Wirtschaft

LNG-Boom: Europa kauft Schwellenländern das Gas weg

Deutschland und andere Staaten Europas überbieten die Schwellenländer auf dem LNG-Markt. Flüssiggas ist so teuer, dass ärmere Länder nun teils leer ausgehen.
27.09.2022 15:14
Lesezeit: 3 min
LNG-Boom: Europa kauft Schwellenländern das Gas weg
Bundeskanzler Olaf Scholz und Scheich Mohammed Bin Sajid vereinbarten am Sonntag, dass die Emirate Deutschland mit LNG beliefern. (Foto: dpa) Foto: Abdulla Al Neyadi

Der plötzliche weltweite Boom bei Flüssiggas (LNG) als Ersatz für russisches Pipeline-Gas hat enorme Folgen für die Branche und Schwellenländer: Die in die Höhe geschossenen Preise für LNG-Ladungen haben Dutzende kleinerer Händler verdrängt und das Geschäft in den Händen einer Handvoll internationaler Energiekonzerne und globaler Handelshäuser konzentriert. Länder wie Pakistan oder Bangladesch bekommen zudem weniger LNG, weil die reichen Europäer die verfügbaren Schiffsladungen für höhere Preise kaufen.

Das wird sich nach Ansicht von Experten auch bis 2026 nicht ändern. Erst dann wird wohl mehr LNG-Gas zur Verfügung stehen und die Preise sollten sinken. Und erst dann dürfte sich die Versorgungssicherheit auch für ärmere Staaten wieder erhöhen, die auf dieses Gas zur Energieerzeugung angewiesen sind.

LNG-Markt seit 2011 mehr als verdoppelt

Der weltweite LNG-Markt hat sich seit 2011 mehr als verdoppelt, wobei Dutzende von neuen Marktteilnehmer hinzukamen und kleinere Akteure in Asien expandierten. In den letzten Jahren entfielen allein in China 20 Prozent der LNG-Einfuhren auf kleinere Händler. Doch der sprunghafte Anstieg des Preises für eine LNG-Schiffladung von 15 bis 20 Millionen Dollar vor zwei Jahren auf zuletzt 175 bis 200 Millionen Dollar hat für viele kleinere Marktteilnehmer dramatische Auswirkungen.

„Die größte Herausforderung, vor der jeder Marktteilnehmer derzeit steht, ist die Kreditwürdigkeit“, sagte Ben Sutton, CEO von Six One Commodities, einem LNG-Händler mit Sitz in den USA, der nach dem Preisanstieg im dritten Quartal 2021 seine Geschäftstätigkeit einschränken musste. Zudem ist das Risiko für die Händler gestiegen, da die Preisentwicklung eher von geopolitischen Faktoren als von Fundamentaldaten bestimmt wird.

Die drastisch gestiegenen Kosten für eine LNG-Ladung und die hohen Schwankungen hätten die kleineren Akteure ziemlich unter Druck gesetzt, sagt Tamir Druz, Geschäftsführer von Capra Energy, einem LNG-Beratungsunternehmen. In Shanghai lassen deshalb einige dieser kleineren Akteure ihre Büros im Handelszentrum von Singapur „ruhen“, während chinesische Händler der zweiten Reihe und einige koreanische Firmen ihre Aktivitäten reduzierten, da es schwieriger wurde, Finanzmittel zu erhalten.

„LNG ist wieder zur Ware der Reichen geworden“, sagte Pablo Galante Escobar, Global Head of LNG beim Energiehändler Vitol, diesen Monat auf der internationalen Gastech-Konferenz in Mailand.

Große Konzerne profitieren

Nun profitieren Akteure mit großen, diversifizierten Portfolios und starken Bilanzen wie den großen Ölkonzernen Shell, BP und TotalEnergies sowie große Handelshäuser wie Vitol, Trafigura, Gunvor und Glencore.

Shell und TotalEnergies haben schätzungsweise ein gemeinsames Portfolio von 110 Millionen Tonnen des heutigen LNG-Marktes von 400 Millionen Tonnen, sagte Jason Feer, globaler Leiter der Business Intelligence bei der Energie- und Schifffahrtsberatung Poten & Partners. Beide haben Portfolios aufgebaut, wobei Shell BG und TotalEnergies die LNG-Sparte von Engie übernommen haben. Beide sind auch Partner in Katars North Field, einem der größten LNG-Projekte - von dem auch Deutschland künftig LNG-Gas beziehen möchte.

Wenn man das Portfolio von Qatar Energy mit 70 Millionen Tonnen und das von BP mit schätzungsweise 30 Millionen Tonnen hinzurechnet, machen vier Akteure mehr als die Hälfte des Marktes aus. Und die großen Akteure haben Kapital: Shell und TotalEnergies meldeten Rekordgewinne, während Vitol im ersten Halbjahr 2022 einen Rekordgewinn erzielte, der die Ergebnisse für das gesamte Jahr 2021 übertraf. Shell und TotalEnergies verdienen sehr viel daran, LNG billig in Ägypten und den USA einzukaufen und es teuer an die Europäer zu verkaufen.

Ärmere Länder verlieren

Die hohen Preise für LNG-Ladungen verschieben auch die Kundenstruktur. Denn einige Ladungen, die ursprünglich für ärmere Länder bestimmt waren, werden nun an europäische Abnehmer umgeleitet.

„Pakistan und Bangladesch sind die großen Verlierer“, so Felix Booth, Leiter des Bereichs LNG beim Datenanalyseunternehmen Vortexa. Denn beide Länder versorgten sich auf dem Spotmarkt, sind also von den Preisschwankungen betroffen. Im Juli etwa erhielt Pakistan LNG Limited (PLL) bei einer Ausschreibung für den Import von zehn LNG-Ladungen kein einziges Gebot - weil andere für höhere Preise kauften.

„Solange wir nicht mehr Infrastruktur bauen und mehr Schiffe zu Wasser lassen, wird es schwierig sein, mit den etablierten Märkten zu konkurrieren“, sagte Charlie Riedl, Executive Director der Handelsgruppe Center for Liquefied Natural Gas (CLNG). „Es könnte noch schlimmer werden, wenn China in großem Stil auf den Markt zurückkehrt.“

China sei in diesem Jahr wegen der geringeren Nachfrage aufgrund seiner Corona-Lockdowns und des langsameren Wirtschaftswachstums nicht auf dem Markt vertreten gewesen, sagt Feer von Poten & Partners. „Dadurch konnte das Volumen nach Europa fließen.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Trumps Handelskrieg zwingt EU und China zu einer Annäherung – doch der Preis ist hoch
26.04.2025

Der eskalierende Handelskonflikt zwischen den USA und China zwingt die EU zu einem Strategiewechsel. Doch der geopolitische Preis ist hoch...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB in der Zwickmühle: Zinssenkung befeuert Immobilienmarkt – Gefahr einer neuen Kreditblase?
26.04.2025

Der Druck auf die Europäische Zentralbank wächst, während die Zinsen sinken und der EURIBOR neue Tiefstände markiert. Was bedeutet das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Funkmast auf Futterwiese: Das verdienen Landwirte mit Mobilfunkmasten
26.04.2025

Wer als Landwirt ungenutzte Flächen oder Scheunendächer für Mobilfunkanbieter öffnet, kann mit Funkmasten stabile Zusatzeinnahmen...

DWN
Panorama
Panorama Generation Z lehnt Führungspositionen ab – Unternehmen müssen umdenken
25.04.2025

Die Generation Z zeigt sich zunehmend unbeeindruckt von traditionellen Karrierewegen und Führungspositionen im mittleren Management. Eine...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Reichster Ostdeutscher: Wie ein Unternehmer einen kleinen DDR-Betrieb zum globalen Player macht
25.04.2025

Rekord-Umsatz trotz Krisen: Der Umsatz von ORAFOL betrug im Jahr 2024 betrug 883 Millionen Euro – ein Rekordjahr trotz Wirtschaftskrise....

DWN
Politik
Politik Rentenbeiträge und Krankenkasse: Sozialabgaben werden weiter steigen
25.04.2025

Gerade bei der Rente hat die kommende Merz-Regierung ambitionierte Pläne. Doch gemeinsam mit den Krankenkassenbeiträgen droht...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gold im Höhenrausch: Wenn Trump das Gold sieht, wird es gefährlich
25.04.2025

Der Goldpreis steht kurz davor, einen historischen Rekord nicht nur zu brechen, sondern ihn regelrecht zu pulverisieren. Die Feinunze Gold...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Autoindustrie unter Druck: Zollkrieg sorgt für höhere Preise und verschärften Wettbewerb
25.04.2025

Der Zollkrieg zwischen den USA und Europa könnte die Auto-Preise in den USA steigen lassen und den Wettbewerb in Europa verschärfen....