Finanzen

Anleger in Panik? Rekord-Abflüsse aus Investmentfonds

Lesezeit: 3 min
04.08.2022 09:43
Europäische Investmentfonds verzeichnen die höchsten Abflüsse seit dem Corona-Crash. Das fragile wirtschaftliche Umfeld und der negative Kurstrend an der Börse hat zahlreiche Privatanleger zur Resignation verleitet.
Anleger in Panik? Rekord-Abflüsse aus Investmentfonds
Der Bärenmarkt ist immer noch intakt – und lässt Privatanleger verzweifeln. (Foto: dpa)
Foto: Frank Rumpenhorst

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Kapitalabflüsse machen europäischen Fondsgesellschaften schwer zu schaffen. Anleger haben im Juni unter dem Strich 47,7 Milliarden Euro aus Investmentfonds abgezogen. Das ist der höchste Mittelabfluss seit März 2020, als die Börsen zu Beginn der Corona-Krise stark abgestürzt waren, berichtet das Analysehaus Morningstar. Die generell schlechte Stimmungslage unter Anlegern hat sich demnach in einem verstärkten Verkauf von Fondsanteilen niedergeschlagen.

"Der Inflationsschub, Spannungen in der Lieferkette, wachsende Rezessionsängste und die große Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine trüben die Anlegerstimmung", schreibt Morningstar-Experte Valerio Baselli. "Keine der großen Anlageklassen blieb im vergangenen Monat von Abflüssen verschont."

Anleihe-Fonds nicht mehr gefragt

Ein großer Teil der Gelder (28,4 Milliarden Euro) wurde aus Anleihe-Fonds abgezogen. Laut Morningstar ist das für europäische Rentenfonds der fünfte negative Monat in Folge. Seit Jahresanfang verkauften Anleger Rentenfonds-Anteile im Wert von 84 Milliarden Euro – ein Rekordwert für eine Zeitspanne von nur sechs Monaten. Aktienfonds konnten sich noch vergleichsweise gut halten. Hier war nur ein Abfluss von 12,1 Milliarden Euro zu verzeichnen. Weil Anfang des Jahres, bevor die Märkte auf breiter Front einbrachen, noch viel Geld in europäische Aktienfonds gesteckt wurde, steht hier seit Jahresbeginn immer noch ein Plus von rund 20 Milliarden. „Grüne“ Fonds, die bestimmte Aktien aufgrund von ESG-Kriterien ausschließen, konnten sogar im Juni noch netto 686 Millionen Euro einsammeln.

Die Kurse von Anleihen und Aktien leiden unter dem aktuellen Umfeld (hohe Inflation, steigende Zinsen), welche die laufenden Zahlungen und zukünftigen Unternehmenserträge entwertet. Bei Aktien spielt beim Kursverfall zusätzlich die aktuelle Energiekrise und eine mehr als berechtigte Rezessionsangst eine wichtige Rolle.

Die Stimmung ist auch unter professionellen Anlegern und Unternehmens-Entscheidern tief im Keller. Zuletzt gab es dennoch eine kleine Aufwärtsbewegung – in der Finanzszene spricht man von einer „Bärenmarkt-Rally“, ein kurzfristiger Aufschwung in einem negativen Gesamttrend. Es spricht aber einiges dafür, dass die Kurs tatsächlich noch einmal deutlich fallen könnten. Die Inflationsdaten für den Herbst könnten für eine böse Überraschung sorgen, sollte sich die Inflation als äußerst hartnäckig und nachhaltig entpuppen. Der krachende Wirtschaftsabschwung in den USA und Europa sowie die Folgeeffekte daraus scheinen in den Kursen ebenfalls nur zaghaft abgebildet zu sein.

Es ist gefährlich, dem Kurstrend hinterherzulaufen

Die Gründe für den Verkauf von Fondsanteilen kann im Einzelfall sehr individuell sein, aber im Allgemeinen liegt es am negativen Trend der Kurse. Privatanleger neigen dazu, prozyklisch zu investieren – also in steigende Märkte viel Geld zu stecken und dann im Bärenmarkt (häufig etwas zu spät) auszusteigen. Mit dieser Strategie kann man in bestimmten Marktphasen solide Renditen erzielen, aber man läuft auf lange Sicht Gefahr, „zu teuer“ zu kaufen und dann „zu billig“ wieder zu verkaufen. Dem Trend hinterherzulaufen, ist immer gefährlich. Am Kapitalmarkt muss man den Mut haben gegen den Strom zu schwimmen, sollte aber zugleich die gegenwärtige Marktphase akkurat einschätzen. Das Einstiegs-Timing ist nicht unwichtig und krampfhaft an der eigenen Meinung festzuhalten, ist ein sicherer Weg zum Verlust.

Es wäre aber falsch, die Klasse von Kleinanlegern und ihre Marktpsychologie pauschal als gescheitert zu bezeichnen. Nach dem Covid-Crash sind Privatanleger im Frühsommer 2020 mit großen Summen in die Märkte eingestiegen – ein Zeichen dafür, dass nicht nur Profis antizyklisch investieren können. Dieser Mut wurde auch mit zwischenzeitlich massiven Kursgewinnen belohnt. Die Aktienmärkte erholten sich rasant schnell und eine hohe Gewichtung in den damals besonders gut laufenden Tech- und Hype-Aktien bescherte tolle Gewinne. Zumindest auf dem Papier. Wer die Bullenmarkt-Gewinne nicht mitgenommen hat, der steht jetzt ungefähr wieder da, wo er angefangen hat. Bei Einzeltiteln betrugen die Verluste bis zu 30 Prozent an einem Tag (zum Beispiel Netflix) und über 70 Prozent insgesamt (Oatly, Shopify). Vor einigen Monaten hatte das Handelsblatt – wiederum unter Berufung auf Berechnungen von Morningstar – berichtet, dass europäische Fonds-Investoren im ersten Quartal 2022 603 Milliarden Euro an Buchverlusten angehäuft hatten.

Wie die Masse der Kleinanleger psychologisch damit umgeht, ist für die zukünftige Entwicklung der Märkte von entscheidender Bedeutung. Ein weiterer wichtiger Faktor sind die passiven ETF-Anleger. Wer auf einen breiten Index wie den S&P 500 oder den MSCI World gesetzt hat, musste seit den Höchstständen Verluste von grob 20 Prozent hinnehmen – schmerzlich, aber deutlich weniger als einzelne Tech-Aktien oder der NASDAQ-Index an Wert verloren haben. Auch bei ETFs europäischer Anbieter gab es zuletzt erstmals seit 2020 Mittelabflüsse (118 Millionen Euro). Rückschläge zu verkraften und eben nicht zu verkaufen, ist integraler Bestandteil einer passiven Anlagestrategie. Werden die Kleinanleger die Nerven behalten?

Fondsgeschäft der Sparkassen boomt trotz schlechtem Umfeld

Laut der Deka-Sparte der Sparkassen verfallen deutsche Anleger (noch) nicht in Panik. Die Sparkassen haben im ersten Halbjahr so viele Fonds und andere Wertpapiere verkauft wie noch nie zuvor. Netto waren es 16 Milliarden Euro (Investmentfonds machten hier 9,4 Milliarden aus), ein Plus von 23 Prozent oder drei Milliarden Euro zum Vorjahreswert, wie der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) jüngst mitteilte.

Der negative Branchentrend zeigt sich bisher nicht in den Depots der Sparkassen-Kunden. Zugleich ging laut DSGV das gesamte Volumen von Wertpapiertransaktionen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13,5 Prozent zurück. "Das zeigt, dass die Sparkassenkundinnen und Sparkassenkunden auf die starken Ausschläge an den Kapitalmärkten sehr besonnen reagiert haben", heißt es in einer Pressemitteilung des Verbands.


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