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Autobauer treiben eigene E-Ladenetze voran

Lesezeit: 3 min
06.01.2023 10:45  Aktualisiert: 06.01.2023 10:45
Der Ausbau der E-Ladenetze in Europa schleppt. Zuletzt arbeitet auch die Bundesregierung an dem Problem. Doch etliche Autobauer setzen nun auf eigene Lösungen.
Autobauer treiben eigene E-Ladenetze voran
Mit besseren Ladenetzen könnte die Elektroauto-Akzeptanz steigen. (Foto: dpa)

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Der Ausbau des E-Ladenetzes hinkt der wachsenden Zahl von Elektroautos weiter hinterher. Kamen etwa Anfang 2021 noch 14 E-Autos auf einen Ladepunkt, waren es nach Zahlen des Verbands der Automobilindustrie (VDA) zuletzt 23. Zwar will die Bundesregierung gegensteuern - etliche Autobauer wollen sich aber nicht nur auf die Politik verlassen und treiben den Aufbau der Ladeinfrastruktur selbst voran. Am Donnerstag kündigte auch Mercedes-Benz ein eigenes Netz mit weltweit 10 000 Ladepunkten bis Ende des Jahrzehnts an. Einen einstelligen Milliardenbetrag wollen die Stuttgarter investieren.

„Wir wollen nicht zusehen und abwarten, bis es gebaut ist. Daher errichten wir selbst ein globales Schnellladenetzwerk“, sagte Mercedes-Chef Ola Källenius. Man habe zunächst gedacht, dass andere Player wie Energieunternehmen den Bedarf decken würden, sagte Technikchef Markus Schäfer. „Aber das ist nicht passiert.“

Zum Vergleich: Der US-Autobauer Tesla betreibt nach eigenen Angaben 40 000 Hochleistungs-Ladestationen weltweit - der Großteil davon ist aber noch der eigenen Kundschaft vorbehalten, auch wenn die Firma eine Öffnung in Aussicht stellt. Der VW-Konzern will bis Ende 2025 mit Partnern weltweit gut 45 000 Schnellladepunkte einrichten.

Wie viele Ladepunkte konkret in Deutschland entstehen werden, teilte Mercedes nicht mit. Klar ist aber: Für die weltweiten Ausbauziele - alleine die Bundesregierung will eine Million öffentlich zugängliche Stecker bis 2030 - sind die Pläne der Stuttgarter allenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein. Daraus machte Källenius im Gespräch mit Journalisten auch keinen Hehl. Vielmehr gehe es darum, weitere Mercedes-Kunden zu locken. Sie sollen etwa von der bevorzugten Nutzung mittels Reservierung profitieren.

Weitaus größer sind die Ladenetze, die sich die Autokonzerne mittels Kooperationen gesichert haben. Für Mercedes-Fahrer stünden etwa eine Million Ladepunkte weltweit zur Verfügung, sagte Källenius. Das auf eine BMW-Initiative zurückgehende Digital Charging Solutions-Netz (DCS), an dem auch Mercedes und der Ölkonzern BP beteiligt sind, kommt nach eigenen Angaben auf über 400 000 Ladepunkte in Europa in Japan. Mercedes betreibt unter anderem gemeinsam mit BMW, VW, Ford und Hyundai das Konsortium Ionity, das in Deutschland bislang 480 Schnellladesäulen mit bis zu 350 Kilowatt Ladeleistung errichtet hat.

Auch der paneuropäische Autobauer Stellantis hat 2021 in Italien mit dem Aufbau seines Schnellladenetzes begonnen. Neben dem auf Südeuropa beschränkten Projekt Atlante gibt es eine Kooperation mit dem Anbieter TheF Charging, bis 2025 ein Netz mit mehr als 15 000 Standorten und zwei Millionen Stellplätzen aufzubauen.

Hat die Politik den Ausbau der Ladeinfrastruktur in den vergangenen Jahren also so sehr verschlafen, dass die Autoindustrie den einzigen Ausweg in der Eigeninitiative sieht? VDA-Präsidentin Hildegard Müller formuliert es so: „Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die nur gelingen kann, wenn alle Akteure diese tragen und Verantwortung übernehmen.“ Jeder müsse seinen Beitrag leisten - und dabei sei natürlich auch die Autoindustrie engagiert.

Dabei zeigt der Blick auf die Zahlen, dass die Ziele der Regierung noch in weiter Ferne liegen. Laut Daten der Bundesnetzagentur von Anfang November 2022 wuchs die Zahl der Ladepunkte binnen eines Jahres um rund 17 000 auf insgesamt 72 000. Ginge es in diesem Tempo weiter, wäre das Ziel von einer Million Ladepunkte rein rechnerisch erst im Jahr 2077 erreicht. Um schneller zu werden, beschloss das Kabinett im Oktober einen „Masterplan Ladeinfrastruktur“ und will dafür 6,3 Milliarden Euro in die Hand nehmen. Das zeige zumindest, dass sich die Bundesregierung der Herkulesaufgabe bewusst sei, hieß es vom ADAC.

Das Ausbautempo 2022 bewertete der Automobilclub vergleichsweise positiv. Immerhin habe die Zahl der Ladepunkte im vergangenen Jahr einigermaßen mit der Zahl der neu zugelassenen E-Autos Schritt gehalten, lobte auch VDA-Chefin Müller. Aber: „Das Angebot müsste der Nachfrage vorauseilen, damit das Vertrauen der Menschen in die E-Mobilität weiter wachsen kann.“ Davon sei Deutschland noch weit entfernt. Vor allem bei den Schnellladern müsse es daher mit hohem Tempo weiter vorangehen.

Für Deutschland zählt die Bundesnetzagentur bislang rund 12 000 solcher Stecker, die ab einer Ladeleistung von mehr als 22 Kilowatt als Schnellladepunkte definiert sind. Rund ein Viertel davon erreicht die höchste Leistungsklasse von über 300 Kilowatt. In diese Bereiche will auch Mercedes mit seiner neuen Infrastruktur vorstoßen. Eine Batterie könne so von 10 auf 80 Prozent in rund einer halben Stunde geladen werden. „Wir werden das noch signifikant verkürzen“, kündigte Technikchef Schäfer auf der Technik-Messe CES in Las Vegas an. Mit besserer Ladeinfrastruktur werde die Elektroauto-Akzeptanz steigen.

Der Karlsruher Energiekonzern EnBW schätzt, dass es bis 2030 bundesweit etwa 130 000 bis 150 000 Schnellladepunkte - und nicht eine Million überwiegend langsame normale Ladepunkte - brauche, um die von der Bundesregierung angepeilten 15 Millionen Elektroautos zu versorgen. Rund 30 000 davon will EnBW selbst bauen. Schon heute betreibt der Konzern mit 2800 Ladepunkten das nach eigenen Angaben größte Schnellladenetz Deutschlands.

Die Ausbauzahlen sind das eine - aber wie sieht es angesichts der zig Anbieter mit der Nutzerfreundlichkeit aus? Der ADAC beklagte, dass ein E-Autofahrer schnell den Überblick verlieren kann. Mal brauche er eine Ladekarte, mal eine App. An dieser Säule zahle er per Smartphone, an der anderen per Rechnung zum Monatsende. Einige Anbieter verlangen eine Grundgebühr, einige ab einer gewissen Standzeit an der Ladesäule einen Aufschlag pro Minute. Es bleibt also noch einiges zu tun auf dem Weg in die vollelektrische Mobilität. (dpa)

 


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