Deutschland

Ökostrom: BDI fordert Merkel zum Kampf gegen Brüssel auf

Vertreter aus verschiedenen Industriezweigen fürchten die Folgen des EU-Beihilfeverfahrens. Die EU ermittelt gegen Deutschland wegen Wettbewerbsverzerrung. Im schlimmsten Fall drohen den Unternehmen Rückzahlungen in Milliardenhöhe.
17.12.2013 03:18
Lesezeit: 2 min

Die neue Bundesregierung steht in dieser Woche gleich vor ihrer ersten Bewährungsprobe. Das drohende Beihilfeverfahren der EU wegen des deutschen Systems zur Ökostrom-Förderung verärgert die Industrie. Sie fürchtet höhere Energiekosten und Nachzahlungen staatlicher Abgaben in Milliardenhöhe.

„Die Bundesregierung muss sich jetzt dafür einsetzen, die schädlichen Auswirkungen des bevorstehenden Verfahrens abzuwenden“, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, am Montag.

Ähnlich äußerte sich der Verband der Chemischen Industrie (VCI). Die Ökostrombranche fürchtet ebenfalls Nachteile, sollten Investoren in Wind- und Solaranlagen durch das Verfahren verunsichert werden. Das gefährde die gesamte Energiewende.

Das EU-Beihilfeverfahren könnte am Mittwoch offiziell eröffnet werden. Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia kritisiert das im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verankerte System der deutschen Ökostromförderung schon länger. Der Spanier hat vor allem die deutlich ausgeweiteten Ausnahmen für Unternehmen im Visier: Energieintensive Industrien sind von der Zahlung der Umlage zur Förderung der Ökostrom-Produktion befreit. Die EU sieht darin eine Wettbewerbsverzerrung.

Vor wenigen Wochen waren der bisherige Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nach Brüssel gereist, um Almunia zu besänftigen. Ein Branchenvertreter äußerte sich überrascht, dass die Regierung offenbar nicht mehr erreicht habe. Womöglich komme ihr das Verfahren gelegen, da sie nun mit Verweis auf die EU ohnehin notwendige Reformen einfacher durchsetzen könne. Die neue Koalition aus Union und SPD will das Rabattsystem überprüfen und das gesamte Fördersystem schrittweise ändern.

Betroffene Branchen, in denen Hunderttausende Mitarbeiter beschäftigt sind, fordern die Regierung auf, in Brüssel mehr Druck zu machen.

„Es kommt jetzt darauf an, Wettbewerbsnachteile von den energieintensiven Unternehmen abzuwenden, die durch die Einleitung des mindestens ein Jahr dauernden Prüfverfahrens entstehen könnten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des VCI, Utz Tillmann. „Hier muss die Bundesregierung einen Konsens mit der Kommission erzielen, der Rechtssicherheit schafft und gleichzeitig unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit erhält.“ Der Verband vertritt die Interessen von rund 1650 Unternehmen, darunter Branchengrößen wie BASF und Bayer.

Von einem Wegfall der Entlastungen wäre auch die Schwer-Industrie mit Stahlunternehmen wie ThyssenKrupp und Salzgitter oder die Papier- und Aluminiumindustrie betroffen. Die größte europäische Kupferhütte Aurubis droht damit, wegen des Beihilfeverfahrens in Deutschland weniger zu investieren. Aurubis-Chef Peter Willbrandt sagte, das Verfahren vergrößere die Unsicherheit.

„Was nicht geht, ist, dass die EU-Kommission energieintensive Unternehmen durch die Androhung von Rückzahlungen und die eventuelle Notwendigkeit von Rückstellungen in die Knie zwingt“, so der Präsident des Deutschen Industrie- Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer. Die Chemie-Industrie rechnet damit, dass die Befreiungen für 2013 und 2014 zur Diskussion stehen könnten. Pro Jahr summieren sich die Rabatte für die gesamte deutsche Wirtschaft auf etwa fünf Milliarden Euro.

Die Solarbranche warnt davor, geplante Investitionen zu gefährden. „Im Jahr 2002 hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass das EEG keine Beihilfe ist. Es gibt keinen Grund, dass sich daran etwas geändert hat“, sagte der Präsident des europäischen Interessenverbandes EU ProSun, Milan Nitzschke. „Das ist die erste große Aufgabe des neuen Umweltministers und der Bundesregierung, die Energiewende nicht durch formale Verfahren in Brüssel zu gefährden.“

Almunia stört sich insbesondere an der EEG-Reform von 2012. Dabei wurden die Ausnahmeregeln nochmal erweitert. Besorgt äußerte sich auch der Verband der europäischen Erneuerbare-Energie-Unternehmen (EREF). „Mit der Eröffnung eines Beihilfeverfahrens könnte die deutsche Energiewende mit sofortige Wirkung zum Stillstand kommen“, schrieb EREF-Präsident Rainer Hinrichs-Rahlwes der Kommission.

Die als Rückgrat der deutschen Wirtschaft geltenden Maschinenbauer bangen um ihre Lieferanten und Kunden, die - anders als sie selbst - zu den energieintensiven Unternehmen gehören. „Es ist ein schwerer Fehler, das Verfahren jetzt zu beginnen“, sagte der energiepolitische Sprecher des Maschinenbauverbandes VDMA, Thorsten Herdan, der Nachrichtenagentur Reuters. Die Koalition habe zugesagt, sich das Regelwerk bis Ostern anzuschauen. Es bestehe die Gefahr, dass geplante Ökostromprojekte wegen der Unsicherheit über die Rahmenbedingungen auf die lange Bank geschoben würden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundesbank: Deutsche Exportwirtschaft verliert deutlich an globaler Stärke
14.07.2025

Die deutsche Exportwirtschaft steht laut einer aktuellen Analyse der Bundesbank zunehmend unter Druck. Branchen wie Maschinenbau, Chemie...

DWN
Immobilien
Immobilien Gebäudeenergiegesetz: Milliardenprojekt für 1,4 Billionen Euro – hohe Belastung, unklare Wirkung, politisches Chaos
14.07.2025

Die kommende Gebäudesanierung in Deutschland kostet laut Studie rund 1,4 Billionen Euro. Ziel ist eine Reduktion der CO₂-Emissionen im...

DWN
Politik
Politik EU plant 18. Sanktionspaket gegen Russland: Ölpreisobergrenze im Visier
14.07.2025

Die EU verschärft den Druck auf Moskau – mit einer neuen Preisgrenze für russisches Öl. Doch wirkt die Maßnahme überhaupt? Und was...

DWN
Technologie
Technologie Datenschutzstreit um DeepSeek: Deutschland will China-KI aus App-Stores verbannen
14.07.2025

Die chinesische KI-App DeepSeek steht in Deutschland unter Druck. Wegen schwerwiegender Datenschutzbedenken fordert die...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 unter Druck – Sommerkrise nicht ausgeschlossen
14.07.2025

Donald Trump droht mit neuen Zöllen, Analysten warnen vor einer Sommerkrise – und die Prognosen für den S&P 500 könnten nicht...

DWN
Politik
Politik Wenn der Staat lahmt: Warum die Demokratie leidet
14.07.2025

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt eindringlich vor den Folgen staatlicher Handlungsunfähigkeit. Ob kaputte Brücken,...

DWN
Politik
Politik Fluchtgrund Gewalt: Neue Angriffe in Syrien verstärken Ruf nach Schutz
14.07.2025

Trotz Versprechen auf nationale Einheit eskaliert in Syrien erneut die Gewalt. Im Süden des Landes kommt es zu schweren Zusammenstößen...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersarmut nach 45 Beitragsjahren: Jeder Vierte bekommt weniger als 1300 Euro Rente
14.07.2025

Auch wer sein Leben lang gearbeitet hat, kann oft nicht von seiner Rente leben. Dabei gibt es enorme regionale Unterschiede und ein starkes...