Die Bundesregierung soll der deutschen Industrie im China-Geschäft deutliche Auflagen bis hin zu Berichtspflichten machen. Das geht aus dem vertraulichen 65-seitigen Entwurf aus dem Haus von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für die China-Strategie der Bundesregierung hervor, der der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. Etliche Punkte seien bereits etwa mit dem Wirtschaftsministerium abgestimmt, wird in Regierungskreisen betont. In dem Papier wird deutliche Kritik an der deutschen Wirtschaft geübt. "Vor allem deutsche Schlüsselindustrien wie Automobilbau und Chemie setzen weiter stark auf China, dennoch ist es sowohl im volkswirtschaftlichen als auch im unternehmerischen Interesse, übergroße Risiken zu vermeiden bzw. zu 'hedgen'." Deutschland habe für die "enormen Rohstoffabhängigkeiten von Russland einen hohen Preis bezahlt". "Diesen Fehler dürfen wir nicht noch einmal machen. Dies ist die Verantwortung von Politik und Unternehmen."
In dem Papier ist Misstrauen erkennbar, dass einige deutsche Konzerne den Wünschen der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP nach Diversifizierung trotz anderslautender Zusagen nicht folgen werden. Deshalb wird in dem Entwurf, der nun zwischen Ministerien und Kanzleramt abgestimmt wird, ein Bündel an Maßnahmen für Unternehmen vorgeschlagen. So soll es eine "gesonderte Mitteilungspflicht" über relevante chinabezogene Entwicklungen und Zahlen geben, was vor allem für börsennotierte Firmen Folgen haben dürfte. Die Regierung soll zudem prüfen, "ob betroffene Unternehmen regelmäßige Stresstests durchführen sollen, um chinaspezifische Risiken frühzeitig ermitteln und Abhilfemaßnahmen ergreifen zu können".
Für Belange deutscher Unternehmen in China soll sich die Regierung nur einsetzen, "wenn dies mit unseren gesamtstaatlichen Interessen vereinbar ist". Investitionen in China sollen stärker auf potenziellen Auswirkungen auf den Standort Deutschland oder EU geprüft werden. Die angedachte Prüfung auch deutscher Investitionen im Ausland hatte bereits zu Konflikten zwischen der Wirtschaft und dem eigentlich zuständigen Wirtschaftsministerium geführt. Das vom Grünen-Politiker Robert Habeck geführte Ministerium war von solchen Ideen auch wegen des bürokratischen Aufwands zunächst wieder abgerückt.
BEGRENZUNG VON GARANTIEN VORGESEHEN
Um sogenannte Klumpenrisiken zu vermeiden, sollten staatliche Investitionsgarantien für ein Unternehmen zudem auf drei Milliarden Euro pro Unternehmen und pro Land begrenzt werden, heißt es in dem Papier. Auch bei Ausnahmen sollen sie auf maximal fünf Jahre begrenzt werden. Ingesamt sollen Investitionsgarantien an die Nachhaltigkeits-, Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards sowie der Vermeidung von Zwangsarbeit in Lieferketten gebunden werden. Stattdessen sollen Investitionen in andere Länder gefördert werden.
Auch bei den staatlichen Exportkreditgarantien will das Auswärtige Amt die Prüfmaßstäbe mit Blick auf die Vermeidung von ungewolltem Technologietransfer verschärfen. Dies soll etwa sensible Dual-Use-Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. und solche Produkte betreffen, die zu Überwachung und Repression genutzt werden können. Insgesamt sollen Unternehmen geopolitische Risiken bei ihren Entscheidungen "adäquat" berücksichtigen. "Im Falle einer geopolitischen Krise sollen nicht erneut staatliche Mittel hierfür einstehen", heißt es. Sowohl die Investitions- und Exportgarantien sind Versicherungssysteme, bei denen die Firmen Gebühren für die Garantien zahlen müssen. Im Wirtschaftsministerium war bereits vorgeschlagen worden, dass die Gebühren etwa für Investitionsabsicherungen für China angehoben werden sollen - auch um einen Anreiz für eine Diversifizierung der Investitionen in andere asiatische Staaten zu schaffen. Vorgeschlagen wird auch der Aufbau von Rohstoff-Lagern ähnlich wie bei Öl, um die Abhängigkeit von Ländern wie China beim Bezug von Rohstoffen abzubauen.
In dem Entwurf wird indirekt erneut Kritik an dem von Kanzler Olaf Scholz durchgesetzten Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco in eine Betreibergesellschaft eines Containerterminals im Hamburger Hafen geübt. So heißt es, dass bei chinesischen Investitionen in Häfen "nicht nur auf die Prüfung des einzelstaatlichen bzw. jeweiligen Standort-Interesses an(kommt), sondern auf eine europäische Gesamtschau mit Blick auf die Sicherung der europäischen Hafeninfrastruktur" ankomme. Grüne und FDP hatten anders als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Vorbehalte gegen den Einstieg. Das Kanzleramt argumentierte, dass es sich bei der Betreibergesellschaft nicht um kritische Infrastruktur handele.
Auch die Rüstungsexportpolitik gegenüber China soll mit neuen Güterlisten auf deutscher und europäischer Ebene verschärft werden, etwa für die Bereiche Cybersicherheit und Überwachungstechnik.
"SYSTEMISCHE RIVALITÄT IST PRÄGENDES ELEMENT"
Insgesamt durchzieht das Papier ein sehr kritischer Blick auf die Rolle Chinas. Einerseits heißt es zwar, dass es beim Ansatz bleib, dass China gleichzeitig Partner, Konkurrent und systemischer Rivale sei und es keine neue Frontstellung geben solle. Andererseits wird aber etwa auf Seite 3 des Papiers betont: "Die systemische Rivalität mit China ist zu einem prägenden Element der internationalen Beziehungen geworden." Sie bilde den Hintergrund, vor dem die Bundesregierung bilateral und im europäischen Kontext ihre Zusammenarbeit mit China und ihren Umgang mit den Herausforderungen durch China neu kalibrieren und an die gegenwärtige Entwicklung Chinas anpassen müsse. (Reuters)