Deutschland

Notfallplan für Blackout: Bundesregierung bereitet sich auf Bargeldknappheit vor

Im Hintergrund bereiten sich Regierung, Bundesbank und Finanzbranche auf einen Stromausfall vor. Laut Insidern wird dabei auch eine tägliche Begrenzung von Barauszahlungen erwogen, um einen Engpass von Bargeld zu verhindern.
Autor
17.11.2022 14:38
Aktualisiert: 17.11.2022 14:38
Lesezeit: 3 min

Die Bundesregierung bereitet sich auf einen Bargeldengpass im Falle eines Blackouts vor. Das geht aus einem Reuters-Bericht hervor, der sich auf Aussagen von Insidern stützt. Zum Notfall gehört unter anderem, dass die Deutsche Bundesbank zusätzliche Cash-Reserven in Milliardenhöhe aufbaut, um die Wirtschaft bei einem Stromausfall mit ausreichend Bargeld versorgen zu können.

Bei Blackout: Regierung will Ansturm aufs Bargeld vermeiden

Die Pläne sehen außerdem vor, dass die Regierung tägliche Bargeldabhebungen an Geldautomaten und Bankschaltern begrenzen kann, um einer Bargeldknappheit durch eine sprunghaft ansteigende Nachfrage vorzubeugen. Derzeit liefen bereits Gespräche zwischen Banken und Behörden, wie Bargeld im Krisenfall am effektivsten verteilt werden kann und beispielsweise eine vorrangige Treibstoffversorgung für Geldtransporter sichergestellt werden kann.

An den Planungen sind laut Reuters neben der Deutschen Bundesbank auch die Finanzmarktaufsicht BaFin sowie mehrere Verbände der Finanzindustrie beteiligt. Die Nachrichtenagentur bezieht sich dabei auf Personen, von denen einige unter der Bedingung der Anonymität über die laufenden Planungsgespräche berichteten. Die Notfallplanungen haben durch die angespannte Lage auf dem Energiemarkt durch den Wegfall russischen Gases noch einmal an Intensität gewonnen, so die Insider.

Anfangs spielte die deutsche Regierung die Gefahr von flächendeckenden Stromausfällen noch herunter. Inzwischen äußert sich selbst Berlins regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey öffentlich dazu, dass es vertretbar sei, in einer Notlage den Strom in Teilen der Stadt abzuschalten. Die laufenden Notfallgesprächen zeigen noch einmal deutlich, dass man die Bedrohung im Berliner Regierungsviertel sehr ernst nimmt und auch, wie schwer man sich damit tut, sich auf drohende Stromausfälle vorzubereiten.

Offene Schwachstellen in der Bargeldversorgung

Der Zugang zu Bargeld ist für die Deutschen von besonderer Bedeutung, da sie die Sicherheit und Anonymität, die es bietet, schätzen und dazu neigen, es mehr als andere Europäer zu verwenden. Rund 60 Prozent der alltäglichen Einkäufe werden bar bezahlt, so eine aktuelle Studie der Bundesbank. Die Studie kam zu dem Schluss, dass die Deutschen im Durchschnitt mehr als 6.600 Euro pro Jahr abheben, hauptsächlich an Geldautomaten.

Ein parlamentarischer Bericht warnte bereits vor zehn Jahren vor „Unzufriedenheit“ und „aggressiven Auseinandersetzungen“ für den Fall, dass die Bürger bei einem Stromausfall nicht an Bargeld kämen. Zu Beginn der Pandemie im März 2020 gab es bereits einen Ansturm auf Bargeld, als die Deutschen 20 Milliarden Euro mehr abhoben als sie einzahlten. Das stellte einen neuen Rekord dar, sorgte aber im System für keine größeren Zwischenfälle.

Dennoch dürfte die sprunghaft gestiegene Nachfrage im Krisenfall die Behörden sensibilisiert und zu den aktuellen Notfallgesprächen beigetragen haben. Ein Insider sagte Reuters gegenüber, dass die Bundesbank ihre Bestände derzeit aufstocke, um auf ein ähnliches Szenario wie zu Beginn der Pandemie gut vorbereitet zu sein.

Eine Schwachstelle, die bei den Planungen jedoch aufgetreten sei, betraf die Sicherheitsunternehmen, die das Bargeld von der Zentralbank zu Geldautomaten und Banken transportiert. Denn die Branche, zu der private Dienstleister wie Brinks und Loomis gehören, werde derzeit noch nicht von Gesetzen erfasst, die die vorrangige Treibstoff- und Telekommunikationsversorgung im Krisenfall regeln.

„Es gibt große Schlupflöcher“, sagte Andreas Paulick, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW), gegenüber Reuters. Gepanzerte Fahrzeuge müssten sich wie alle anderen an den Tankstellen anstellen. Der Verband veranstaltete in der vergangenen Woche ein Treffen mit Vertretern der Bundesbank und der Regierung, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. „Wir müssen uns präventiv mit dem realistischen Szenario eines Stromausfalls auseinandersetzen“, so Paulick weiter. „Es wäre völlig naiv, in einer Zeit wie jetzt nicht darüber zu sprechen.“

Notfallplan sieht tägliche Limits auf Bargeld vor

Laut einer Anfang November veröffentlichten Umfrage der Funke Mediengruppe befürchten mehr als 40 Prozent der Deutschen einen Stromausfall in den nächsten sechs Monaten. Das deutsche Katastrophenamt empfahl den Bürgern, für solche Notfälle Bargeld zu Hause aufzubewahren.

Die deutschen Finanzaufsichtsbehörden sind derweil besorgt, dass die Banken nicht vollständig auf größere Stromausfälle vorbereitet sind. Die Behörden betrachten dies als ein neues, bisher kaum vorhersagbares Risiko, sagte ein Beamter mit direkter Kenntnis der Angelegenheit gegenüber Reuters. Im Falle eines Stromausfalls könnte eine Mittel für die Regierung und die Behörden darin bestehen, die Menge des abgehobenen Bargelds zu begrenzen, so der Insider weiter.

Die Banken halten einen flächendeckenden Stromausfall für „unwahrscheinlich“, so die Deutsche Kreditwirtschaft, der Dachverband des Finanzsektors. Dennoch stünden die Banken „in Kontakt mit den zuständigen Ministerien und Behörden“, um für ein solches Szenario zu planen. Sie setzen sich in den Gesprächen unter anderem dafür ein, als „kritische Infrastruktur“ eingestuft zu werden, damit sie im Falle einer Stromrationierung bevorzugt behandelt würden.

Ebenfalls akut gefährdet ist der Handel, der zunehmend auf elektronische Transaktionen setzt und dazu von einer reibungslosen Bargeldversorgung abhängt. Die meisten Geldautomaten verfügen zudem über keine Notstromquelle.

Bargeld wäre die einzige offizielle Zahlungsmethode, die noch funktionieren würde, sagte Thomas Leitert, Chef von KomRe, einem Unternehmen, das Städte bei der Planung für Stromausfälle und andere Katastrophen berät. „Wie sollen sonst die Ravioli-Dosen und Kerzen bezahlt werden?“ so Leitert. Er warne die Behörden seit langem vor den Risiken eines Stromausfalls, aber die Planung sei bisher unzureichend gewesen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Panorama
Panorama Die Macht der WHO: Internationaler Pandemievertrag kommt
17.04.2025

Fünf Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie haben sich die WHO-Mitgliedstaaten auf ein Pandemieabkommen geeinigt. „Ich habe keinen...

DWN
Politik
Politik Nächstes Flugzeug aus Afghanistan gelandet - Sachsens Innenminister gegen Baerbocks Aufnahmeprogramm
17.04.2025

Die weitere Aufnahme von Afghanen sorgt bei Sachsens Innenminister Armin Schuster für große Empörung: „Dass Außenministerin Annalena...

DWN
Panorama
Panorama Politiker aus Wachs: Scholz-Wachsfigur bleibt bei Madame Tussauds - Merz fehlt noch
17.04.2025

2022 bekam Kanzler Scholz seinen Doppelgänger aus Wachs. Sein wahrscheinlich künftiger Nachfolger muss sich aber noch etwas gedulden, bis...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Vattenfall übernimmt Nordlicht-Projekt – BASF zieht sich überraschend aus deutscher Windenergie zurück
17.04.2025

Ein unerwarteter Rückzieher sorgt für Unruhe im europäischen Energiemarkt: Der Chemiekonzern BASF verkauft seinen Anteil am...

DWN
Politik
Politik Kontrollstaat: digitale Identität mit Bürgerkonto wird im Koalitionsvertrag Pflicht – Hacker kritisieren Überwachung
16.04.2025

Ende der Freiwilligkeit? Im Koalitionsvertrags setzen CDU, CSU und SPD auf eine verpflichtende digitale Identität der Bürger in der BRD....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Schlimmer als Finanzkrise oder Dotcom-Blase: Finanzexperte warnt vor einem globalen Beben
16.04.2025

Ulrik Ross, Ex-Banker bei Merrill Lynch, Nomura und HSBC, warnt vor einer Krise historischen Ausmaßes. Der globale Handelskrieg sei nur...

DWN
Politik
Politik Reform Arbeitszeitgesetz: 8-Stunden-Tag nicht mehr zeitgemäß?
16.04.2025

Union und SPD schlagen vor, aus der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit zu machen. Von der Wirtschaft gibt es Zuspruch, die...

DWN
Panorama
Panorama „Tag des Sieges“ in Russland: Mehr als 20 Staatschefs stehen auf Putins Gästeliste
16.04.2025

Gedenken zum Ende des Zweiten Weltkriegs: Langsam zeichnet sich ab, wer am 9. Mai mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin den Sieg...