts der Zerrissenheit der US-Politik und einiger Strukturprobleme der US-Wirtschaft bemerkenswert erscheinen. Von endlos wiederkehrenden Zahlungsbilanz- und Leistungsbilanzdefiziten über eine aggressive Gangart gegenüber Inhabern umfangreicher Devisenreserven bis hin zu Kulturkriegen in den Bereichen Waffen und Abtreibung bestehen derzeit es mehr als genug Aspekte, die die amerikanische Gesellschaft nicht zur Ruhe kommen lassen.
Doch nun, da die US-Notenbank Federal Reserve ihre Geldpolitik strafft, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen, scheinen die Anleger den Dollar erneut als sicheren Hafen zu bevorzugen. Theoretisch sollte eine höhere Inflation in einem Land die Kaufkraft seiner Währung schwächen. Doch unter den Bedingungen von heute (wie auch in zahlreichen anderen Phasen, die ich in meiner Zeit als Währungsanalyst erlebte) haben die Märkte die Wahl, darauf zu setzen, dass die Fed die Inflation in den Griff bekommt, oder in einer unsicheren Welt anderswo zu investieren. Für die meisten ist die Entscheidung klar.
Darüber hinaus könnte der Dollar trotz seiner derzeitigen Überbewertung noch weiter zulegen, wenn kein nennenswerter Gegenwind auftaucht. Worum könnte es sich dabei handeln? Erstens, und am offensichtlichsten, könnte die Fed zu der Erkenntnis gelangen, sich geirrt zu haben, und plötzlich damit beginnen, ihren geldpolitischen Kurs wieder zu lockern. Ein derartiger Schritt mag unwahrscheinlich erscheinen, doch ist zu beachten, dass der US-Anleihemarkt einen dramatische Wende erlebt und man am US-Geldmarkt mittlerweile beginnt, die Zinssenkungen der Fed (von einem höheren Niveau als heute) über dieses Jahr hinaus einzupreisen. Wie ein sehr erfolgreicher Makrofondsmanager einmal zu mir sagte: wenn man sich bei der Fed auf eines verlassen kann, dann darauf, dass sie ihre Meinung irgendwann ändern wird.
Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dass andere große Zentralbanken mit eigenen geldpolitischen Straffungen die Fed überholen, wie es in früheren Phasen der Dollar-Wertverluste der Fall war. Angesichts der Lage in den meisten anderen Volkswirtschaften erscheint dieses Szenario jedoch unwahrscheinlich.
Damit bleiben zwei weitere Möglichkeiten. Ein Grund, warum die Dominanz des Dollars trotz der Vorgänge in den USA und in der Welt fortbesteht, ist das Fehlen nennenswerter strategischer Alternativen. So leidet beispielsweise der Euro unter ständig wiederkehrenden Problemen, die sich aus der Struktur seiner Mitgliedschaft ergeben - von den fehlenden, die gesamte Währungsunion abdeckenden Euro-Anleihen ganz zu schweigen.
In manchen Kommentaren ist man der Meinung, der chinesische Renminbi wäre eine plausible Alternative. Solange jedoch China nicht zu einer umfassenderen Verwendung seiner Währung ermuntert und deren liquiden und freien Einsatz gestattet, kann der Renminbi keine größere Bedrohung der Dollar-Hegemonie darstellen. Zwar haben die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) auf ihrer diesjährigen Jahreskonferenz erörtert, wie sie einen umfassenderen Einsatz ihrer Währungen fördern könnten, aber derartiges haben wir zuvor schon vernommen und es besteht wenig Grund zur Annahme, dass diese hochfliegenden Ambitionen in nächster Zeit verwirklicht werden.
In der Vergangenheit hat sich der Dollar in der Regel abgeschwächt, wenn der amtierende US-Finanzminister einen zu hohen Kurs der Währung feststellte und die Möglichkeit einer US-Intervention auf dem Markt zur Schwächung des Dollars ins Spiel brachte. Ich hege keine Zweifel, dass dies unter Janet Yellen wieder geschehen könnte - allerdings ist es für einen solchen Schritt möglicherweise noch etwas früh, solange es keine weiteren Anzeichen für sinkende Inflationserwartungen gibt.
Jedenfalls vermute ich, dass diejenigen, die sich heute zum Verkauf ihrer Dollar-Bestände entschließen, in ein paar Jahren mit dieser Entscheidung zufrieden sein werden. Ich würde ihnen allerdings davon abraten, in den Tagen nach der erfolgten Transaktion die Kursentwicklung des Dollars im Minutentakt zu verfolgen. Derartiges würde nur Angst und Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung entstehen lassen.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
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