Politik

Beben in London: Truss kämpft um ihr Amt

Der britische Finanzminister und Truss-Vertraute Kwarteng muss gehen. Für viele gilt er als Bauernopfer. Truss ist nach nur 37 Tagen im Amt massiv unter Druck. Die Märkte sind in Aufruhr.
14.10.2022 20:12
Aktualisiert: 14.10.2022 20:12
Lesezeit: 3 min

Die britische Premierministerin Liz Truss kämpft nur 37 Tage nach der Amtsübernahme bereits um ihren Posten. Weil die schuldenfinanzierten Steuerpläne der Regierung zu Turbulenzen an den Kapitalmärkten geführt haben, entließ sie am Freitag Finanzminister Kwasi Kwarteng, einen engen Verbündeten. Zum Nachfolger wurde der frühere Außenminister Jeremy Hunt ernannt. Truss kündigte an, anders als geplant werde die Unternehmenssteuer nächstes Jahr doch steigen. Sie will aber grundsätzlich an ihrem Ziel festhalten, mit geringen Steuern ein stärkeres Wirtschaftswachstum zu stimulieren.

„Die Zielsetzung bleibt bestehen“, sagte die Premierministerin bei einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz in London. Dabei wurde sie mehrfach gefragt, warum sie im Amt bleibe, obwohl sie die Finanz- und Steuerpläne zusammen mit Kwarteng ausgearbeitet habe. Truss sagte, die Entscheidung solle für ökonomische Stabilität sorgen. „Das ist schwierig. Aber wir werden durch diesen Sturm kommen.“ Es müsse jedoch auch Änderungen geben, um die Märkte zu beruhigen. Daher werde die Unternehmenssteuer im kommenden April auf 25 Prozent angehoben. Kwarteng wollte sie eigentlich bei 19 Prozent einfrieren. Truss zufolge wird dies 18 Milliarden Pfund (20,7 Milliarden Euro) zusätzlich im Jahr in die Staatskasse spülen.

Streit um Strategie

Hunt soll bis Ende Oktober einen mittelfristigen Finanzplan vorlegen. Truss sagte, er teile ihre Überzeugungen und habe große Erfahrung. In einem Schreiben bedankte sich Truss bei Kwarteng. Sie habe großen Respekt vor seiner Entscheidung, den Rücktritt einzureichen. „Sie haben die Interessen des Landes an die erste Stelle gestellt.“ Es ist mit nicht einmal sechs Wochen die kürzeste Amtszeit eines britischen Finanzministers seit 1970.

Kwarteng veröffentlichte sein Rücktrittsgesuch auf Twitter. Darin schrieb er an Truss gerichtet: „Sie haben mich aufgefordert, als ihr Finanzminister zurückzutreten. Ich habe akzeptiert.“ Er werde Truss und seinen Nachfolger unterstützten. Die Vorstellungen von Truss seien die richtigen. Es dürfe nicht am Status quo festgehalten werden. Zu lang habe das Land niedrige Wachstumsraten und eine zu hohe Besteuerung gehabt. „Das muss sich immer noch ändern, wenn das Land erfolgreich sein will.“

IWF: Regierung darf nicht gegen Notenbank handeln

Truss ist Nachfolgerin von Boris Johnson, der nach zahlreichen Skandalen seinen Posten als Premierminister räumen musste. Sie hatte sich in der Konservativen Partei mit den Versprechen von Steuersenkungen und einem viel stärkeren Wirtschaftswachstum durchgesetzt. Ende September hatte Kwarteng dann Details präsentiert, die ein verheerendes Echo an den Märkten fanden. Die britische Notenbank sah sich gezwungen, mit Anleihekäufen zu intervenieren, um Investoren zu beruhigen. Der Internationale Währungsfonds kritisierte die Regierung in London, sie dürfe nicht gegen die Notenbank des Landes arbeiten. Diese versucht mit kräftigen Zinserhöhungen die Inflation in den Griff zu bekommen. Eine zu lockere Finanzpolitik untergräbt Experten zufolge dieses Ziel.

Bei der Einkommenssteuer sollte ab April 2023 nur noch ein gehobener Satz von 40 Prozent gelten, der noch höhere Satz von 45 Prozent für Einkommen oberhalb von 150.000 Pfund sollte gestrichen werden. Hier hatte sich die Truss-Regierung zuletzt bereits korrigiert.

In der Konservativen Partei wird offen darüber diskutiert, ob Truss ersetzt werden sollten. Es müsse innerhalb von 48 Stunden einen Kurswechsel geben, um wieder Vertrauen an den Finanzmärkten aufzubauen, sagte der konservative Abgeordnete Mel Stride der BBC im Vorfeld der Personalentscheidungen. „Und ich denke das bedeutet, jetzt etwas zu machen.“ Stride hatte nach dem Johnson-Rückzug als Premierminister den früheren Finanzminister Rishi Sunak als möglichen Nachfolger unterstützt. Dieser steht für eine weniger aggressive Finanzpolitik. Ein anderer Parlamentarier, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte, die Märkte hätten das Vertrauen in die Konservative Partei verloren. „Und wer kann es ihnen übel nehmen?“

Das Pfund Sterling geriet am Freitag stärker unter Druck und rutschte um 1,5 Prozent auf ein Tagestief von 1,1155 Dollar ab. Zugleich griffen Investoren bei britischen Staatsanleihen wieder zu. Die Rendite der zehnjährigen Titel fiel im Gegenzug auf 4,177 Prozent von zuvor 4,194 Prozent.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundesbank: Deutsche Exportwirtschaft verliert deutlich an globaler Stärke
14.07.2025

Die deutsche Exportwirtschaft steht laut einer aktuellen Analyse der Bundesbank zunehmend unter Druck. Branchen wie Maschinenbau, Chemie...

DWN
Immobilien
Immobilien Gebäudeenergiegesetz: Milliardenprojekt für 1,4 Billionen Euro – hohe Belastung, unklare Wirkung, politisches Chaos
14.07.2025

Die kommende Gebäudesanierung in Deutschland kostet laut Studie rund 1,4 Billionen Euro. Ziel ist eine Reduktion der CO₂-Emissionen im...

DWN
Politik
Politik EU plant 18. Sanktionspaket gegen Russland: Ölpreisobergrenze im Visier
14.07.2025

Die EU verschärft den Druck auf Moskau – mit einer neuen Preisgrenze für russisches Öl. Doch wirkt die Maßnahme überhaupt? Und was...

DWN
Technologie
Technologie Datenschutzstreit um DeepSeek: Deutschland will China-KI aus App-Stores verbannen
14.07.2025

Die chinesische KI-App DeepSeek steht in Deutschland unter Druck. Wegen schwerwiegender Datenschutzbedenken fordert die...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 unter Druck – Sommerkrise nicht ausgeschlossen
14.07.2025

Donald Trump droht mit neuen Zöllen, Analysten warnen vor einer Sommerkrise – und die Prognosen für den S&P 500 könnten nicht...

DWN
Politik
Politik Wenn der Staat lahmt: Warum die Demokratie leidet
14.07.2025

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt eindringlich vor den Folgen staatlicher Handlungsunfähigkeit. Ob kaputte Brücken,...

DWN
Politik
Politik Fluchtgrund Gewalt: Neue Angriffe in Syrien verstärken Ruf nach Schutz
14.07.2025

Trotz Versprechen auf nationale Einheit eskaliert in Syrien erneut die Gewalt. Im Süden des Landes kommt es zu schweren Zusammenstößen...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersarmut nach 45 Beitragsjahren: Jeder Vierte bekommt weniger als 1300 Euro Rente
14.07.2025

Auch wer sein Leben lang gearbeitet hat, kann oft nicht von seiner Rente leben. Dabei gibt es enorme regionale Unterschiede und ein starkes...