Politik

Putins Generalstabschef: Russland kämpft in Ukraine gegen den „kollektiven Westen“

Lesezeit: 4 min
29.01.2023 00:41  Aktualisiert: 29.01.2023 00:41
Russlands Generalstabschef gibt Einblicke in den neuen Armeeplan des Kreml. Neben dem Umbau des Militärs geht es dabei um mögliche Bedrohungen. Demnach sieht Russlands Generalstab sich in der Ukraine im Krieg „mit dem kollektiven Westen“.
Putins Generalstabschef: Russland kämpft in Ukraine gegen den „kollektiven Westen“
Russlands Generalstabschef Valeri Gerassimov im Gespräch mit Wladimir Putin. (Foto: dpa)
Foto: Alexey Druzhinin / Sputnik / Kre

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Vor elf Monaten hat die militärische Operation Russlands in der Ukraine begonnen. Seit diesem Tag hat sich weltweit und in Russland viel getan. Anlässlich des 260-jährigen Bestehens des russischen Generalstabs gab Generalstabschef Valeri Gerassimov der russischen Zeitung Argumenty i Fakty ein Interview und gab einen Einblick in die strategische Abteilung der russischen Streitkräfte.

Viele Umgestaltungen mit der Oktoberrevolution 1917

Zu Beginn des Interviews geht Gerassimov auf die Rolle des Generalstabs in der russischen Historie ein. Er verdeutlicht, dass der Generalstab seit Jahrhunderten eine entscheidende Rolle bei der Gewährleistung der militärischen Sicherheit des Landes gespielt hat. Auch heutzutage habe der Generalstab seine Bedeutung unter den Streitkräften der Russischen Föderation nicht verloren.

Die Geschichte des Aufbaus geht auf das Jahr 1763 zurück, als der Generalstab der russischen Armee von Katharina II. (auch „Katharina die Große“ genannt) gegründet und von Graf Zakhar Chernyshov, dem Vizepräsidenten des Militärkollegiums, geleitet wurde. Im Vorfeld der Revolution von 1917 gab es beim Generalstab viele Veränderungen und Umgestaltungen, seine Hauptaufgabe blieb Gerassimov zu Folge aber immer die Planung und Anwendung der Streitkräfte.

Die größte bisherige Belastungsprobe für den Generalstab war der „Große vaterländische Krieg“ von 1941-1945. Das siegreiche Ergebnis zeige Gerassimov zufolge die hohen organisatorischen Fähigkeiten, die Reife und das Talent der Führungskräfte des Generalstabs sowie die außergewöhnliche Fähigkeit seiner Offiziere, ausgewogene und durchdachte Vorschläge für den Einsatz von Truppen und Kräften für die oberste Führung des Landes auszuarbeiten. Angesichts von schätzungsweise 24 Millionen toten Soldaten auf Seiten der Sowjetunion darf Gerassimovs Einschätzung zur „außergewöhnliche Fähigkeit seiner Offiziere“ allerdings bezweifelt werden.

Der Zusammenbruch der UDSSR als großer Umbruch

Mit Beginn des NATO-Bündnisses 1949 hat der russische Generalstab damit begonnen, Maßnahmen zu erarbeiten, um sich gegenüber dem Westen zu behaupten, erklärt Gerassimov: „ In dem Maße, in dem sich das Kräftegleichgewicht auf der internationalen Bühne verändert hat und das NATO-Bündnis entstanden ist, hat der Generalstab Maßnahmen ergriffen, um die Kampfkraft der Streitkräfte zu erhöhen. Die militärische und strategische Parität zwischen den beiden gegensätzlichen Systemen, die bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion Bestand hatte, ist ein Indiz für die Wirkung ihrer Bemühungen.“

Den nächsten großen Umbruch für den Generalstab gab es mit dem Zusammenbruch der UdSSR. Wie Gerassimov schildert, begann der Generalstab mit der nächsten Etappe in seiner Historie und hatte die Aufgabe, die Militärdoktrin der Russischen Föderation und das Konzept für den Aufbau der Streitkräfte zu entwickeln und in die Praxis umzusetzen.

Wichtigstes Verwaltungsorgan der Streitkräfte

Gerassimov sieht die vergangenen militärischen Herausforderungen als Erfolg, sei es der Tschetschenienkrieg, die bewaffneten Konflikte in den an Russland angrenzenden Gebieten und die Sonderoperation in Syrien hätten gezeigt, dass der Generalstab in der Lage sei Probleme in einem neuen geopolitischen Umfeld erfolgreich zu lösen.

Der Generalstab sei das wichtigste operative Verwaltungsorgan der Streitkräfte der Russischen Föderation, so der Generalstabschef. Zu seinen Aufgaben gehöre die Planung der Verteidigung der Russischen Föderation, der Einsatz und die Verwaltung der Streitkräfte, anderer Truppen, militärischer Formationen und Einrichtungen, der Nachrichtendienst, die Einsatz- und Mobilisierungsausbildung, die Überführung der Streitkräfte in die Kriegsorganisation und -zusammensetzung sowie viele andere Funktionen.

Neuer Plan zum Schutz der Souveränität Russlands

Eine der wichtigsten aktuellen Aufgaben des Generalstabs sei die Ausarbeitung eines Plans für den Aufbau und die Entwicklung der russischen Streitkräfte. Vor kurzem fand nach unter der Leitung von Russlands Verteidigungsminister, Armeegeneral Sergej Schoigu, eine Sitzung zu diesem Thema auf dem Kommando der gemeinsamen Truppengruppierung statt.

Kern des Aufbaus ist die Schaffung der Militärbezirke Moskau und St. Petersburg, die Bildung von drei Infanteriedivisionen als Teil der kombinierten Armeen in den Regionen Cherson und Saporischschja sowie eines Armeekorps in Karelien.

Das Hauptziel dieser Arbeit soll es sein, den Schutz der Souveränität und der territorialen Integrität Russlands zu gewährleisten und die Voraussetzungen für seine fortschreitende sozioökonomische Entwicklung zu schaffen. Gerassimov sei zuversichtlich, dass der Generalstab weiterhin zur Umsetzung der skizzierten Pläne beitragen wird, um die militärische Sicherheit Russlands langfristig zu gewährleisten.

Bedrohungen durch NATO-Expansion und hybriden Krieg

Gerassimov verdeutlicht, dass der Plan für den Aufbau und die Entwicklung der Streitkräfte der Russischen Föderation praktische Maßnahmen zur Umsetzung der geplanten Entwicklungsbereiche der Streitkräfte vorsieht, um die Verteidigung des Staates zu gewährleisten. Der Plan wurde von Präsident Putin gebilligt, kann aber noch angepasst werden, wenn sich die bestehenden Bedrohungen für die militärische Sicherheit der Russischen Föderation ändern oder neue auftauchen. Bezüglich der Bedrohungen macht Gerassimov deutlich, welche Gefährdungen aktuell den größten Fokus haben:

„Gegenwärtig sind die größten Bedrohungen für unser Land die Expansionsbestrebungen der Nordatlantischen Allianz auf Kosten Finnlands und Schwedens sowie die Nutzung der Ukraine als Instrument zur Führung eines hybriden Krieges gegen unser Land. Um diese Bedrohungen zu neutralisieren, hat die oberste Führung des Landes die Aufgabe gestellt, den Plan für den Aufbau und die Entwicklung der Streitkräfte anzupassen. Die Parameter wurden vom Oberbefehlshaber in einer erweiterten Sitzung des Vorstands des Verteidigungsministeriums genehmigt.“

„Unserem Land steht der kollektive Westen gegenüber“

Auf die Frage nach dem aktuellen Militäreinsatz in der Ukraine, beschreibt der Oberbefehlshaber über die russischen Truppen die Situation wie folgt: „Derzeit läuft in der Ukraine eine besondere Militäroperation unter der Leitung des Generalstabs. Das Ausmaß und die Intensität der Militäraktionen sind im modernen Russland beispiellos. Unserem Land und seinen Streitkräften steht nun praktisch der gesamte kollektive Westen gegenüber.“

Gerassimov erklärt, dass der Generalstab um die Lage zu stabilisieren, neue Gebiete zu schützen und offensive Operationen durchzuführen, die Pläne für die Teilmobilisierung aufstellen musste. Solche Maßnahmen habe es seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben. Der Militär weist darauf hin, dass das Mobilisierungssystem in Russland nicht vollständig an die modernen Wirtschaftsbeziehungen angepasst war. Aus diesem Grund musste alles im laufenden Betrieb korrigiert werden.

Dank der „guten Koordination und professionellen Maßnahmen der Offiziere des Generalstabs“ mit den Behörden der Russischen Föderation, wurden 300.000 Bürger, die sich in der Reserve befanden, zum Militärdienst einberufen, so Gerassimov. Aktuell ergreife das Personal des Generalstabs alle Maßnahmen, um die vom Oberbefehlshaber festgelegten Ziele bezüglich des Militäreinsatzes in der Ukraine zu erreichen und die Sicherheit Russlands angesichts bestehender militärischer Bedrohungen zu gewährleisten.


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