Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) sieht nach einem Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Krieg Chancen für eine Lösung am Verhandlungstisch. An einer eigenen Rolle als Vermittler äußerte der 78-Jährige nach Angaben des Kremls vom Mittwoch kein Interesse. Trotz anhaltender Kritik lehnte es Schröder weiterhin ab, sich von Putin zu distanzieren. Der jetzige SPD-Kanzler Olaf Scholz warf Russland vor, die Ausfuhr von Gas nach Europa aus politischen Gründen zu drosseln. In Deutschland ist die Sorge groß, dass es infolge des jetzt schon mehr als fünf Monate dauernden Kriegs im Winter zu einer Energiekrise kommt.
Schröder war bereits vergangene Woche abermals zu Besuch bei Putin, was bislang aber nicht bekannt war. In einem Interview mit dem Magazin «Stern» sowie den Sendern RTL und ntv bezeichnete er das jüngst erzielte Abkommen der Kriegsparteien zu Getreide-Exporten aus der Ukraine als «ersten Erfolg», den man vielleicht «langsam zu einem Waffenstillstand ausbauen» könne. «Die gute Nachricht heißt: Der Kreml will eine Verhandlungslösung.» Am Mittwoch konnte das erste Schiff mit 26 000 Tonnen Mais aus der Ukraine die Meerenge Bosporus passieren. Weitere 17 Schiffe warten in der Ukraine auf eine Erlaubnis.
Der Kreml bestätigte ein «persönliches Treffen» zwischen Schröder und Putin. Auf die Frage, ob der SPD-Politiker als Vermittler im Gespräch sei, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow: «Schröder hat keinerlei Wunsch geäußert, Vermittler zu werden.» Russland sei durchaus bereit zu einer diplomatischen Beilegung des «Problems» - allerdings nur zu russischen Bedingungen. Schröder selbst rechtfertigte sich mit den Worten: «Ich habe mehrfach den Krieg verurteilt, das wissen Sie. Aber würde eine persönliche Distanzierung von Wladimir Putin wirklich irgendjemandem etwas bringen?»
Der Altkanzler steht seit langem wegen seiner Nähe zum Kremlchef in der Kritik. Schröder begann bereits kurz nach dem Abschied aus dem Kanzleramt 2005 mit seiner Arbeit für russische Energiekonzerne. In den kommenden Tagen will die Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Region Hannover über einen möglichen Parteiausschluss entscheiden. Die rechtlichen Hürden dafür sind sehr hoch.
Schröders SPD-Nachfolger Scholz besichtigte am Mittwoch bei einem Besuch des Energietechnik-Konzerns Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr die Turbine für die Gas-Pipeline Nord Stream 1. Die Turbine sei jederzeit einsetzbar und könne geliefert werden, sagte Scholz. Die Maschine wird nach Reparaturarbeiten in Kanada derzeit zwischengelagert. Scholz sagte: «Die Turbine ist da. Sie kann geliefert werden. Es muss nur jemand sagen: "Ich möcht' sie haben." Dann ist sie ganz schnell da.» Die Reduzierung der Gaslieferungen über Nord Stream 1 habe keinerlei technische Gründe.
Seit Juni hat Russland die Gaslieferungen über Nord Stream 1 zurückgefahren. Derzeit ist die Menge auf 20 Prozent der Kapazität gedrosselt. Der Energiekonzern Gazprom begründete dies mit der fehlenden Turbine. Der Kreml warf Siemens Energy abermals vor, nicht die nötigen Dokumente und Informationen zur Reparatur der Maschine übermittelt zu haben. Dort wies man die Vorwürfe zurück. Schröder plädierte in dem Interview dafür, die auf Eis gelegte Ostseepipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen.
Unterdessen passierte der Getreidefrachter «Razoni» nach der Fahrt durchs Schwarze Meer die durch Istanbul verlaufende Meerenge Bosporus. Damit hat das erste Schiff, das auf Grundlage des ausgehandelten Abkommens den ukrainischen Hafen Odessa verlassen konnte, die gefährlichste Etappe nun hinter sich. Nach einer Inspektion durch beide Kriegsparteien, an der auch Experten der Türkei und der Vereinten Nationen beteiligt waren, ging es weiter in den Libanon. Mit der Inspektion sollte auch sichergestellt werden, dass keine Waffen an Bord waren.
Die Kriegsgegner Ukraine und Russland hatten Ende Juli unter Vermittlung der Vereinten Nationen jeweils getrennt mit der Türkei ein Abkommen in Istanbul unterzeichnet, um von drei Häfen Getreideausfuhren aus der Ukraine zu ermöglichen. Die Ukraine zählte vor dem russischen Angriffskrieg zu den wichtigsten Getreide-Exporteuren der Welt. Mit den Lieferungen sollen Millionen Tonnen Getreide wieder für den Weltmarkt verfügbar werden. Die Nahrungsmittel werden vor allem in Asien, Afrika und Nahost dringend benötigt. Für Kiew geht es zudem um Einnahmen in Milliardenhöhe. (dpa)