Die Bild-Zeitung berichtete unlängst von einem vertraulichen Vermerk des baden-württembergischen Umweltministeriums. Darin schreibt das Ministerium mit Blick auf den Winter und die derzeit angespannte Versorgungssituation, dass kontrollierte Stromabschaltungen nicht mehr auszuschließen seien. Im Zuge solcher Stromabschaltungen werden energieintensive Unternehmen, Stadtteile oder ganze Regionen zeitlich begrenzt vom Stromnetz getrennt, um einen Frequenzabfall und damit einhergehend eine Instabilität des Gesamtnetzes zu verhindern.
Netzbetreiber muss eingreifen
Zuletzt musste der für Baden-Württemberg zuständige Netzbetreiber TransnetBW mehrfach intervenieren, um einen merklichen Frequenzabfall zu verhindern. Dieser tritt immer dann auf, wenn einer gewissen Nachfrage nach Elektrizität ein zu geringes Angebot gegenübersteht, also schlichtweg zu wenig Strom im System vorhanden ist, um alle Nachfrager zu bedienen.
Auch im Fall eines spürbaren Anstiegs der Netzfrequenz müssen die Betreiber reagieren, indem steuerbare Stromlieferanten wie Kohle- oder Gaskraftwerke abgeschaltet werden, da in einem solchen Fall „zu viel“ Strom einer zu geringen Nachfrage gegenübersteht. Im Optimalfall beträgt die Netzfrequenz in Deutschland 50 Hertz.
Am 15. Januar hatte TransnetBW zuletzt die Bürger des Bundeslandes dazu aufgerufen, Strom zu sparen. Ab 17 Uhr sollte die Stromnachfrage reduziert werden, sonst drohten Engpässe in der Stromversorgung, so der Betreiber.
Schon rund vier Wochen zuvor teilte TransnetBW den Kunden über seine APP mit, dass ein Engpass bei der Stromversorgung erwartet werde. Die Kunden sollten deshalb energieintensive Tätigkeiten wie Kochen oder Waschen vorziehen beziehungsweise in einem gewissen Zeitraum ganz unterlassen. Ebenso wie jetzt am 15. Januar sprang damals auch die APP von „gelb“ (Stromnachfrage vorziehen) auf „rot“ (Stromnachfrage reduzieren).
Der Grund für die Warnungen in beiden Fällen: In Norddeutschland wurde von den Windparks reichlich Strom produziert, dieser konnte aber aufgrund mangelnder Übertragungskapazitäten nicht nach Süddeutschland transportiert werden. Zudem werden die Windkraftanlagen bei Windgeschwindigkeiten von etwa 90 Stundenkilometern abgeschaltet. Ein starkes Tiefdruckgebiet mit hohen Windgeschwindigkeiten kann demnach nicht zur Stromgewinnung genutzt werden - wie im Fall einer Flaute müssen dann sogenannte „grundlastfähige“ Energieerzeuger wie Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke zugeschaltet werden. Baden-Württemberg verfügte aber zur Zeit der beiden genannten Vorfälle nicht über ausreichende eigene Kapazitäten zur Stromerzeugung.
Bereits anhand dieses Beispiels wird der schwerwiegendste Nachteil der Energiewende deutlich: wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, müssen fossile oder atomare Quellen eine zuverlässige Stromversorgung gewährleisten. Dieses Sicherheitsnetz muss rund um die Uhr einsatzbereit sein, weil sich das Wetter relativ schnell ändern kann.
Da aufgrund des Ausstiegs aus Atom- und Kohlekraft inzwischen aber weder Baden-Württemberg noch Deutschland insgesamt über ausreichende steuerbare Erzeugungskapazitäten verfügen, die bei einem solchen Engpass einspringen könnten, blieben für TransnetBW nur zwei Möglichkeiten übrig: entweder es wird aus dem Ausland Strom beschafft - oder der Verbrauch muss deutlich reduziert werden. In beiden Fällen entschied sich TransnetBW zum Bezug von Elektrizität aus dem Ausland, im ersten Fall im Dezember aus Frankreich, im zweiten Fall aus der Schweiz, wie Medien berichten.
Bevölkerung „sensibilisieren“
Geplante Stromabschaltungen („Brownout“) oder gar ein unkontrollierter Stromausfall drohten laut TransnetBW weder Anfang Dezember noch Mitte Januar. Vielmehr hätten die über die APP versendeten Warnmeldungen neben der Aktivierung der Bevölkerung auch den Zweck, diese für die Schwankungsanfälligkeit des Stromnetzes zu sensibilisieren, schrieb das Unternehmen im Dezember:
„Die Anforderung eines hohen Redispatch-Volumens im Ausland hat die Ampel in der „StromGedacht“-App von TransnetBW erstmals auf Gelb und dann auf Rot springen lassen. Diese Ampelfarben bedeuten allerdings nicht, dass konkret Stromabschaltungen zu befürchten gewesen wären. Im Sinne einer Sensibilisierung der Bevölkerung signalisieren sie aber, dass TransnetBW mehr als gewöhnlich dafür tun muss, das Stromnetz stabil zu halten. Und dass Bürgerinnen und Bürger mit einem angepassten Stromverbrauch selbst einen aktiven Beitrag leisten können. Ein solcher Punkt war in der Nacht zum Dienstag (7. Dezember 2022) erreicht, als die Kolleginnen und Kollegen in der Hauptschaltleitung von TransnetBW mehr als 700 Megawatt (MW) für Redispatch-Maßnahmen im Ausland geordert haben. Damit sollte eine für Mittwoch zwischen 14 und 15 Uhr prognostizierte angespannte Netzsituation abgemildert werden. Sinnvoll war in dieser Situation, den Strombedarf in den Vormittag vorzuziehen oder hinauszuzögern.“
Tatsächlich ist es in Deutschland jedoch schon seit Jahren gängige Praxis, dass energieintensiven Unternehmen der Strom abgestellt werden muss. Ein Beispiel dafür ist die Trimet Hütte, der größte Aluminiumproduzent des Landes aber auch hunderte mittelständische Betriebe sind von Abschaltungen betroffen.
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Auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes wirken sich regelmäßige Abschaltungen natürlich negativ aus. Das Abrutschen Deutschlands in einer Untersuchung zur Standortattraktivität erklärte das Mannheimer ZEW denn auch teilweise mit der problematischen Verfassung der Energieversorgung.Mit Blick auf Baden-Württemberg bleibt festzuhalten, dass Stromabschaltungen hier einen besonders großen wirtschaftlichen Schaden verursachen, weil das Land stark von mittelständischen Betrieben geprägt ist.
Kommen Strom-Rationierungen?
Die Stromversorgung in Deutschland wird infolge des voranschreitenden Ausbaus von Wind- und Solarenergie und dem gleichzeitig stattfindenden Rückbau bei Atomkraft sowie Gas- und Kohlekraftwerken zwangsläufig immer volatiler. Es ist daher zu erwarten, dass Netzbetreiber künftig immer häufiger aktiv ins Geschehen eingreifen müssen, um ein Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot sicherzustellen.
Der Politik ist dieses Problem bewusst. So hatte eine Arbeitsgruppe des Wirtschaftsministeriums Ende 2020 untersucht, welche konkreten Auswirkungen eine hauptsächlich auf alternativen Quellen basierende Stromversorgung für die Bürger haben würde. Ein zentraler Aspekt des Entwurfs war die Idee, dass Besitzern von Elektroautos und Elektrowärmepumpen künftig ohne Vorwarnung der Strom abgestellt werden kann, um die Nachfrage nach Energie zu mindern und dadurch einen im Netz herrschenden Strommangel auszugleichen. Beispielsweise, so zitierten damals mehrere Medien aus dem von der Homepage des Wirtschaftsministeriums verschwundenen Entwurf, könnte zwischen Netzbetreibern und Privathaushalten vertraglich festgelegt werden, dass täglich bis zu zwei Stunden der Strom für Wärmepumpen und Ladesäulen abgeschaltet werden darf.
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Der Entwurf wurde unter dem damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier nicht mehr weiter verfolgt, wohl auch, weil er medial für einigen Wirbel gesorgt hatte. Die Grundidee, dass nicht mehr wie bisher die Nachfrage nach Strom das Angebot bestimmt, sondern dass künftig das (schwankende) Angebot die Nachfrage definieren soll, ist allerdings nicht vom Tisch.
Die Nachteile der alternativen Stromerzeugung sind auch der Grund für einen Gesetzentwurf des grünen Wirtschaftsministers, den Einbau intelligenter Stromzähler künftig verpflichtend vorzuschreiben. Im Wirtschaftsministerium hieß es, der starke Ausbau der erneuerbaren Energien und die zunehmende Sektorkopplung bei Mobilität und Wärme erforderten eine intelligente Verknüpfung von Stromerzeugung und -verbrauch. Das künftige Energiesystem werde wesentlich flexibler und komplexer werden. Dazu seien Smart Meter und eine Digitalisierung der Energiewende notwendig. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte bereits im Oktober angekündigt, beim Einsatz von Smart Metern Tempo machen zu wollen. Es sei viel Zeit verloren worden, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Habeck.
Und weiter: „Alle Stromversorger, unabhängig von der Kundenzahl, sollen laut Entwurf ab 2026 verpflichtend ‚dynamische Tarife‘ anbieten. Dadurch könnten Verbraucher den Strombezug in kostengünstigere Zeiten mit hoher Erzeugung erneuerbarer Energien aus Wind und Sonne verlagern. Aktuell müssten nur Lieferanten, die mehr als 100.000 Letztverbraucher beliefern, ihren Kunden mit intelligentem Messsystem einen dynamischen Stromtarif anbieten. Bis 2025 werde diese Schwelle auf 50.000 Letztverbraucher gesenkt.“
Im Klartext: wenn künftig nicht genug Sonne scheint oder Wind weht, drohen astronomisch hohe Strompreise, welche die Bürger dazu drängen sollen, die Nachfrage zeitlich zu verschieben. Das Waschen der Wäsche und der Sonntagsbraten richten sich dann künftig nach der Wettervorhersage.