Die Anhebung der Leitzinsen auf bis zu 4 Prozent durch die US-Währungspolitik bedeutet einen fatalen Schlag gegen die eigene amerikanische und darüber hinaus gegen die gesamte Weltwirtschaft. Die Maßnahme war fundamental überflüssig, aber jedenfalls kam sie zum schlechtesten Zeitpunkt. Jetzt sind die anderen Zentralbanken, nicht zuletzt die EZB in Frankfurt, gezwungen nachzuziehen, um einen Sog des Kapitals zu den attraktiven Dollarzinsen zu bremsen. Das ist vor allem für Europa katastrophal, wo die Wirtschaft schwächelt und durch höhere Zinsen zusätzlich gebremst wird. Zudem konnten schon bisher die meisten Staaten ihre Budgetlöcher kaum mit Anleihen zu Nullzinsen stopfen. Jetzt werden zusätzliche Milliarden für Zinsen fällig. Wenn heute die US-Zentralbank Federal Reserve Board Unheil stiftet, so darf man nicht vergessen, dass die EZB jahrelang eine historisch einmalige Geldproduktion betrieben hat, die maßgeblich zur aktuellen Inflation beigetragen hat. Währungspolitik ist ein gefährliches Handwerk.
Die peinliche Angst des Währungspolitikers vor künftigen Kommentaren
Währungspolitiker agieren gerne wie Götter im Olymp, fernab vom bescheidenen Fußvolk. Wie sehr allerdings die vermeintlichen Götter unter menschlichen Schwächen leiden, konnte man am Mittwoch der abgelaufenen Woche feststellen. Da trat Jay Powell, Präsident der Fed, vor die Presse und beklagte sein Schicksal im weinerlichen Ton eines ehemaligen Musterschülers, der unerwartet eine Klasse wiederholen muss. Er sei gezwungen, diesen weiteren zinspolitischen Paukenschlag zu setzen. Er fürchtet, man könnte ihm sonst später vorwerfen, er hätte zu wenig getan, um die Inflation zu bekämpfen. Die Angst des Präsidenten vor einem Kommentar der Nachwelt ist kein akzeptables Kriterium. Er hat seit März im Rekordtempo den Leitzins von 0,25 auf 3,25 Prozent hochgetrieben und müsste jetzt die Wirkungen abwarten und den vielen betroffenen Bereichen Gelegenheit geben, sich den neuen Bedingungen anzupassen.
Währungspolitik ist kein Handwerk, das man in Kursen lernen kann
Währungspolitik findet nicht im Olymp, sondern auf Erden statt und die Zentralbank hätte mit dem Markt zu leben. Wehmütig erinnert man sich an Alan Greenspan, der von 1987 bis 2006 die Fed als Teil des Marktes führte. Bei Greenspan war Währungspolitik kein Handwerk, sondern eine Kunst. Mit Anhebungen und Senkungen des Zinssatzes ist die Entwicklung an den Börsen und in den Unternehmen zu beeinflussen, ebenso mit Steigerungen und Verringerungen der verfügbaren Liquidität. Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass die Fed mit ihrem Offenmarkt-Komitee einmal im Monat eine Zinsentscheidung verkündet. Anpassungen können auch tageweise oder in langen Abständen, je nach Entwicklung der Wirtschaft, geschehen.
Die These, hohe Zinsen bekämpfen die Inflation, wurde zu einer Ideologie
Powell ist nicht nur das Opfer seines Bemühens um Bestnoten, er ist auch ein Opfer der nicht auszurottenden These, dass hohe Zinsen ein Wundermittel zur Bekämpfung der Inflation seien. Diese These wurde zu einer Art Glaubensbekenntnis, das nicht bezweifelt werden darf. Dabei kann man leicht nachrechnen, dass mit 4 Prozent eine Inflation von 10 Prozent nicht auszugleichen ist. Um tatsächlich Ergebnisse zu erzielen, müssten die Zinsen weit höher sein. Damit würde man die Wirtschaft vollends in den Ruin treiben und durch die Vernichtung der Nachfrage die Anbieter zu Preissenkungen zwingen. Unter diesen Bedingungen würde die Annahme, dass Zinsen die Inflation brechen können, vielleicht sogar stimmen. Die Geschichte lehrt allerdings, dass sogar in der Krise die Preise nicht unbedingt sinken, weil die verbliebenen Firmen versuchen mit höheren Preisen doch noch zu überleben. Aber davon abgesehen: Wieso kann der Ruin der Wirtschaft überhaupt sinnvoll sein?
Inflation ist ein Phänomen, das sich selbst bekämpft. Die Konsumenten und Investoren steigen auf die Bremse und die Anbieter müssen ihre Preise reduzieren. Die Zinserhöhungen sorgen für einen zusätzlichen Preisschub, auf den man verzichten kann.
Ein plötzlicher Anstieg der Kreditzinsen ist nur schwer zu verkraften
Im Gefolge der Zinserhöhung durch die Zentralbank werden die Kredite und mit ihnen alle Finanzierungsvarianten teurer. Das trifft alle Privathaushalte, alle Unternehmen und alle Staaten, die mit Schulden finanziert werden. Diese zahllosen Betroffenen haben in den vergangenen zehn Jahren mit billigem Geld gearbeitet und wurden durch die rasche Anhebung der Zinsen plötzlich mit spürbar höheren Belastungen konfrontiert. Sie haben in den vergangenen Monaten einen schmerzhaften Anpassungsprozess vornehmen müssen, der noch nicht abgeschlossen ist. Das Gebot der Stunde wäre also, durch einen Wechsel vom Zinsgalopp zu einer langsameren Gangart wie Trab oder Schritt zu wechseln und den Schuldnern eine Erholungsphase zu gönnen. Jetzt drohen zahlreiche Insolvenzen.
Die Weltwirtschaft steht vor einem gigantischen Investitionsschub. Hohe Zinsen wirken als Bremse.
Damit nicht genug. Die Weltwirtschaft und somit auch die USA und Europa treten in eine neue Phase ein. Das aggressive Streben Chinas nach der Weltherrschaft macht eine Neuorientierung der Globalisierung erforderlich. Die zahlreichen Unternehmen, die in den vergangenen Jahrzehnten Produktionen in China errichtet haben, werden andere Standorte aufbauen müssen. Dies ist nicht nur angesichts der chinesischen Aggression erforderlich, auch die in China kräftig steigenden Lohnkosten verringern kontinuierlich die Attraktivität des Landes als Produktionsstätte.
Gleichzeitig müssen umfangreiche Investitionen durchgeführt werden, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Nicht zuletzt ist die Digitalisierung und die Zunahme der E-Mobilität zu beachten, die beide den Stromverbrauch und somit die Nachfrage nach Kraftwerken explodieren lassen. Diese vielfältige Neuordnung ist nur mit Investitionen in Milliardenhöhe zu bewältigen und da sind hohe Kreditzinsen alles andere als hilfreich. Auch daran müsste ein amerikanischer Zentralbankchef denken.
Je höher die Zinsen, umso größer die Gefahr eines Börsencrashs
Auch auf die Käufer von Aktien und Immobilien sollte ein Präsident der Fed achten. In der jahrelangen Periode der Null- und Minuszinsen wurden die Anleihen gemieden und man konzentrierte sich auf den Erwerb von Aktien und Immobilien. In der Folge erreichten die Kurse und die Preise lichte Höhen. Steigen nun die Anleihezinsen, sind neue Relationen zu beachten. Die weltweit maßgeblichen Anleihen sind die zehnjährigen US-Staatsanleihen. Diese hatten vor der nun erfolgten Zinskorrektur der Fed eine Rendite von 4 Prozent ausgewiesen und werden nun voraussichtlich auf 5 und mehr steigen. Diese Sätze stehen nun als Alternative den Dividenden der Aktiengesellschaften und den Mieterträgen aus den Immobilien gegenüber. Und jetzt bewegt sich der Markt auf schwankendem Boden.
Die durchschnittliche Dividendenrendite der Aktien liegt bei 2,5 Prozent, wobei hinter diesem Mittelwert großzügige Zahler und Unternehmen stehen, die ihren Miteigentümern nur einen geringen Teil des Gewinns überweisen. Je höher der Anleihezins steigt, umso größer ist die Gefahr, dass die Aktionäre zu den Anleihen wechseln und einen Börsenkrach auslösen. Bei den bisherigen Zinserhöhungen ist dies nicht geschehen. Mit dem neuen und den angekündigten, weiteren Zinsschritten droht ein Crash. Ein Crash in New York hat über die tatsächlichen Verluste hinaus eine enorme Signalwirkung und löst weltweit eine Krisenstimmung aus.
- Die Börse folgt verschlungenen Pfaden
- Schon unmittelbar nach der Korrektur am vergangenen Mittwoch war ein Kursverfall zu erwarten. Dass er nicht stattfand, ist auf besondere Umstände zurückzuführen. In den Tagen davor kursierte das Gerücht, die Fed werde ihren Zinsgalopp unterbrechen. In der Folge stiegen die Kurse, die bereits deutlich gefallen waren, wieder an und die Spekulationsgeschäfte wurden auf das freundliche Szenario abgestellt. Nach dem unerwarteten Zinsschritt war nach den ungeschriebenen Gesetzen der Börse ein Kurssturz unvermeidlich, der sich auch in den ersten Stunden nach der Verlautbarung der Fed abzeichnete. Um die Kurse zu stützen und so die drohenden Verluste der Spekulationen in Grenzen zu halten, kauften die spekulierenden Fonds große Aktienpakete. Die Rechnung ging auf und die Börse schloss Freitagabend auf dem Niveau vor der Zinsanhebung. Wie lange noch?
Die Zinspolitik treibt den Dollar in die Höhe, worüber sich nicht alle freuen
Ein hoher Zinssatz stärkt den Dollar gegenüber den anderen Währungen und insbesondere gegenüber dem Euro. Somit werden Importe in die USA billiger. Das freut zwar die europäischen Exporteure, freut auch die amerikanischen Konsumenten, bremst aber die Exporte aus den USA und lässt das chronisch hohe Handelsbilanzdefizit der USA ansteigen. In Europa wird die Freude der Exporteure heftig getrübt, weil die mit dem teuren Dollar verbundene Verteuerung der Importe die ohnehin extrem hohe Inflation anheizt. Devisenkurse sollten möglichst keine Gewinner und keine Verlierer produzieren.
Die Europäische Zentralbank kann angesichts der jüngsten Maßnahmen der Fed nicht untätig bleiben und ist nun gezwungen, die Zinsen deutlich zu erhöhen. Bis vor einer Woche konnte man noch versuchen, mit den Ende Oktober beschlossenen 2 Prozent einige Zeit durchzukommen. Jetzt muss man mit einem in Kürze stattfindenden Anstieg auf 2,75 und mehr rechnen. Schon die Korrekturen der vergangenen Monate haben die Kreditzinsen in die Höhe schnellen lassen. Für die privaten wie die gewerblichen und industriellen Kreditkunden ergeben die Korrekturen eine schwer verkraftbare Mehrbelastung, die nun noch steigen wird.
Man muss auch das unterschiedliche Umfeld berücksichtigen. Die USA verzeichnen ausgehend von einem viel höheren Niveau ein kräftiges Wirtschaftswachstum, Europa hinkt schon lange hinterher und leidet derzeit unter einer lahmen Konjunktur, die nun zusätzlich gebremst wird. Auch die Folgen für Europa haben den Präsidenten der Fed zu interessieren
Staaten verstecken per Gesetz ihre Pleite. Staaten gehen nicht in Konkurs
In der EZB dominiert nun schon seit über zehn Jahren das Bemühen, die finanzmaroden Staaten vor der Pleite zu bewahren. Zuerst tat dies ab 2011 Mario Draghi, der glaubte den Euro zu retten, wenn die EZB eine gigantische Geldschöpfung betreibt. Den Staaten wurden Milliarden zugeführt, die nun in Umlauf sind und die Inflation treiben. Der Eurokurs konnte lange weit über dem Dollar gehalten werden, ist aber in den letzten Monaten auf unter einen Dollar abgestürzt und droht unter dem Druck der höheren Zinsen in den USA weiter zu fallen. Die finanzielle Lage der europäischen Staaten hat sich durch die Draghi-Politik nicht verbessert, sondern verschlechtert, weil jeder Druck fehlte, die Staatsfinanzen zu sanieren. Unter der seit 2019 amtierenden EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich an diesem Debakel nichts geändert.
Die Schulden der EU-Staaten betragen etwa 13.000 Milliarden und steigen jährlich um rund 700 Milliarden. Die neuen Schulden müssen jedenfalls mit höheren Zinsen bedient werden. Bei den alten Schulden wirken zwar die niedrigen Zinsen noch einige Zeit nach, doch laufen viele Anleihen ab und müssen durch neue, höher verzinste ersetzt werden. Die unvermeidliche Folge –die Schulden der Staaten steigen noch stärker als bisher. Nur haben die europäischen Staaten keinen Spielraum mehr, um die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu erhöhen. Ganz anders die USA, die ihren ebenfalls hohen Schuldenberg leicht durch eine Steuererhöhung abbauen können. Die Steuern entsprechen im Schnitt deutlich weniger als 30 Prozent der Einkommen, die Sozialversicherungsbeiträge spielen keine große Rolle. In Europa zehren die Abgaben schon etwa 50 Prozent der Einkommen auf.
In der Diskussion über Staatsschulden wird nur selten ein entscheidender Faktor beachtet: Budgets werden vom Parlament beschlossen und sind daher zu finanzieren. Wenn die Ausgaben nicht durch aktuelle oder künftige Einnahmen gedeckt sind, kommt es zu Defiziten, die eine Geldschöpfung erzwingen, die niemand, auch nicht die Zentralbank, korrigieren kann. Ein Unternehmen, das so agiert, muss Insolvenz anmelden und wird geschlossen. Ein Staat geht nicht in Konkurs. Die erzwungene Geldschöpfung führt genau wie eine nicht durch eine Wirtschaftsleistung gedeckte Geldproduktion der Zentralbank zu einer Geldentwertung, also in die Inflation.