Finanzen

Zins-Anstieg setzt Zentralbanken unter Druck

Der britische Anleihemarkt bleibt trotz Eingreifens der Bank of England weiter enorm angespannt. Auch in den USA und Deutschland steigen die Zinsen auf ein kritisches Niveau. Eine weitere Zinserhöhung der Fed könnte einen Crash auslösen.
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12.10.2022 17:16
Aktualisiert: 12.10.2022 17:16
Lesezeit: 4 min
Zins-Anstieg setzt Zentralbanken unter Druck
Der Chef der britischen Zentralbank, Andrew Bailey, löste erneute Panikverkäufe am Anleihemarkt aus. (Foto: dpa) Foto: Justin Tallis

Die Botschaft des Gouverneurs der britischen Zentralbank (Bank of England, BoE), Andrew Bailey, am Dienstag in Richtung der großen Pensionsfonds hätte deutlicher kaum sein können: „Sie haben noch drei Tage Zeit. Sie müssen das hinbekommen“. Drei Tage gab Bailey laut Bloomberg den Fondsmanagern Zeit, um ihre Positionen mit inflationsindexierten Staatsanleihen (Gilts), die Anleger vor Inflation schützen sollen, aufzulösen.

Erneute Panikverkäufe setzen britische Notenbank unter Druck

Nur noch bis Freitag sei die BoE bereit, als „Käufer der letzten Instanz“ aufzutreten und die zuletzt stark unter Druck geratenen Anleihen aufzukaufen, danach sei Schluss. Eine weitere Stützung des britischen Anleihemarktes werde es nicht geben, so Bailey. Diese Aussage sollte allerdings nicht lange Bestand haben.

Als Reaktion auf Baileys Statement brach am britischen Anleihemarkt Panik aus – und nicht nur dort. Anleger stießen britische Vermögenswerte ab, die Preise für Staatsanleihen und das britische Pfund fiel erstmals seit dem 29. September wieder unter die Marke von 1,10 Dollar. Sogar US-Aktien kamen in der Folge ins Straucheln.

Durch die nun erneut aufflammende Unsicherheit am Markt stieg der Druck auf die britische Zentralbank so sehr an, dass sie laut einem Bericht der Financial Times den Banken gegenüber signalisiert habe, die Frist nun doch über den 14. Oktober hinaus zu verlängern. Eine offizielle Stellungnahme der Notenbank über eine mögliche Fristverlängerung steht noch aus. Die BoE steht nun vor einem Dilemma: Verlängert sie die Frist, untergräbt sie die eigene Glaubwürdigkeit. Verlängert sie sie nicht, riskiert sie einen Zusammenbruch des britischen Anleihemarktes und der Pensionsfonds.

„Erhebliches Risiko für Finanzstabilität“

Ende September hatte sich die BoE mit Stützungskäufen gegen die Turbulenzen am britischen Anleihemarkt gestemmt und wollte damit einen drohenden Zusammenbruch britischer Pensionsfonds verhindern. Ausgelöst wurde die Krise am 23. September durch die Ankündigung der britischen Regierung um Finanzminister Kwasi Kwarteng, Steuersenkungen für Wohlhabende und Unternehmen in Höhe von 45 Milliarden Pfund mit neuen Schulden zu finanzieren.

Das löste am Anleihemarkt einen regelrechten Ausverkauf britischer Staatsanleihen aus. Daraufhin sah sich die BoE am 28. September zum Eingreifen gezwungen, um die Pensionsfonds zu retten, die in den Marktturbulenzen unter die Räder kamen. Sie begründete dies damit, dass ein „erhebliches Risiko für die Finanzstabilität des Vereinigten Königreichs“ bestehe.

Nachdem kurzfristig wieder Ruhe in den Markt kehrte, stiegen die Zinsstände jedoch eine Woche später schon wieder auf dasselbe bedrohliche Niveau. Auch eine Verdopplung der Anleihekäufe durch die BoE von anfänglich fünf auf zehn Milliarden Pfund pro Tag am Montag brachte keine Entspannung. Analysten gehen davon aus, dass die Volatilität so lange anhalten wird, bis der britische Finanzminister am 31. Oktober den mittelfristigen Finanzplan vorlegen wird.

BoE sendet Schockwellen in den Markt

Die Re-Finanzierung wird für Großbritannien mit jeder Woche teurer. Staatsanleihen mit einer Verzinsung von 0,5 Prozent, die im Jahr 2061 fällig werden, wurden auf dem internationalen Markt im Dezember noch zu 97 Cents pro Dollar gehandelt. Im August waren es schon nur noch 58 Cents und in den letzten Wochen sogar nur zu 24 Cents pro Dollar.

Die Krise in Großbritannien setzte auch dem – ohnehin fragilen – weltweiten Anleihemarkt weiter zu. Denn die Staatsanleihen bewegen sich zunehmend „im Gleichschritt“, wie Reuters berichtet, was eine Risikostreuung für Investoren immer schwieriger macht. Auch deutsche Staatsanleihen geraten zunehmend unter Druck. Die Renditen auf zehnjährige Bundesanleihen stieg auf 2,34 Prozent. Außerdem lagen die Renditen zum ersten Mal seit 2014 wieder über der Zehnjahresinflation, was dazu führt, dass Staatsschulden nicht automatisch entwertet werden. Wirtschaftsjournalist Holger Zschaepitz kommentiert die Entwicklung mit den Worten: „Deutschland droht seinen letzten Wettbewerbsvorteil zu verlieren: Seine gute Kreditwürdigkeit!“.

Die Renditen von US-Staatsanleihen – die als Benchmark am Markt gelten – fielen am Dienstag in Asien erneut. Die Rendite 30-jähriger US-Anleihen stieg um neun Basispunkte auf 3,94 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit 2014, während die Rendite 10-jähriger Anleihen um sieben Basispunkte auf 3,95 Prozent anstieg. Ausgelöst wurde der Anstieg durch einen Abverkauf institutioneller Investoren.

Die größten Akteure 24-Billionen-Dollar-schweren US-Anleihemarkts – ausländische Regierungen, Geschäftsbanken und die großen japanischen Renten- und Lebensversicherer – die traditionell stark in US-Anleihen investieren, befinden sich fast alle auf dem Rückzug. Und der größte Käufer von allen in den vergangenen Jahren – die Federal Reserve – ist zum Verkäufer geworden. Die Fed hat die monatlichen Verkäufe von US-Staatsanleihen auf 60 Milliarden Dollar erhöht, um ihre gigantische Bilanzsumme von fast 9 Billionen Dollar abzuschmelzen.

Ohne Kurskorrektur der Fed droht der Crash

„Seit dem Jahr 2000 gab es immer eine große Zentralbank, die am Rande des Marktes eine Menge US-Staatsanleihen kaufte“, sagte Zoltan Pozsar, Anlagestratege der Credit Suisse, kürzlich in einer Live-Sendung des Bloomberg-Podcasts Odd Lots. „Wir erwarten im Grunde, dass der private Sektor anstelle des öffentlichen Sektors einspringt, und das in einer Zeit, in der die Inflation so unsicher ist wie nie zuvor“, so Pozsar weiter.

Durch den Rückzug der Fed als „Käufer der letzten Instanz“ verschärft sich die Lage am globalen Anleihemarkt weiter, der in den letzten Monaten von Volatilität, sich verschlechternder Liquidität und schwachen Auktionen geprägt war. Historisch gesehen sind die Anleiherenditen zwar nicht sehr hoch. 1994 lagen die Zinsen auf 10-jährige US-Staatsanleihen beispielsweise bei über 8 Prozent. Aber das Marktumfeld hat sich seitdem drastisch verändert.

Durch die Krisen der letzten Jahre haben sich Regierungen und Unternehmen weltweit stark verschuldet, so dass heute 50 Billionen Dollar mehr Schulden angehäuft wurden als 2018. Larry McDonald, Gründer von des „Bear Traps Report“ und Autor des Buches „A Colossal Failure of Common Sense“ über die Finanzkrise von 2008, weist deshalb darauf hin, dass schon geringe Renditesprünge erheblich mehr Schaden anrichten würden, als in vergangenen Straffungszyklen der Zentralbank.

„Wenn die US-Notenbank den Leitzins um weitere 100 Basispunkte anhebt und den Bilanzabbau auf dem derzeitigen Niveau fortsetzt, werden sie den Markt zum Absturz bringen“, warnt McDonald in einem Beitrag auf Market Watch

Er verweist auf eine Umfrage unter 600 institutionellen Anlegern aus 23 Ländern. Der Konsens unter diesen Vermögensverwaltern sei, dass „die Dinge aus dem Ruder laufen“ und dass die Federal Reserve recht bald eine Änderung ihrer Politik vornehmen müsse. Einige der institutionellen Anleger seien schon jetzt aufgrund von Nachschussforderungen (Margin Calls) bei Derivatverträgen gezwungen, ihre Anleihen zu verkaufen und massive Verluste hinzunehmen.

Mit einer baldigen Kurskorrektur der US-Notenbank ist allerdings kaum zu rechnen. Die Fed hält – trotz anhaltenden Warnungen vor einer globalen Finanzmarktkrise und drohenden Rezession – weiter an ihrem aggressiven Straffungskurs fest. Die weiteren wichtigsten Indikatoren, auf die sich dabei stützt, der US-Arbeitsmarkt und die Inflationsrate, gaben zuletzt keine Signale, die eine Kursabkehr nahelegen.

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