Deutschland

Inflation in Deutschland zweistellig, weiterer Anstieg absehbar

Lesezeit: 2 min
29.09.2022 16:10  Aktualisiert: 29.09.2022 16:10
Die deutsche Inflationsrate ist auf den höchsten Stand seit 1951 gestiegen. Vor allem Energie und Lebensmittel haben sich erneut stark verteuert. Ökonomen erwarten einen weiteren Anstieg.
Inflation in Deutschland zweistellig, weiterer Anstieg absehbar
Auch wegen teurer Lebensmittel ist die Inflationsrate in Deutschland erneut gestiegen. (Foto: dpa)
Foto: Julian Stratenschulte

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Inflation in Deutschland hat sich im September massiv erhöht und ist auf den höchsten Stand seit Anfang der 1950er Jahre geklettert. Nach dem Wegfall des 9-Euro-Tickets und des Tankrabatts kosteten Waren und Dienstleistungen durchschnittlich 10,0 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Ökonomen hatten nur mit einem Anstieg auf 9,4 Prozent gerechnet, nach 7,9 Prozent im August.

„Mit diesem neuen 70-Jahres-Hoch ist allerdings der Höhepunkt der Inflation leider noch nicht erreicht“, sagte Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen IMK-Institut. „In den kommenden Monaten wird es noch weiter aufwärts gehen.“

Derzeit liegt die Inflationsrate auf dem höchsten Niveau seit Dezember 1951, als die Jahresteuerung - auf weitgehend vergleichbaren Daten - bei 10,5 Prozent lag. Der Ukraine-Krieg treibt die Preise vor allem für Energie, aber auch von Rohstoffen und Lebensmitteln enorm in die Höhe. Energie kostete im September binnen Jahresfrist 43,9 Prozent mehr, während sich Nahrungsmittel um 18,7 Prozent verteuerten - dies sind jeweils weitere Steigerungen zum Vormonat.

„Die Inflationsrate durchbricht die Schallmauer“, kommentierte Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. Mit einer raschen Beruhigung sei nicht zu rechnen, die Teuerung werde vorerst im zweistelligen Bereich bleiben.

„Der Preishammer kommt derzeit von Strom und Gas“, sagte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. „Denn nach und nach sickern die exorbitanten Großhandelspreise zu den Haushalten durch.“ Einen Vorgeschmack böten die extrem höheren Neuvertragspreise.

Die Bundesregierung plant zur Abfederung der sprunghaft gestiegenen Energiekosten einen weiteren Abwehrschirm für Firmen und Verbraucher. Das Volumen bezifferte Bundeskanzler Olaf Scholz auf bis zu 200 Milliarden Euro und sprach von einem „Doppel-Wumms“. Konkret geplant sind neben einer Strompreisbremse nun auch eine Gaspreisbremse.

„Die hohe Inflation wirkt wie eine Vollbremsung für die Konjunktur“, erläuterte Chefökonom Michael Heise vom Vermögensverwalter HQ Trust. „Geringere Kaufkraft und weniger Konsum der privaten Haushalte, steigende Produktionskosten der Unternehmen und konjunkturdämpfende Anti-Inflationsmaßnahmen der Europäischen Zentralbank kommen zusammen.“

Die extreme Inflation dürfte auch die Notenbanker veranlassen, die Leitzinsen weiter zu erhöhen. „Der EZB bleibt gar nichts anderes übrig, als schnell und kräftig an der Zinsschraube zu drehen“, sagte Chefökonom Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sagte, die EZB sollte „ihre Leitzinsen auf den nächsten Sitzungen erneut kräftig um jeweils 0,75 Prozentpunkte anheben.“

10,8 Prozent Inflation in Bayern

In Nordrhein-Westfalen etwa stieg die Jahresteuerung auf 10,1 und in Bayern sogar auf 10,8 Prozent. Bergauf ging es auch in Brandenburg mit 9,9 Prozent, in Baden-Württemberg mit 9,5 Prozent und in Hessen mit 9,4 Prozent. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen bundesweit mit einer Inflation von 8,4 Prozent im Jahresschnitt 2022. Diese dürfte dann nächstes Jahr auf 8,8 Prozent klettern und sich erst wieder 2024 auf 2,2 Prozent beruhigen, heißt es im Herbstgutachten der Regierungsberater.

Die EZB hält eine Rate von 2 Prozent für ideal für die Konjunktur. Im Euro-Raum liegt die Teuerung derzeit aber auf dem Rekordwert von 9,1 Prozent. Für die am Freitag anstehenden September-Daten erwarten Fachleute sogar 9,7 Prozent.

Die Deutschen ändern einer Umfrage des Handelsverbands HDE zufolge wegen der sprunghaft gestiegenen Energiekosten bereits ihr Einkaufsverhalten. „So machen sich zwei Drittel der Befragten angesichts der anstehenden Rechnungen für Strom und Wärme große Sorgen“, erklärte der HDE. 60 Prozent geben demnach an, beim Lebensmittelkauf verstärkt Sonderangebote zu nutzen, 46 Prozent verzichten auf den Kauf bestimmter Produkte, und knapp ein Drittel kauft insgesamt geringere Mengen. „Generell sagen 60 Prozent, sie müssten sich aktuell beim Einkauf einschränken, um mit ihrem Geld auszukommen.“ Für die kommenden Monate richteten sich angesichts der Preisentwicklungen 76 Prozent darauf ein, sparsamer einzukaufen. (Reuters)


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Taurus-Lieferung: Soll Deutschland Marschflugkörper an die Ukraine liefern? Eine unendliche Debatte wird zum Wahlkampfthema
25.11.2024

Die Taurus-Lieferung sorgt seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine immer wieder für politische Diskussionen. Ausgerechnet die...

DWN
Politik
Politik Scott Bessent: Trumps neuer Finanzminister und seine Pläne für die Wirtschaft
25.11.2024

Trump hat einen Hedgefonds-Manager als Finanzminister nominiert. Scott Bessent, ehemaliger Chief Investment Officer bei Soros Fund...

DWN
Politik
Politik Wehrdienst: Fast die Hälfte der Deutschen für Wiedereinführung
25.11.2024

Der Krieg in der Ukraine hat die Verteidigungsbereitschaft in Deutschland verändert. Heute sind mehr Menschen bereit, das Land im...

DWN
Politik
Politik Habeck: Deutschland handelte bei Ukraine-Hilfe stets zu langsam
25.11.2024

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck äußerte Kritik an der deutschen Unterstützung für die Ukraine, insbesondere hinsichtlich der...

DWN
Politik
Politik Wo Wohnen Luxus wird: Starker Anstieg bei Mieten in deutschen Großstädten
25.11.2024

Wohnungssuchende setzen häufig auf das Internet. Doch in den größten deutschen Städten werden die dort angebotenen Wohnungen immer...

DWN
Politik
Politik Ostsee-Kabelbruch: Reparaturarbeiten am Glasfaserkabel C-Lion1 gestartet
25.11.2024

Zwei Kommunikationskabel in der Ostsee wurden innerhalb kurzer Zeit beschädigt. Zufall oder Sabotage? Die Ermittlungen richten sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kapitalmarktunion: EU-Sparer finanzieren US-Staatsschulden - Kapitalmarkt soll Investitionen freisetzen
25.11.2024

Der europäische Binnenmarkt gilt als großes Erfolgsmodell, doch die EU ist auf der Hälfte der Wegstrecke stecken geblieben. Vor allem im...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis-Prognose 2025: Nach Kurskorrektur zeigt sich der Goldpreis aktuell volatil - wohin geht die Reise?
25.11.2024

Der Goldpreis steht derzeit im Fokus von Anlegern und Edelmetallexperten. Gerade in unsicheren Zeiten wollen viele Investoren Gold kaufen,...