Wirtschaft

Schwellenländer in der Schuldenkrise: Wie schlimm wird es?

Die aktuelle Schuldenkrise in den Schwellenländern ist eine direkte Folge der Fed-Politik. Gepaart mit der Energiekrise birgt sie Risiken für die ganze Welt.
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18.09.2022 10:00
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Schwellenländer in der Schuldenkrise: Wie schlimm wird es?
In El Salvador, das zu den Ländern mit dem größten Ausfallrisiko gehört, sind am Donnerstag erneut zahlreiche Menschen gegen den seit einem halben Jahr geltenden Ausnahmezustand auf die Straße gegangen. (Foto: dpa) Foto: Camilo Freedman

Als die US-Notenbank im März die Zinswende einleitete, war dies für viele Schwellenländer ein weiterer gefährlicher Schlag. Denn diese Staaten können ihre Anleihen oftmals nur dann an den globalen Kreditmärkten ausgeben, wenn die Papiere in Dollar notieren. Die Währungen der Schwellenländer hingegen werden von internationalen Investoren als zu wenig stabil angesehen.

Die Staaten leisten dann Zahlungen für diese Anleihen, indem sie ihre Dollar-Reserven ausgeben oder, was noch häufiger vorkommt, indem sie die für die Zahlungen benötigten Dollar auf dem Devisenmarkt kaufen. Diese Abhängigkeit macht die Schwellenländer besonders anfällig für Zinserhöhungen, da sich ihre Schuldenlast dadurch schnell und erheblich erhöht. Die Staatsfinanzen und mit ihnen die Wirtschaft des Landes geraten ins Wanken.

Schon vor dem sprunghaften Anstieg der weltweiten Verschuldung im Rahmen des Corona-Kampfes meldete die Weltbank Probleme. Da die US-Notenbank Federal Reserve die Zinsen nach der globalen Finanzkrise ab 2007 extrem niedrig gehalten hatte, suchten Anleger verstärkt in den Schuldtiteln der risikoreicheren Schwellenländer nach Rendite. Auch die Unternehmen der Schwellenländer setzten verstärkt auf grenzüberschreitende Bankkredite und Anleihen in Dollar.

Fed treibt Schwellenländer in die Schuldenkrise

Bereits im Sommer letzten Jahren warnte der IWF vor der Gefahr, dass eine Zinserhöhung durch die Federal Reserve auch die Kosten der Schwellenländer für den Schuldendienst in die Höhe treiben und die ohnehin schon mageren Kapitalzuflüsse in Abflüsse umkehren würde, während zugleich die Kosten für die lebenswichtigen Importe dieser Länder steigen würden, darunter Lebensmittel, Medikamente und fossile Brennstoffe.

Das Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern hat sich bereits verlangsamt, und ihre Gesamtverschuldung hat Ende 2021 mit über 90 Billionen Dollar ein neues Rekordhoch erreicht. Daher wird 2022 ein schwieriges Jahr für etwa zwei Dutzend Schwellenländer, die bereits mit steigenden Renditen und sich ausweitenden Kreditausfallspreads zu kämpfen haben, wie Bloomberg berichtet.

Während viele dieser Krisen an der Peripherie der Weltwirtschaft auftreten oder auftreten werden, wie in Sri Lanka oder El Salvador, und daher nur minimale Auswirkungen auf die breiteren Märkte zu erwarten sind, haben einige das Potenzial, ernsthafte Probleme zu verursachen. In Argentinien, der zweitgrößten Volkswirtschaft Südamerikas, ist die Inflation erneut außer Kontrolle geraten. Hinzu kommen politische Instabilität und schwindende Devisenreserven.

In Pakistan erlebt ein nuklear bewaffneter Staat die schlimmste politische Krise seit einer Generation, die von extremer Treibstoff- und Nahrungsmittelknappheit und steigender Inflation geprägt ist. Die Lage hat sich so zugespitzt, dass im Juli (erneut) der IWF eingriff. In Kenia sind die Wahlen umstritten, während Nairobis größter Gläubiger China es abgelehnt hat, dem Land einen Schuldenerlass zu gewähren, da sich seine Haushaltslage weiter verschlechtert.

In Ägypten, einem Transitland des Welthandels, sieht sich die Regierung von Abdel Fattah al-Sisi bei hoher Arbeitslosigkeit mit Zinszahlungen konfrontiert, die sich 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nähern, und das bei einer Schuldenlast, die sich 100 Prozent des BIP nähert. Die jährlichen Steuereinnahmen dürften in den kommenden Jahren von den Zinszahlungen für die Schulden überholt werden.

Schuldenkrise auch in der EU

Zwar hat sich der Kurswechsel der US-Notenbank nicht im gleichen Maße auf die Europäische Union ausgewirkt hat, wie es in weiten Teilen der Entwicklungsländer der Fall ist. Doch auch die EZB hat derzeit eine Menge Probleme zu bewältigen. So hat Griechenland immer noch eine Jugendarbeitslosigkeit von 30 Prozent, eine Schuldenquote von 210 Prozent und Zinszahlungen für diese Schulden in Höhe von über 6 Prozent seines BIP.

Noch wichtiger ist, dass sich Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft der EU, als anhaltend schwach erweist und die Europäische Zentralbank schon auf eine Zinsobergrenze zurückgreifen musste, um eine weitere Ausweitung der Schuldenspreads gegenüber deutschen Bundesanleihen zu verhindern. Hedgefonds haben die größte Wette gegen italienische Staatsanleihen seit der globalen Finanzkrise abgeschlossen.

Auch wenn jedes einzelne Schwellenland seine Besonderheiten hat und es bemerkenswerte Ausnahmen wie die Ukraine gibt, sind die allgemeinen Faktoren, die zu der Schuldenkrise in jedem gefährdeten Schuldnerland beigetragen haben, eine Kombination aus den inzwischen wohlbekannten Warnzeichen, die der Ökonom Joseph Solis-Mullen in einem aktuellen Bericht wie folgt zusammenfasst:

  • eine hohe und wachsende Schuldenquote,
  • ein großes strukturelles Defizit,
  • geldpolitisches Missmanagement,
  • Laufzeitinkongruenz,
  • ein verschuldeter Privatsektor,
  • sinkende Steuereinnahmen und
  • die Abhängigkeit von Währungsreserven oder kurzfristigen Finanzierungen zur Deckung wichtiger Importe.

"Selbst ohne das derzeitige, beängstigende makroökonomische und geopolitische Umfeld ist es daher schwer vorstellbar, wie Sri Lanka, der Libanon oder Sambia jemals eine Schuldenkrise vermeiden könnten", warnt Solis-Mullen. Allerdings sind seiner Ansicht nach Entwicklungen, die mit der lateinamerikanischen Schuldenkrise der 1980er Jahre oder der ostasiatischen Finanzkrise der 1990er Jahre vergleichbar wäre, derzeit unwahrscheinlich.

Denn ein Großteil der jüngsten Kreditaufnahme in den Schwellenländern erfolgte in den Landeswährungen, was einen Inflationspuffer darstellt. Hinzu kommt, dass die Zentralbanken der Schwellenländer mit der Monetarisierung von Schulden experimentieren und dass der IWF und China bereits mit verschiedenen Umstrukturierungs- und Unterstützungsmaßnahmen für diese Staaten beschäftigt sind.

Allerdings ist dies kein Trost für all die Menschen in den betroffenen Ländern, die bereits unter der Schuldenkreise leiden und weiter leiden werden. Und insbesondere eine Krise wie in Pakistan, das die nötigen Lebensmittel- und Brennstoffimporte über den Winter wahrscheinlich nicht wird bezahlen können, kann schnell Folgen für die gesamte Welt mit sich bringen.

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