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Berlin veranstaltet bisher teuerste Wahl - Kommen die Bürger?

Lesezeit: 3 min
26.01.2023 16:41
In Berlin wird die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt. Eine große Beteiligung wird nicht erwartet. Um wenigstens die Wahlhelfer bei der Stange zu halten, erhalten sie 240 Euro Erfrischungsgeld.
Berlin veranstaltet bisher teuerste Wahl - Kommen die Bürger?
Auf der Frankfurter Allee stehen Wahlplakate zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 12. Februar. (Foto: dpa)
Foto: Christophe Gateau

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Wahlen für das Abgeordnetenhaus in Berlin gelten wegen ihres begrenzten Aussagewertes für den Rest von Deutschland und der relativ geringen Zahl von 2,4 Millionen Wählerinnen und Wählern normalerweise nicht als Top-Ereignis der deutschen Politik. Doch am 12. Februar ist alles anders: Dann wird die Welt mit Neugier auf Berlin schauen. Ausgerechnet in der deutschen Hauptstadt muss die Landtagswahl vom 26. September 2021 wegen gravierender Mängel wiederholt werden.

"Schon jetzt haben die Fehler im Wahlmanagement die ansonsten hohe Integrität der Wahlen in Berlin und damit möglicherweise in ganz Deutschland beeinträchtigt", erklärt Daniel Hellmann vom American Institute for Contemporary German Studies internationalen Lesern die Bedeutung des Vorgangs. "Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Wiederholung der Berliner Wahlen möglichst reibungslos abläuft."

Der Landeswahlleiter und die Stadt haben nicht ohne Grund auch Beobachter des Europarates und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eingeladen. Es gehe darum, Vertrauen in die Demokratie zurückzugewinnen, hatte Landeswahlleiter Stephan Bröchler dies begründet.

Doch auf dem Weg dahin gibt es hohe Hürden: So muss das Bundesverfassungsgericht noch über eine Klage entscheiden. Es könnte theoretisch sein, dass Karlsruhe trotz des bereits angelaufenen Wahlkampfes die Abstimmung kurz vor dem Wahltag ganz absagt - was in den Parteien allerdings für unwahrscheinlich gehalten wird. Kläger wenden sich gegen eine Komplettwiederholung mit dem Argument, dass die Wahl doch in vielen Berliner Stadtteilen ohne Probleme abgelaufen sei. Dazu kommt, dass bereits wieder erste, allerdings kleine Unregelmäßigkeiten gemeldet wurden. Mal wurden Briefwahlunterlagen doppelt verschickt, mal fehlte ein Dienstsiegel auf Unterlagen.

Ausgerechnet in der heißen Phase kommt ein Poststreik hinzu. Allerdings versichert die Landewahlleitung auf Anfrage, dass die Post Notfallkonzepte entwickelt habe. Dadurch sei sichergestellt, dass alle Wahlbriefe am Wahlsonntag bis 16 Uhr den Bezirkswahlämtern zugestellt würden.

43.000 Wahlhelfer sollen am 12. Februar eingesetzt werden - deutlich mehr als im September 2021. Das soll etwa mehr Wahlkabinen ermöglichen und Staus vermeiden. Dafür hat die Stadt die Aufwandsentschädigung, die offiziell "Erfrischungsgeld" heißt, drastisch erhöht auf nun steuerfreie 240 Euro. Das macht die Wahl zur teuersten in der Stadtgeschichte.

UNKLARE KOALITIONSOPTIONEN

Angesichts der widrigen Umstände rückte die Frage nach den künftigen Mehrheiten in der Stadt zunächst in den Hintergrund. Nach der jüngsten Umfrage von infratest dimap liegt die CDU mit 23 Prozent an der Spitze, danach folgen die Grünen mit 21 Prozent, während die SPD der Regierenden Bürgermeistern Franziska Giffey auf 18 Prozent abrutschte - trotz relativ guter Persönlichkeitswerte von Giffey. Die Linken landen demnach bei elf, die FDP bei sechs Prozent - und die AfD bei einem Rekordwert in Berlin von elf Prozent.

Das enge Rennen erklärt die Nervosität auf allen Seiten. Innerhalb der rot-grün-roten Landesregierung gehen etwa Giffey und die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch aufeinander los, weil Jarasch kurz vor der Wahl entschied, die zentrale Friedrichstrasse wieder für den Verkehr sperren zu wollen - was die Regierende Bürgermeisterin ablehnt. Streitthemen sind innerhalb des Bündnisses von SPD, Grünen und Linken vor allem die Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik. Seit der Silvesternacht versucht die CDU mit einer Migrationsdebatte zu punkten.

Zwar wird parteiübergreifend angenommen, dass die oppositionelle CDU schon wegen des Unmuts über die Wiederholungswahl stärkste Kraft werden könnte: Aber bei den Koalitionsoptionen sieht es für sie schwierig aus, weil es sowohl an der SPD- als auch der Grünen-Basis in den eher linken Landesverbänden eine klare Abneigung gegen ein Bündnis mit der CDU gibt.

Allerdings will die SPD auch nicht Juniorpartner der Grünen werden - und die Grünen wollen wiederum die Bürgermeisterin stellen. Möglich wäre dennoch eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition, vielleicht mit vertauschten Rollen. "Auch ein Deutschland-Bündnis aus SPD, CDU und FDP ist vielleicht möglich", meint der Berliner Politologe Gero Neugebauer.

Die große Unbekannte ist die Zahl der Wählerinnen und Wähler. Niemand rechnet damit, dass die Wahlbeteiligung von 2021 mit 75,4 Prozent wieder erreicht wird - zumal damals die Wahl mit der Bundestagswahl zusammenfiel. Damals hatten etwa 1,84 Millionen Menschen gewählt, 46,8 Prozent davon übrigens per Briefwahl. Möglicherweise sei die Wahl trotz der hitzigen Auseinandersetzung schon vorentschieden, mutmaßt man in der CDU. Denn mitten in der Hochzeit des Wahlkampfs beginnen am 30. Januar erst einmal Ferien in Berlin, so dass Briefwähler schon vorher ihre Stimme abgegeben haben dürften. Bis zum 25. Januar wurden nach Angaben des Landeswahlleiters bereits für 23,4 Prozent der Wähler die für die Briefwahl nötigen Wahlscheine ausgestellt - etwas weniger als zum Vergleichzeitpunkt 2021.

Anfang der Woche teilte die OSZE übrigens mit, am 12. Februar keine Beobachter nach Berlin zu schicken. "Ich hätte eine Wahlbeobachtung durch die OSZE begrüßt. Zugleich freue ich mich über das Vertrauen der OSZE in die Lernfähigkeit der politischen Institutionen Berlins", sagte Landeswahlleiter Bröchler. (Reuters)


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