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Ökologischer Bumerang: Wird die Energiewende von Müllbergen gestoppt?

Lesezeit: 5 min
08.12.2022 08:00
Solar- und Windparks werden von den Medien als Klima- und umweltgerecht dargestellt. Ausgeblendet wird dabei das „Vorher“ und „Nachher“ der reinen Betriebszeit.
Ökologischer Bumerang: Wird die Energiewende von Müllbergen gestoppt?
Bau und Entsorgung vermeintlich umweltfreundlicher Energieformen sind äußerst energieintensiv. (Foto: dpa)

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Wenn auch der Anteil alternativer Energiequellen in den vergangenen Jahren im gesamten Energiemix weniger stark gewachsen ist, als dies allgemein eingeschätzt wird, so zeigen die Aufwendungen von rund 3,6 Billionen Euro, die in den letzten zehn Jahren weltweit in den Ausbau erneuerbarer Energiequellen flossen, doch die Ernsthaftigkeit der Bemühungen zur Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern.

Nach erheblichen Investitionen in Technologie, Medien, Administration, etc. liegt der Anteil der Erneuerbaren auf globaler Ebene mittlerweile bei gut 19 Prozent. Wind- und vor allem Solarenergie erlebten einen regelrechten Boom, wobei finanzielle Anreize für Privathaushalte und Unternehmen auch das ein oder andere weniger ausgeprägte ökologisches Bewusstsein zu überzeugen halfen.

„Entscheidend ist, was hinten raus kommt!“

Mit obigem Ausspruch wusste Helmut Kohl vor beinahe 40 Jahren ungewollt humorvoll die Kritik an seinem Regierungsstil zu kontern. Möglicherweise würde der ehemalige Bundeskanzler auch heute so auf diejenigen reagieren, die das Mantra der sauberen, nebenwirkungsfreien Energieerzeugung in Frage stellen. Denn klar ist, jede aus Wind- und Sonnenkraft gewonnene Kilowattstunde fließt im Moment ihrer Erzeugung „hinten“ vollkommen Emissionsfrei ins Stromnetz, was den Betreiber der jeweiligen Anlage dann auch mit einem guten ökologischen Gewissen ausstattet.

Was „vorne“ passiert, steht auf einem anderen Blatt, ist grundsätzlich zwar bekannt, wird aber ungern thematisiert, da es dem Narrativ der unbefleckten Energiegewinnung abträglich ist. Zum einen entstammt ein Großteil der sogenannten kritischen Rohstoffe, die für eine Abkehr von fossiler Energie notwendig sind, aus Ländern mit eher niedrigen Umweltschutz- und Menschenrechtsstandards, wodurch es bei der Förderung dieser Güter immer wieder zu Konflikten, Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen kommt.

Die Bergbaubranche ist enorm wasser- und energieintensiv (und nutzt dabei beinahe ausschließlich fossile Energieträger), setzt eine Vielzahl von Chemikalien ein und geht auch nicht immer zimperlich mit den Rechten indigener und bäuerlicher Gemeinschaften in ihren jeweiligen Abbaugebieten um.

Zudem mangelt es in dieser Branche vielfach an Transparenz, was Herkunftsnachweise erschwert bis unmöglich macht und kaum Rückschlüsse über die Förderbedingungen zulässt. Neu entstehende Abhängigkeiten sind ein mögliches politisches Problem. Wohin diese führen können, zeigt die derzeitige Energiekrise sehr deutlich. Eine Wiederholung dessen an anderer Stelle und mit anderen Beteiligten ist auf Grund der herrschenden Sachzwänge leider nicht unwahrscheinlich.

Solarstrom ökologisch bedenklich?

Die Bedeutung der Solarenergie ist in den vergangenen 20 Jahren stetig gewachsen. Zum einen bedingt durch finanzielle Anreize - nicht nur hierzulande - aber auch dank mehrerer Innovationswellen in der Produktion, die hauptsächlich von den branchenbeherrschenden chinesischen Modulherstellern vorangetrieben wurden, was zu kräftig gesunkenen Preisen geführt hat.

Gleichzeitig hat sich der Wirkungsgrad von Solarmodulen in den letzten zehn Jahren jedes Jahr um im Schnitt 0,5 Prozent verbessert, in Kombination bedeutet dies für den Endverbraucher weitaus geringere Vorlaufkosten pro erzeugter Energieeinheit.

Trotz, oder gerade wegen, dieser technischen Fortschritte explodiert der Rohstoffhunger der Branche geradezu. Beispielsweise verbrauchte die Solarindustrie im Jahr 2000 weltweit noch weniger als 30 Tonnen des für Photovoltaik-Anlagen wichtigen Silbers. In diesem Jahr, also nur etwas mehr als 20 Jahre später, waren es gut 3.000 Tonnen. Damit hat sich der Bedarf der Branche in weniger als einer Generation verhundertfacht.

Neben Silber stecken in Solaranlagen und deren Infrastruktur eine Vielzahl weiterer Metalle, für alle werden erhebliche, teils uneinbringliche, Bedarfssteigerungen prognostiziert, sollen die vereinbarten Klimaziele eingehalten werden. Kupfer ist eines dieser Metalle, bei denen die Kluft zwischen Bedarf und förderbarer Menge wächst, auch „Seltene Erden“ heißen nicht grundlos so.

Der Blick auf die Produktionsseite wirft bereits einen breiten Schatten auf die grüne Idylle, bedenkt man noch den enormen Platzbedarf moderner Solarparks im Vergleich zu konventionellen Kraftwerken – Solaranlagen benötigen etwa 17-mal mehr Fläche als Kohlekraftwerke, 47-mal mehr als Kernkraftwerke und 140-mal mehr als Gaskraftwerke – werden die Fragezeichen nicht kleiner. Menschliche Innovationskraft wird Teile dieser Probleme zwar entschärfen. Dennoch werden Umweltbelastungen paradoxerweise mit der Bereitstellung umweltschonender Energiegewinnung verbunden bleiben, allein „hinten“ merkt man davon nichts.

Bedrohliche Abfallflut

Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) geht in ihren offiziellen Prognosen davon aus, „dass bis Anfang der 2030er Jahre mit großen jährlichen Abfallmengen zu rechnen ist", die sich bis zum Jahr 2050 auf 78 Millionen Tonnen belaufen werden.

Nun könnte man sagen, dass dies zwar eine gewaltige Menge Müll ist, bei so vielen Jahren Vorbereitungszeit ergibt sich daraus aber eher eine große Chance für die Rückgewinnung wertvoller Materialien, als das daraus eine ernsthafte Bedrohung entstünde. Allerdings gehen die Vorhersagen der IRENA davon aus, dass die Kunden ihre Module während des gesamten 30-jährigen Lebenszyklus an Ort und Stelle belassen und berücksichtigen nicht die Möglichkeit eines weit verbreiteten vorzeitigen Austauschs.

Sowohl die schon oben angesprochene technische Weiterentwicklung als auch wirtschaftliche Anreize dürften jedoch dafür sorgen, dass mehr und mehr Kunden, Private wie Unternehmen, ihre vorhandenen Paneele gegen neuere, billigere und effizientere Modelle eintauschen werden. Und in einer Branche, in der Kreislauflösungen wie das Recycling nach wie vor unzureichend sind, könnte die schiere Menge der bereits frühzeitiger als erwartet weggeworfenen Paneele entsprechend bald ein erhebliches Risiko darstellen.

Die renommierte Harvard-Universität teilt die Prognose der IRENA zumindest nicht und kommt zu einer deutlich bedrohlicheren Einschätzung der Abfallproblematik. Die dortigen Forscher gehen davon aus, das die Kombination aus sinkenden Installationspreisen, steigender Moduleffizienz und attraktiven Vergütungsraten für die Einspeisung von Solarstrom ins Stromnetz Verbraucher zum Austausch bewegen wird, ganz unabhängig davon, ob deren bestehenden Module bereits am Ende ihres Lebenszyklus angekommen sind oder nicht.

Allein für die USA, auf die sich die Studie der Bostoner Forscher bezieht, liegen die Abfallmengen schon bis 2025 etwa 50-mal höher als die Prognose der IRENA. Und die Analyse beschränkt sich lediglich auf private Anlagen, gewerbliche und industrielle Solarinstallationen sind in diesem Modell noch gar nicht berücksichtigt. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass die derzeitigen Recyclingkapazitäten der Branche für die zu erwartende Abfallflut nicht ausreichen. Der finanzielle Anreiz, in das Recycling zu investieren, war in der Solarbranche noch nie sehr groß. Die Paneele enthalten zwar geringe Mengen an wertvollen Materialien wie Silber, bestehen aber größtenteils aus geringwertigem Glas. Auch die lange Lebensdauer von Solarmodulen wirkt sich negativ auf die Innovationsmotivation in diesem Bereich aus. Alles in allem hinkt die Recycling-Infrastruktur dem Produktionsboom deutlich hinterher.

Darüber hinaus werden Solarmodule von einigen Behörden aufgrund der enthaltenen Mengen an Schwermetallen als Sondermüll eingestuft. Damit gehören sie also nicht in den Hausmüll - was auf Grund ihrer Sperrigkeit und der nicht für jeden zu bewerkstelligende aufwendige Demontage ohnehin nur eine theoretische Möglichkeit wäre - sondern müssen einem Dienstleister übergeben werden, der eine ordnungsgemäße Entsorgung gewährleisten kann.

Diese Zusatzkosten kommen noch zu den eigentlichen Recyclingkosten hinzu, die im Schnitt etwa 15-mal höher liegen als die einer einfachen Entsorgung auf der Mülldeponie. Bleiben diese Kosten auf Grund gesetzlicher Regelungen bei den Produzenten hängen - in der EU wird die Verantwortung für das Recycling den Herstellern auf der Grundlage ihres aktuellen Marktanteils zugewiesen - könnte dies die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Branche gefährden. Würden diese sie auf die Verbraucher abwälzen jedoch auch, da die Nachfrage nach neuen Modulen einbräche. Man könnte sagen, die als so sauber geltende Solarbranche droht unter der Last ihres eigenen Mülls erdrückt zu werden und gefährdet selbst den Erfolg der Energiewende.

Es ist nicht nur Solar betroffen – Ökomüll wird Zukunftsthema

Ähnliche Schwierigkeiten drohen auch bei anderen Technologien für erneuerbare Energien. Seien es hunderttausende Tonnen gigantischer Windturbinenflügel, die auf den Mülldeponien landen werden oder die Batterien von Elektroautos, von denen nach vorherrschenden Schätzungen derzeit erschreckende 95 Prozent unrecycled bleiben.

Angesichts der gleichzeitig rasant steigenden Wachstumsraten im EV-Sektor steht hier eine weitere Branche unter erheblichem Innovationsdruck. Klar wird, dass es nicht an Lösungen zum Vorantreiben alternativer Energie fehlt, sondern das, „was hinten rauskommt“, oder am Ende übrig bleibt, sträflich vernachlässigt wurde. Die Branche muss ihre Kurzsichtigkeit überwinden, dringend Recyclingkapazitäten aufbauen und vermeiden, dass ungewollt ein Übel durch ein anderes ersetzt wird.

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 

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