Moskaus Botschafter in Washington wirft den USA angesichts der Lieferung des Patriot-Flugabwehrsystems an die Ukraine die Fortsetzung eines „Stellvertreterkriegs“ gegen Russland vor. Es gehe den USA darum, einen Sieg über Russland zu erzielen, sagte der russische Botschafter Anatoli Antonow am Donnerstag in Washington. Der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Washington sei dafür im „Hollywood-Stil“ inszeniert worden. Das zeige, dass Washingtons Beteuerungen, nicht die Konfrontation mit Russland zu suchen, „nur leere Worte“ seien. Selenskyj hatte am Mittwoch US-Präsident Joe Biden getroffen.
Selenskyjs Besuch in den USA zeige, dass weder Washington noch Kiew bereit seien für einen Frieden. Stattdessen werde die „Lüge“ verbreitet, dass Russland nicht an einer friedlichen Lösung interessiert sei. Geleitet würden die USA von der „krankhaften Vorstellung eines Sieges über die Russen auf dem Schlachtfeld“, sagte Antonow einer bei Facebook veröffentlichten Mitteilung der Botschaft zufolge. Dafür würden enorme finanzielle Ressourcen, Waffen und die Aufklärung genutzt.
Zugleich erneuerte der Diplomat Warnungen, dass die russischen Streitkräfte das Patriot-System wie andere westliche Waffen auch zerstören würden. Russland geht demnach davon aus, dass die Waffen von US-Amerikanern oder Spezialisten anderer Nato-Staaten bedient werden, weil die Ukrainer selbst dazu nicht in der Lage seien. Dieser Punkt ist bedeutsam: denn wenn die Patriot-Systeme in der Ukraine wirklich von NATO-Soldaten bedient werden müssten, stünden beide Seiten in direktem kriegerischen Kontakt miteinander.
„Die Vereinigten Staaten tragen die volle Verantwortung für den Ausbruch des Ukraine-Konflikts 2014“, behauptete Antonow. Er meinte, dass Russlands Präsident Wladimir Putin vor dem Einmarsch immer wieder Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts angeboten habe.
Ukraine erhält Patriot-Systeme
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei seinem Besuch in den USA um weitere Unterstützung für sein Land gebeten und die Hilfen in einen globalen Zusammenhang gerückt. „Ihre Gelder sind keine Almosen. Sie sind eine Investition in die globale Sicherheit und Demokratie“, sagte Selenskyj am Mittwoch in einer Rede bei einer gemeinsamen Sitzung des US-Senats und des Repräsentantenhauses.
Die Welt sei zu sehr miteinander verbunden, als dass sich ein Land sicher fühlen könne. „Dieser Kampf wird darüber entscheiden, in welcher Welt unsere Kinder und Enkelkinder und deren Kinder und Enkelkinder leben werden.“ US-Präsident Joe Biden hatte zuvor weitere Militärhilfen der USA in Höhe von 1,85 Milliarden Dollar angekündigt, die auch das Luftabwehrsystem Patriot beinhalten.
Selenskyj - wie seit Kriegsausbruch üblich in olivgrünem Pullover und Cargohose - war beim Betreten des Plenarsaals mit stehenden Ovationen empfangen worden. Einige Abgeordnete schüttelten ihm die Hand, viele trugen die blau-gelben Farben der ukrainischen Flagge. „Es ist eine große Ehre für mich, im US-Kongress zu sein und zu Ihnen und allen Amerikanern zu sprechen“, sagte er. „Entgegen allen Untergangsszenarien ist die Ukraine nicht gefallen. Die Ukraine ist quicklebendig.“ Er verglich den Kampf seines Landes gegen Russland mit den Schlachten des Zweiten Weltkriegs der US-Revolution.
Abgeordnete sprangen während der Rede wiederholt auf und bejubelten Selenskyj. Es war seine erste Auslandsreise seit Beginn des Kriegs im Februar.
Der Zeitpunkt des Besuchs war gut gewählt: Genau 300 Tage seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine, am Tag der Bestätigung eines neuen US-Botschafters für Russland und kurz vor der Abstimmung des Kongresses über zusätzliche knapp 50 Milliarden Dollar an neuer Soforthilfe.
Republikaner skeptisch
Die Republikaner, die am 3. Januar die Kontrolle über das Repräsentantenhaus von den Demokraten übernehmen werden, haben jedoch Bedenken hinsichtlich weiterer Gelder und könnten ab Januar Milliarden Dollar an Kriegshilfen blockieren. Die USA haben der Regierung in Kiew bislang rund 50 Milliarden Dollar in Form von humanitärer, finanzieller und militärischer Unterstützung bereitgestellt.
Biden hatte zuvor - in blauem Anzug und mit blau-gelb gestreifte Krawatte - Selenskyj auf einer gemeinsamen Pressekonferenz zugesagt, die Luftverteidigung der Ukraine zu stärken. Deshalb werde man das Patriot-System der Ukraine zur Verfügung stellen und deren Streitkräfte darin schulen.
Selenskyj hatte in der Vergangenheit zudem den Westen wiederholt aufgefordert, auch Kampf- und Schützenpanzer westlicher Bauart zu liefern. Die Bitte geht vor allem an Deutschland mit dem Kampfpanzer Leopard 2. Die Bundesregierung hat sich bislang der Forderung aber verweigert und verweist darauf, dass noch kein westlicher Staat solche Panzer an die Ukraine geliefert hat. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte betont, er lehne deutsche Alleingänge ab.
Nach Rückschlägen am Boden ist Russland in den vergangenen Kriegswochen verstärkt dazu übergegangen, ukrainische Städte mit Raketen zu beschießen und dabei besonders die kritische Infrastruktur ins Visier zu nehmen. Millionen Ukrainer sind deshalb derzeit im eisigen Winter ohne Strom und fließendes Wasser. Russland wirft dem Westen vor, mit den Waffenlieferungen den Krieg in die Länge zu ziehen.
Biden sagte, Putin wolle den Krieg nicht beenden. Wenn Selenskyj zu Verhandlungen mit Russland bereit sei, dann werde er „auch erfolgreich sein, weil er auf dem Schlachtfeld gewonnen hat.“ Selenskyj sagte, ein „gerechter Frieden“ mit Russland beinhalte keine Kompromisse bei der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine.
Die Nachrichtenagentur Tass zitierte den russischen US-Botschafter mit den Worten, Selenskyjs Besuch bestätige, dass die Erklärungen der USA, keinen Konflikt mit Russland zu wollen, leere Worte seien. Das provokative Vorgehen der USA in der Ukraine führe zu einer Eskalation, deren Folgen man sich nicht vorstellen könne. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, weitere westliche Waffenlieferungen an die Ukraine würden zu einer „Verschärfung“ des Konflikts führen.
Putin hatte am Mittwoch in Moskau Unzufriedenheit mit seinem Militär durchblicken lassen und erklärt, die Armee müsse aus den Problemen in der Ukraine lernen. Er bekräftigte, alle militärischen Ziele würden erreicht. Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte, die Streitkräfte müssten um 350.000 auf 1,5 Millionen Soldaten wachsen. Putin hatte erst im Sommer angeordnet, die Truppenstärke ab Januar um 137.000 Soldaten auf 1,15 Millionen zu erhöhen.