Wirtschaft

Party in der Puszta: Autobauer und Batteriefirmen zieht es nach Ungarn

Ungarn nutzt seine Standortvorteile mit Hilfe der Regierung. Das Land steigt zu einem internationalen Drehkreuz für die E-Mobilität auf.
24.12.2022 08:00
Lesezeit: 2 min

Deutsche Autokonzerne und fernöstliche Batteriehersteller bauen Ungarn zu einer Hochburg für Elektromobilität aus - mit satter Hilfe des Staates. Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban lockt die Firmen mit Staatsgeld an und schickt sich damit an, Ungarn zu einem der weltweit wichtigsten Zentren für die Branche zu machen. „Kathoden, Anoden, Separatoren, Fertigungsstraßen, die gesamte Wertschöpfungskette der Batterieindustrie ist da“, sagt Dirk Wölfer von der deutsch-ungarischen Handelskammer in Budapest. „Das ist ein Fuß in die Tür zu Europa.“

Die Nachrichtenagentur Reuters hat die Daten von 32 Investitionsprojekten untersucht, die in den vergangenen zehn Jahren Geld vom ungarischen Staat erhalten hatten. In 30 Fällen stammten die Unternehmen aus nur drei Ländern - Deutschland, China und Südkorea. Im Schnitt erhielten die Firmen rund 15 Prozent ihrer Investitionen als Zuschuss; davon profitierten unter anderem der Münchner Autobauer BMW oder Mercedes.

Die Subventionspolitik der Regierung in Budapest zusammen mit der Aussicht, Autowerke in der Nachbarschaft von Batteriefabriken anzusiedeln, machen nach Einschätzung einer Vielzahl von Experten Ungarn als Standort attraktiv. Insgesamt flossen allein in den vergangenen sechs Jahren Direktinvestitionen im Gesamtvolumen von mehr als 14 Milliarden Euro nach Ungarn mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern.

Deutsche Autobauer verstärken Investitionen

Ein Netzwerk entsteht weit im Osten Ungarns: In Debrecen baut BMW sein Werk für die Elektroautos der „Neuen Klasse“, in der unmittelbaren Nachbarschaft entsteht eine Gigafabrik von CATL, dazu Zulieferer von Bremsenherstellern über Kathodenproduzenten bis hin zu Maschinenbauern.

Mercedes-Benz rüstet seine Anlage in Kecskemet für den Bau von Elektroautos, die Volkswagen-Tochter Audi betreibt ein Werk in Györ im Westen des Landes. Für Orban kommen die Investitionen gelegen - er steht derzeit mit einer Inflation von mehr als 20 Prozent erheblich unter Druck, Experten sagen zudem zunehmende wirtschaftliche Schwierigkeiten im kommenden Jahr voraus. Dazu kommt der anhaltende Streit mit der EU-Kommission, die wegen mangelnder Fortschritte im Kampf gegen angebliche Korruption die Auszahlung von Mitteln in Milliardenhöhe zurückhält.

Und doch birgt die Elektroauto-Offensive auch Risiken für Ungarn. Zum einen ist da die Frage nach der Energie - all die neuen Werke benötigen große Mengen Strom. Weil die Autofirmen sich selbst CO2 Ziele gesetzt haben, muss nach Einschätzung der Experten die Energiewende beschleunigt werden, weg vom derzeit noch vorherrschenden fossilen Strom: 2021 wurde 80 Prozent des Stroms in Ungarn in konventionellen Kraftwerken erzeugt, dazu kamen 14,5 Prozent Atomstrom, wie aus dem statistischen Energie-Jahrbuch des Ölkonzerns BP hervorgeht. Solarenergie steuerte nur 3,6 Prozent zum Strommix bei.

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto traf sich im November mit Spitzenvertretern von BMW und dem Zulieferer Schaeffler in München, dabei ging es auch um die Frage, wie der Ökostrom-Anteil im Strommix erhöht werden könnte. CATL wiederum will Solarparks zusammen mit örtlichen Partnern bauen.

Einige Experten verweisen zudem auf den Fachkräftemangel in Ungarn, was insbesondere bei den Batteriefabriken den Kapazitätsaufbau bremsen könnte. Die zuständigen ungarischen Behörden antworten nicht auf eine Reuters-Anfrage zur Autobranche.

Und dann bleibt die Offenheit Ungarns für Investitionen aus China - zu einem Zeitpunkt, zu dem eine zu große wirtschaftliche Abhängigkeit von der Volksrepublik in Brüssel und Berlin mit Sorge gesehen wird, insbesondere bei Zukunftstechnologien. Csaba Kilian vom ungarischen Auto-Branchenverband verweist darauf, dass die Branche derzeit kaum eine andere Wahl hat. „Ich stimme absolut zu, dass die europäischen Hersteller ihre eigenen Quellen haben sollten“, sagte er, „aber es ist ein Wettbewerb, und China hat gute Schritte gemacht.“

Lesen Sie dazu: Bidens Wirtschaftskrieg gegen China löst internationalen Subventionswettlauf aus

Trotz der Risiken präsentiert Ungarn den Investoren ein rundes Paket, sagte Alexander Timmer, Partner bei der Beratungsfirma Berylls Strategy Advisors, der mehrere Projekte in Ungarn begleitet hat. „Die Kombination von Kostenvorteilen, staatlichen Subventionen und der Nähe zu den Werken der Autobauer lässt Ungarn zunehmend attraktiv für Batteriehersteller werden.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Technik streikt: Zählt Ausfallzeit zur Arbeitszeit?
01.07.2025

Wenn im Büro plötzlich die Technik versagt, stellt sich schnell eine Frage: Muss weitergearbeitet werden – oder zählt die Zeit...

DWN
Politik
Politik NATO ohne Substanz: Europa fehlen Waffen für den Ernstfall
01.07.2025

Europa will mehr für die Verteidigung tun, doch der Mangel an Waffen, Munition und Strategie bleibt eklatant. Experten warnen vor fatalen...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft PwC: Künstliche Intelligenz schafft Jobs nur für die, die vorbereitet sind
30.06.2025

Künstliche Intelligenz verdrängt keine Jobs – sie schafft neue, besser bezahlte Tätigkeiten. Doch Unternehmen müssen jetzt handeln,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen United Internet-Aktie unter Druck: 1&1 reduziert Prognose
30.06.2025

1&1 senkt überraschend seine Gewinnprognose trotz zuletzt guter Börsenstimmung. Der Grund: deutlich höhere Kosten beim nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation in Deutschland sinkt im Juni auf 2,0 Prozent: Energiepreise entlasten
30.06.2025

Die Inflation in Deutschland hat im Juni einen überraschenden Tiefstand erreicht – doch nicht alle Preise sinken. Was bedeutet das für...

DWN
Politik
Politik Trumps Schritte im Nahen Osten: Nur der Anfang eines riskanten Spiels
30.06.2025

Donald Trump bombardiert den Iran, erklärt die Waffenruhe – und feiert sich selbst als Friedensbringer. Experten warnen: Das ist erst...