In weniger als drei Monaten wird ein EU-weites Embargo für russische Öl-Importe in Kraft treten, das fast alle Öl-Lieferungen aus Russland nach Europa untersagt. Aber noch importiert Europa täglich mehr als 1 Million Barrel russisches Rohöl - und das schon seit einem Monat, wie Bloomberg berichtet. Offensichtlich deckt man sich in Europa mit dem Rohstoff ein, bevor das Importverbot am 5. Dezember in Kraft tritt.
Die EU wird ihre Käufe allerdings schon mindestens einen Monat vorher verlangsamen, um die Einhaltung des Verbots sicherzustellen. Die Zukunft des russischen Öls ist für den Weltmarkt von zentraler Bedeutung. Wenn russische Exporte durch das Verbot verhindert werden, so würde dies die weltweite Versorgung beeinträchtigen. Wenn das russische Öl lediglich woanders hinfließt, so würde dies zu einer teuren Umstrukturierung der weltweiten Frachtströme führen.
Europa importiert trotz des anhaltenden Ukraine-Kriegs weiterhin kräftig russisches Öl. Die Öl-Importe aus Russland in die Europäische Union haben sich seit Anfang August auf etwa 1 Million Barrel pro Tag erholt. Das ist ein Anstieg gegenüber Ende Juli, wenn auch ein deutlicher Rückgang gegenüber den Höchstständen vom April und Juni. Dies entspricht einem großen Teil des Gesamtangebots des Blocks.
Europa importiert weiter massiv Öl aus Russland
Zwar haben die Staaten Europas ihre Öl-Importe aus Russland seit Kriegsbeginn bereits deutlich reduziert. Doch diese Drosselung der europäischen Ölimporte aus Russland wurde durch die verstärkten russischen Lieferungen an Indien und China ausgeglichen. Unter dem Strich haben die Öl-Sanktionen der EU daher auch keinen Schaden für Russland verursacht. Vielmehr machen Russlands Ölkonzerne wegen der gestiegenen Ölpreise mehr Profit als im Vorjahr.
Die Gesamtexporte von russischem Rohöl auf dem Seeweg lagen in der Woche bis zum 2. September auf 3,32 Millionen Barrel pro Tag. In der Woche zuvor waren es nur 2,95 Millionen Barrel pro Tag gewesen. Das bedeutet, dass die EU etwa ein Drittel des russischen Öls auf dem Seeweg kauft. Seit der Verabschiedung des Embargos im Juni hat sich im Hinblick auf Europas Öl-Importe also fast nichts geändert.
Zuletzt sind die Öl-Preise aufgrund neuer Lockdowns in China und der Erwartung von Zinserhöhungen durch die Zentralbanken gesunken. Aber sobald das Embargo in Kraft tritt, werden die Preise wahrscheinlich wieder steigen. Und genau dann wird es für Europa wegen der Umstellung auf das Embargo am schmerzhaftesten sein. Und diese Aussichten sind offenbar auch der Grund dafür, dass Europa derzeit massiv Öl hamstert.
Europa deckt sich nicht nur mit Öl ein
Nicht nur Öl, sondern alle fossilen Brennstoffe werden auf dem Kontinent derzeit so stark und dringend nachgefragt wie seit Jahren nicht mehr. Die Europäische Union hat zwar immer wieder betont, dass die Pläne zur Emissionsreduzierung nach wie vor in Kraft sind. Doch es sieht zunehmend so aus, als ob die grünen Pläne zugunsten der Energiesicherheit in den Hintergrund treten könnten.
Die Ölexporte aus Russland nach Nordeuropa stiegen den Bloomberg-Berechnungen zufolge in der ersten Woche dieses Monats besonders deutlich an, was den indischen Erdölminister Hardeep Singh Puri auf den Plan rief, der diese Woche gegenüber CNBC sagte: "Ich habe gesagt, dass die Europäer an einem Nachmittag mehr kaufen als ich in einem Quartal. Es würde mich überraschen, wenn das nicht immer noch der Fall ist".
Puri reagierte damit auf eine Frage zu der Kritik, die an Indien geübt wurde, weil es trotz der westlichen Sanktionen und der Verurteilung des Einmarsches in der Ukraine weiterhin Rohöl aus Russland bezieht. Tatsächlich sind Indiens Importe von russischem Öl von 0,66 Millionen Tonnen im ersten Quartal auf 8,42 Millionen Tonnen im zweiten Quartal anstiegen.
Der indische Spitzenbeamte für Ölfragen ging sogar noch einen Schritt weiter. Auf die Frage, ob er moralische Bedenken habe, Öl aus Russland zu importieren, antwortete er: "Nein, es gibt keinen Konflikt. Ich habe eine moralische Verpflichtung gegenüber meinen Verbrauchern. Möchte ich als demokratisch gewählte Regierung eine Situation, in der die Zapfsäulen leer sind?" In der EU sehen die Politiker dies tatsächlich anders als in Indien.
EU manövriert sich in schwierige Position
Anfang des Monats berichtete die FT, dass die EU-Kommission ein Dokument verfasst hat, das weitreichende Befugnisse über europäische Unternehmen vorsieht. Dies beinhalten die Befugnis, "Unternehmen zu verpflichten, Vorräte zu horten und Lieferverträge zu brechen, um die Lieferketten im Falle einer Krise wie der Coronavirus-Pandemie zu stützen". Die Entscheidung darüber, was eine Krise ist, läge diesem Entwurf zufolge bei der EU-Kommission.
Zurzeit denkt Brüssel über direkte Eingriffe in die Energiemärkte nach, da eine Flut von Nachschussforderungen auf die bereits angeschlagene Energiebranche zurollt. Bloomberg berichtete Anfang des Monats, dass die Aussetzung des Handels mit Stromderivaten zu den Optionen gehört, ebenso wie eine Begrenzung des Gaspreises für die Stromerzeugung.
Der Strommarkt hat viel mehr mit dem Gaspreis zu tun als mit dem Ölpreis. Doch einige europäische Energieversorger sind bei der Stromerzeugung von Gas auf Öl umgestiegen sind, als die Gaspreise Anfang des Jahres in die Höhe schnellten. Die Preise haben sich noch nicht wieder normalisiert, sodass Öl nach wie vor eine Alternative für die Stromerzeugung darstellt - bis in knapp drei Monaten das Öl-Embargo greift.
Sicherlich gibt es Alternativen zum russischen Öl. Die Produzenten im Nahen Osten wären durchaus bereit, ihr Öl an Europa zu verkaufen. Das Gleiche gilt für Nigeria und Angola. Allerdings würden die OPEC-Staaten dabei den Preis bestimmen, weil Europa sich die Alternative selbst genommen hat. Und die OPEC hat bereits deutlich gezeigt, dass preiswertes Öl für den Westen nicht seine oberste Priorität ist.